2007 – (2) Mit dem Frachtschiff nach Südamerika

Teil 2 – Mit dem Frachtschiff über den Atlantik

Landgang in Französisch-Guayana

16. Tag Trotz Uhrumstellung und langer Nacht schafften wir es pünktlich zum Frühstück. Anschließend imprägnierten wir auch unsere Kleidung, nahmen die erste von unseren Malariatabletten und ich genoss noch einmal 2 Stunden lang das warme Wasser im Pool. Am Mittag kam etwas Wehmut auf, denn wir fingen an, unsere Sachen zu packen und unsere Kabine aufzuräumen. Wie oft haben wir das Geschaukel und Gewackel verflucht, doch jetzt ist es schade, dass es dem Ende der Schifffahrt zugeht.   17. Tag “Wir sind in Schweden”, sagte ich zu Moni. Das Schiff befindet sich im Hafen und der wiederum in einem Fluss. Auf der gegenüberliegenden Seite sieht man Bäume, mehr nicht. Nur Bäume. Als ich morgens so langsam meine Augen ganz öffne und die Brille aufsetze entpuppt sich das gesichtete Schweden als tropischer Regenwald. Es war also nur eine Wunschvorstellung…Leere Straßen in Cayenne Nach unserm letzten Frühstück holen wir mit dem Steward die Fahrräder aus dem Bauch des Schiffes und betreten zum ersten Mal das Festland von Südamerika. Willkommen in Französisch-Guayana. Da das Schiff morgens um 4 Uhr anlegte, schlief fast die gesamte Crew bei unserer Abfahrt. Dem wachhabenden Offizier teilten wir mit, dass wir am darauf folgenden Tag kurz vorbei schauen werden, um uns zu verabschieden, denn der Frachter fährt erst in drei Tagen weiter. Schon beim Bepacken der Fahrräder gerieten wir wegen des tropischen Wetters ins Schwitzen und mein Hemd war klitschnass, bevor wir überhaupt losgeradelt sind. 12 km sind es von dem kleinen Hafengelände bis in die Hauptstadt Cayenne. Also keine wirklich weite Strecke, schon gar nicht über eine schön asphaltierte Straße, doch bereits nach 8 km wünschte ich mir ein anderes Fortbewegungsmittel herbei. Nach zwei Wochen Faulenzen auf dem Schiff plötzlich körperliche Betätigung in den Tropen – mörderisch. In Cayenne suchten wir sehr lange nach einer günstigen Unterkunft. Das erste Hotel kostete 70 €, das zweite 60 € und erst im dritten und wohl letztem Hotel der Stadt wurden wir fündig: 30 € ohne Klimaanlage und mit einer kaputten Plexiglasscheibe als Fenster. Diese dichteten wir erst einmal mit Servietten und Tape ab und dann erholten wir uns. Als wir an dem Hotel ankamen, stand ich kurz vor einem Kreislaufkollaps und schüttete Unmengen Wasser in mich hinein, nur damit dieses aus allen möglichen Hautporen wieder heraus gesprudelt kommt.

