2007 – (3) Einmal quer durch Südamerika


 

Frachtschiffreise Teil 3 – Vom Amazonas bis Feuerland

Unfall mit einem Taxi

 

Über eine vierspurige Straße lotst der ältere Herr den Wagen aus der Stadt hinaus, während langsam die Sonne auf geht. Damit wir wissen, wie wir nachher wieder zurück kommen, verfolgen wir aufmerksam den Weg, Wir fahren an einem sehr Kapelle schönen Oldtimer vorbei, biegen in eine kleine Straße ein, überholen einen Bus und fahren an einer Kaserne entlang. Vor dem Kasernentor sehe ich ein Auto von rechts kommen und erwarte, dass es anhält. Langsam rollt es auf die Kreuzung zu uns beschleunigt in dem Moment, als wir an ihm vorbei wollen. Der Taxifahrer bremst scharf, Reifen quietschen und wir knallen frontal in die Seite des anderen Wagens. Ich höre noch, wie der Taxifahrer „Idiota“ ruft und sehe wie er wie ein Blitz aus dem Auto springt. Während draußen heftig diskutiert wird, holen wir beide erst einmal tief Luft. Mangels Gurt sind wir hinten auf der Rückbank nicht angeschnallt und rutschen bei dem Aufprall nach vorne. Vielleicht, weil ich den Unfall Endlose Weitehabe kommen sehen und mich in Sekundenbruchteilen auf den Aufprall vorbereiten konnte, oder vielleicht, weil ich einfach nur Glück hatte, passiert mir rein gar nichts. Moni hingegen schaute während des Unfalls aus dem Seitenfenster und knallte mit dem Kiefer gegen die Kopfstütze des Fahrersitzes. Sichtbare Schäden haben wir nicht davon getragen bis auf eine leicht gerötete Wange und einem kleinen Schock bei Moni, doch kann man sicher sein?

Oder anders gefragt: Interessiert sich irgendjemand für unseren Zustand? Mit dieser Frage steige ich aus und blaffe die beiden Streithähne an da draußen an, ob es interessieren würde, dass einer von uns eventuell verletzt sei. Mit großen Kulleraugen schauen sie mich an, ganz nach dem Motto: „Oh, da ist noch jemand“, und als Konsequenz einigt man sich darauf, erst einmal die Kreuzung frei zu machen. Doch nein, weder Monis Gesundheitszustand ist interessant, noch wird einfach nur die Kreuzung frei geräumt. Ich solle doch auch wieder einsteigen, der Fahrt geht weiter. Das realisierte ich jedoch erst, als ich im Wagen saß und der Kutscher tatsächlich mit dem kaputten Auto weiter fährt, als sei nichts gewesen. Jetzt wird es mir aber endgültig zu viel. Ich schimpfe wie ein Rohrspatz, während der Fahrer lustig lächelt und uns noch den letzten Kilometer bis zum Flughafen bringt. Da wären wir und wir bräuchten uns keine Sorgen zu machen, die Versicherung zahlt sein Auto, war sein Kommentar. Ich versuche ihm begreiflich zu machen, dass mir sein Auto völlig egal ist und wir nicht wissen, ob die junge Frau, die hinter ihm sitzt und sich die schmerzende Wange hält, nicht viel mehr verletzt ist, als es aussieht. Und das solle doch wohl mal untersucht werden und der Verursacher möge sich doch bitte nicht der Verantwortung entziehen.