Die mehrheitlich schwarze Bevölkerung empfing uns überaus freundlich. Als wir für ein Foto kurz hinter dem Hafen anhielten, fragten einheimische Radler, ob wir ein Problem hätten. Als wir an einem Kreisverkehr nicht weiter wussten, weil der Weg in Richtung Stadt für Radfahrer verboten ist, begleitete uns ein anderer Radler ein ganzes Stück um uns den Weg zu zeigen. Als wir noch bei der Hotelsuche aufdringlich angebettelt wurden, kam ein anderer Mann und raunzte den Bettler an, er solle uns in Ruhe lassen. Und selbst im Straßenverkehr war alles sehr freundlich und rücksichtsvoll. Mit der Lichthupe gewährte man uns langsamen Radlern sogar Vorfahrt. Als ich im ersten Hotel nach dem Preis fragte und in der Lobby die dortige Klimaanlage genoss, passte Moni draußen auf die Räder auf. Dabei wurde sie von Einheimischen über unsere Tour ausgefragt und woher sie käme. Einer von ihnen ist sogar mal mit dem Rad von Paris Geflicktes Fensternach Warschau geradelt. Und so einen trifft man dann in der Nähe des Äquators. Aber dennoch: Französisch-Guayana gehört nur auf dem Papier zur EU. Es handelt sich zwar nicht um ein eigenständiges Land, sondern um ein französisches Departement, also um eine Art Bundesland, und die Autokennzeichen haben das blaue EU-Symbol und es wird mit dem Euro bezahlt, doch von Europa ist man hier weit entfernt. Heruntergekommene Häuser, ein schäbiges Stadtbild und viele arme Menschen die in den Hauseingängen oder auf dem verdreckten Bürgersteig liegen und schlafen. Ein wenig überkam mich der Gedanke, dass hier die ”vergessenen Franzosen” leben. Ein Teil des französischen Volkes, dass weit weg ist von Paris aber dem Geld zusteht und auf Grund der Entfernung nur ein bisschen abbekommt. Andererseits hatte ich aber auch den Eindruck, dass die Leute eben auf dieses Geld aus dem fernen Europa geradezu warten, ohne großartig etwas dafür leisten zu müssen. Vielleicht lag es an den Nebenwirkungen unserer Malariatabletten, vielleicht auch daran, dass ich das Schiff und die tolle Reise vermisste, vielleicht am tropischen Klima oder auch an diesem gewissen Kulturschock, der uns hier ereilte aber auf jeden Fall fiel ich in eine Traurigkeit und wollte eigentlich nur weg. Es gefiel mir nicht und ich wurde fast schon depressiv. Moni ging es auch nicht gut und ich hatte einfach nur das Gefühl, an diesem Ort falsch zu sein und weg zu wollen. Doch wir konnten nicht, erst müssen wir zum Konsulat von Suriname um das Visum zu beantragen, doch heute ist Samstag, also zwei Tage Pflichtaufenthalt. Ein weiteres Problem ist die Strecke nach Suriname, denn Französisch-Guayana besteht praktisch nur aus Regenwald und es gibt nur eine einzige Straße an der Küste entlang. 260 km, doch diese ist auch noch für Radler verboten, soweit wir das sehen konnten. Was also tun? Erst einmal ins Internet und Möglichkeiten prüfen. 18. Tag Der riesige Ventilator direkt über unserem Moskitonetz brachte nicht viel Abkühlung in der Nacht. Mehrmals wurden wir wach, schauten aufs Thermometer, dass ständig etwas Hohe Temperaturenzwischen 33 und 36 Grad anzeigte – und das in der Nacht, hinzu kommt noch die hohe Luftfeuchtigkeit. Nachdem wir gestern schon keinen Appetit hatten, radelten wir heute ohne Frühstück zum Schiff. Dort angekommen freuten sich die Matrosen und Offiziere uns zu sehen. Einer der Rumänen zog mich sofort in seine Kabine, gab mir ein frisches T-Shirt und befahl mir, mein vollgeschwitztes und völlig nasses Hemd in den Trockner zu schmeißen. Danach gab es einen Tee und Kekse, die ich wie wild in mich hinein stopfte. Das alles in einer Umgebung von 22 Grad, die sich wie ein Kühlschrank anfühlten. Wie sehr mag ich mittlerweile Klimaanlagen. In Europa meiner Meinung nach völlig überflüssig, hier in den Tropen ein Muss.