Don’t cry for me, Argentina

Je mehr ich schimpfe umso weniger lächelt er und wird immer kleiner in seinem Sitz, weil ihm wohl endlich klar wird, dass ich es ernst meine. Er hat zwar keine Schuld an dem Unfall, doch der Gesundheitszustand seiner Fahrgäste scheint ihm herzlich egal zu sein. So fordern wir ihn auf, zurück zu der Kaserne zu fahren, wo der Mann ja wohl offensichtlich hin wollte und ihn zur Rede zu stellen. Am Kasernentor öffnet sich sehr schnell die Schranke und der Fahrer wurde zu einem wichtig aussehenden Gebäude gebracht. Ich stürme bei meinem persönlichen Angriff auf die argentinische Armee hinein und lasse mir den Unfallbeteiligten holen während der Taxifahrer zwar aussteigt aber vor dem Gebäude mit hängendem Kopf wartet. In meiner Wut nehme ich an, dass es ihm gleichgültig ist, was sich abspielt, doch Moni bringt mich später darauf, dass er sich nicht traute, mir zu folgen, womit sie Dreckiger Leihwagenwohl eher richtig liegt. Immerhin lässt das Alter des Fahrers darauf schließen, dass er die weniger schöne Zeit seines Landes mitmachen musste und man weiß ja nicht, was er für Erfahrungen mit der Armee während der Militärdiktatur machen musste. Ich für meinen Teil lege mich, den Schulterklappen nach zu urteilen, mit drei hohen Offizieren an und erwarte, dass der Unfallverursacher sich bekennt und dafür sorgt, dass Moni untersucht wird. Alles in allem eskaliert der Streit und man zeigt die kalte Schulter. Mit derselben zuckt man nur gleichgültig, als ich frage, was bei einer schweren Verletzung oder sogar im Todesfall passiert wäre.

Gegen so viel Ignoranz ist einfach nicht anzukommen, daher verlassen wir verärgert das Schlachtfeld und fahren wir wie geplant zum Flughafen. Der Fahrer entschuldigt sich beim Abschied aber ich versuche ihm zu verstehen zu geben, dass wir nicht auf ihn böse sind. Der arme Kerl kann ja nun wirklich nichts dafür. Und weil er in Gedanken neben seinem kaputten Auto auch schon das Geld abgeschrieben haben wird, dass wir ihm schuldig waren, gaben wir ihm natürlich nicht nur dieses, sondern auch noch ein entsprechendes Trinkgeld.

Moni geht es zwar schon besser, ist aber immer noch etwas beduselt. So beschließen wir, sicherheitshalber den Flughafenarzt aufzusuchen. Der junge Assistent öffnet uns die Tür zu einem kleinen Untersuchungszimmer und informiert die ebenfalls sehr junge Ärztin im Nebenzimmer. Dabei kann ich einen kurzen Blick in die zwei Mal zwei Meter große Kammer werfen, wo sich eigentlich nur eine Matratze befindet, von der die Medizinerin gerade aufsteht. In Gedanken malen wir uns aus, was die beiden wohl vor unserer Ankunft in dem abgeschlossenen Raum gemacht haben, immerhin dauerte es recht lang, bis uns geöffnet wurde. Die Ärztin glaubt zwar nicht, dass Moni etwas Schlimmes davon getragen hat, empfiehlt jedoch zur Sicherheit zu röntgen. Auf die Frage, wie alt bzw. modern denn die Gerätschaften seien, schaute sie etwas entschuldigend, worauf Moni dann lieber auf die Röntgenstrahlung verzichtete

Nachdem man ihr noch ein paar Tabletten in die Hand drückt, marschieren wir geradewegs zum Autovermieter, wo wir wieder einen VW Gol bekommen. Dieser war fast neu und erstrahlte in seinem weißen Lack. Zumindest letzteres sollte er nicht mehr lange tun. Mit einem unbehaglichen Gefühl fahren wir an der Kaserne und dem Unfallort vorbei, wo noch zahlreiche Scherben und ein paar Plastikteile von dem Vorfall zeugen, durchqueren Commodora Rivadavia und machen uns auf den Weg nach Westen. Unser Ziel soll das 400 km entfernte Perito Moreno sein, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Gletscher, den wir ja schon besichtigten.

Laut unserer Karte soll es auf der Ruta 26 drei kleine, schotterige Abzweigungen nach Süden geben. Die letzte von ihnen finden wir und nach wenigen Kilometern erreichen wir das, was auf derselben Karte als die Ortschaft „Holdich“ eingetragen ist. Erst sind wir uns nicht ganz sicher, aber die Entfernung und eine zweite Straße lassen keinen Zweifel aufkommen, dieses ist Holdich. Allerdings besteht es nur noch aus einer einzigen Ruine, mehr nicht.