Nach einem letzten Abschiedsfoto mit dem Kapitän radelten wir zurück und verbrachten den gesamten Nachmittag im klimatisierten Internetcafé, schrieben Mail, Raupe Wurmtelefonierten für 2 Cent nach Hause und recherchierten für unsere Weiterreise. Immer öfter dachten wir laut darüber nach, wie es wohl wäre und ob es wohl nicht sinnvoller wäre, mit dem Schiff weiter zu fahren, so wie es uns auch die Offiziere empfahlen. Immerhin liegt das Schiff ja nur 12 km von uns entfernt und wartet ja noch zwei Tage geradezu auf uns. Wir wären dann im brasilianischen Belem, könnten dort in einem klimatisierten Bus einsteigen und uns nach Brasilia (2.100 km) bringen lassen. Ich muss zugeben, dass mein Körper nicht für die Tropen geschaffen ist. Des Weiteren kämen die Kosten zu, die wir hätten, wenn wir auf dem Landweg reisen. Durch das Radelverbot auf der N1 nach Suriname wären wir gezwungen Minibusse zu nehmen. Unsere Erkundigungen ergaben Kosten von 100 Euro. Dazu die beiden Visa für je 30 € und die Übernachtungen bis wir das Visa erhalten. Für Guyana bräuchten wir auch noch ein Visum und die dortige Hauptstadt Georgetown gilt mal wieder als gefährlich, worauf wir mittlerweile keine Lust mehr haben. Von Georgetown aus käme dann eine 480 km lange Urwaldpiste auf uns zu, die Einheimischen zufolge nur mit einem Truck zu schaffen ist (Nachtrag: Mittlerweile wissen wir, dass man die Strecke doch radeln kann. Zu dem damaligen Zeitpunkt galt das nicht als sicher). So beschlossen wir, schnellstmöglich aus den Tropen heraus zu fahren und dafür morgen beim Kapitän nachzufragen, ob wir nochmal mitkönnen. Doch wie der Zufall es will, nach unserem mehrstündigen Internetbesuch gingen wir zum Hotel zurück und wer saß dort in der Bar und trank einen Cocktail? Der Kapitän und seine Frau. Er versprach uns, direkt morgen früh um 7, wenn es in Deutschland 12 Uhr ist, die Reederei in Hamburg anzumailen, sofern er eine Satellitenverbindung hat. Uns bat er, gegen Mittag bei ihm vorbeizuschauen, weil er bis dahin eine Antwort haben müsste. So gingen wir voller Hoffnung in unser miefiges 35 Grad-Zimmer zurück und vermieden jede Bewegung. Dabei überlegten wir, ob dies nicht alles eine Art Zeichen sein muss, dass das Schiff drei Tage Aufenthalt hat, dass wir den Kapitän ausgerechnet dann treffen, wenn wir ihn brauchen…Regenwald 19. Tag ”Lustig, gell? Es ist Frankreich und sieht aus wie Afrika.” In perfektem Deutsch sprach die weiße französische Bäckereiverkäuferin mit uns, die sich sehr freute, mal wieder Deutsch reden zu können. Seit drei Jahren lebt sie in Französisch-Guayana und wuchs an der Grenze zum Saarland auf. Nach einem kurzen Gespräch schenkte sie uns ein paar Backwaren, nur ein Baguette für günstige 65 Cent müssen wir bezahlen. Super nett und es bestätigt unseren Eindruck, dass die Menschen hier freundlich sind. Nach 48 Stunden Tropen also die erste vorsichtige Nahrungsaufnahme, jedoch gleichzeitig mit der Information, dass es noch gar nicht richtig warm ist und es noch zu oft regnen. Dabei hat es doch nur eine halbe Stunde geregnet. Zwar heftig, aber kurz. Bei einem Gang zur Post glaubte ich plötzlich an Halluzinationen. Mitten auf einem Parkplatz entdecken meine Augen ein altes, kleines Wohnmobil. Beim Näherkommen stellt sich heraus, dass es sich um Belgier handelt und diese den Wagen verkaufen wollen. Auf ihrer Website erfahren wir später, dass sie ganz Mittel- und Südamerika damit bereist haben. Wir hingegen radeln derweil zum Schiff, wo wir wieder mit einem großen ”Hallo” begrüßt werden und vom Kapitän verkündet bekommen, dass alles okay geht. Wir können schon heute einschiffen. Der Kapitän bot uns sogar an, dass seine Frau mit einem von uns in seinem zweisitzigen Leihwagen das Gepäck holen könnte, doch wir bedankten uns freundlich und radelten zurück zum Hotel, diskutierten dort noch ein wenig, weil wir die nächste Nacht nicht mehr zahlen wollten, packten unser Gepäck aufs Rad und radelten erneut zum Schiff. Unterwegs rechneten wir aus, dass unser Wasserverbrauch in den Tropen höher ist, als der Benzinverbrauch unseres alten Wohnmobils. Bei einer Strecke von 36 km kamen wir auf 6 Liter Flüssigkeit, hochgerechnet auf 100 km ist das ein Verbrauch von 16-17 Litern. Bei einem Preis von 0,60 €/Liter nicht gerade wenig. Auf dem Schiff angekommen sprangen wir zunächst unter die Dusche und aßen später zu Abend. Noch nie haben uns Bohnen mit Reis und Makrele so gut geschmeckt.

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