Wir fahren weiter auf der Schotterpiste durch die einsame Landschaft, die auch hier wieder eingezäunt ist. Nur zweimal überholen uns Fahrzeuge und nur einmal kommt uns eines entgegen. Dabei handelt es sich immer wieder um Geländefahrzeuge, die natürlich viel besser durch die tiefen Schlammpfützen fahren können, als wir. Für die Punta Tombo100 km benötigen wir rund zweieinhalb Stunden und fahren oftmals um den tiefen, mit Wasser gefüllten Schlaglöchern auszuweichen. Mal auf der rechten, mal auf der linken Spur, wenn man überhaupt von zwei Spuren reden kann. Stellenweise gibt es nur Schlamm, der von zwei Reifenspuren geteilt ist. Dummerweise sind diese schon so tief, dass wir öfter mit dem Fahrzeug in der Mitte der Straße aufsetzen.

Nichtsdestotrotz kommen wir in Los Herros an und düsen schließlich über die asphaltierte Ruta 43 nach Perito Moreno. Die Fahrt sieht dabei so aus, dass wir alle paar Minuten 10 km mehr auf dem Tacho haben und dann eine leichte Kurve machen müssen, bis es wieder zehn oder 15 Kilometer geradeaus geht – bis zur nächsten Kurve. An Hand dieses Maßstabes rechnen wir aus, oder besser gesagt, schätzen wir, dass wir in dieser weiten Landschaft bis zu 50 oder 60 km weit schauen können bzw. sich in ungefähr dieser Entfernung die Hügel am Horizont befinden. Und dazwischen ist nichts außer Steppe, natürlich im Privatbesitz. Merkwürdig ist dieses Gefühl erst recht, als wir das mit deutschen Entfernungen zu vergleichen versuchen. Würden wir also in der Essener Stadtmitte stehen, könnten wir problemlos den Kölner Dom erkennen und in dieser weiten Ebene vor unseren Füßen, läge also Düsseldorf, Ratingen und Teile Leverkusens, durchzogen vom Rhein. Dieser Gedanke ist schon faszinierend.

Perito Moreno ist relativ enttäuschend. Es gibt mehrere Hotels und sogar einen Campingplatz, der Grund hierfür ist uns nicht ganz klar. Erstaunt sind wir, dass die Touristeninformation besetzt ist, obwohl überhaupt keine Saison ist. Dennoch beschließen wir, heute schon zu Los Antiguos weiter zu fahren, ebenfalls ein Touristenörtchen am zweitgrößten See Südamerikas, direkt an der Grenze zu Chile. Schnell düsen wir über die leere Straße und stehen dann an einer dieser stationären Polizeikontrollen. Als wir den Wagen beim Autovermieter bekamen, fragte ich vorsorglich, was denn bei so einer Kontrolle zu tun sei. Der Vermieter erklärte, man müsse bloß den Pass und die Papiere zeigen. Welchen Sinn diese Kontrollen denn haben, fragte ich auch. Doch darauf konnte er keine Antwort geben. Verlegen meinte er nach kurzem Schweigen: „Na, Kontrolle eben.“

Herr Professor?

Bei diesem Kontrollpunkt, an dem wir stehen, muss man dazu erwähnen, dass dahinter nur noch der Ort kommt und direkt dahinter wiederum die Grenze zu Chile verläuft, wo sowieso Kontrollen stattfinden. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt: Ich finde das suspekt.

Eine breite stämmige Frau in Uniform kommt aus dem Häuschen und fordert mit lauter Stimme, die durch die Andentäler schallt, den Pass herbei. Scheinbar endlos lange blättert sie durch den Pass und schaut sich dabei immer wieder das russische Visum vom letzten Jahr an. Währenddessen fragt sie mich nach meinem Beruf und durch irgendwelche sprachlichen Missverständnisse hält sie mich plötzlich für einen Professor. Nicht nur für irgendeinen, sondern für einen aus dem fernen Russland. Das Visum mit dem glänzenden Hologramm macht bei ihr solch einen Eindruck, dass sie gar nicht bemerkt, dass es sich um einen deutschen Pass handelt. Während sie also dem russischen Professor, der vor kurzem noch ein Albaner war, den Pass zurückgibt, lacht sich Moni auf dem Beifahrersitz halbtot.

Wir fahren in den kleinen Ort hinein und steuern die Touristeninformation. Sehr freundlich erklärt man uns sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt als da wären: der Stadtpark, eine kleine Aussichtsplattform und eine Stelle am See, an der man angeln kann. Wir nehmen uns ein Hotelzimmer, das uns auf den ersten Blick überteuert vorkommt und steuern die Sehenswürdigkeiten an. Die Aussichtsplattform befindet sich an einem Hang, den man auch ohne Plattform betreten kann und gibt einen Blick auf die verschlafene Ortschaft und die dahinter liegenden Anden frei. Der Stadtwald ist ein Gestrüpp aus verdorrtem und undurchdringlichem Holz und sieht wenig einladend aus und den Anglerpark finden wir schlicht und einfach nicht. Da wir mit dem Leihwagen nicht über die Grenze fahren dürfen, haben wir somit auch keine Möglichkeit ein chilenisches Pingufoto zu machen, denn die beiden Kontrollpunkte sind vermutlich viel zu weit auseinander und von einer hohen Gebirgskette unterbrochen, zu Fuß gehen also unmöglich. Nach den Enttäuschungen gehen wir ins Zimmer zurück und bemerken auch auf dem zweiten Blick, dass dieser Hotelpreis nicht gerechtfertigt ist. Da wir sowieso keine große Lust mehr haben, zu bleiben, lassen wir uns das Geld zurückgeben und fahren mit der untergehenden Sonne im Rücken zurück nach Perito Moreno, wo wir ein wesentlich besseres Zimmer für weniger Geld finden. Außerdem sind wir so schon direkt näher an der Ruta 40, die wir am nächsten Tag in aller Früh aufsuchen wollen. Doch erst einmal heißt es nach diesem langen Tag voller Aufregung schlafen gehen.

Dabei sprechen wir abends noch einmal über den Unfall vom Vormittag und der anschließenden Diskussion mit dem Militär. Aus Rache beschließen wir, dass von nun an die Falklandinseln zu Großbritannien gehören sollen. 1982 überfiel Argentinien die Inseln, die unter englischer Flagge stehen. So kam es zum Falklandkrieg, bei rund 1.000 Menschen ums Leben kamen. Argentinien verlor zwar die Auseinandersetzung, beansprucht aber bis heute die Inseln für sich. Aufgefallen ist uns das zum ersten Mal in Ushuaia, wo riesige Autoaufkleber auf den Heckscheiben prangen und die Aufschrift tragen: 25 Jahre Las Malvinas. Mit Las Malvinas sind eben diese Falklandinseln gemeint und jedes Jahr wird feierlich erklärt, dass die paar Felsbrocken im Südatlantik zu Argentinien gehören. So wundert es nicht, dass auf argentinischen Landkarten hinter Las Malvinas immer ein (Arg.) angefügt ist während auf unseren Weltkarten die Falklandinseln mit einem UK gekennzeichnet sind. So funktioniert also Propaganda, mich würde interessieren, wie viele Argentinier eigentlich den Ausdruck Falkland-Insel kennen und wie viele eigentlich wissen, dass dieses Eiland eben nicht zu Argentinien gehört. Nicht selten sieht man auch Denkmäler, die an den Falklandkrieg erinnern. Allerdings wecken diese den Eindruck, als wären die Südamerikaner das Opfer gewesen und angegriffen worden. Wir zumindest haben durch das Verhalten der Armeeangehörigen bei dem Autounfall nun Partei ergriffen und erklären bei jeder sich bietenden Gelegenheit leise, dass „Las Malvinas britisch“ sei. So, das habt ihr Argentinier jetzt davon…

Endlose Weiten und kein Benzin mehr

 

Am nächsten Morgen scheint die Sonne über der Prärie, wo sich ein nur noch halbwegs weißer VW Gol mit rund 160 km/h im Landeanflug auf Argentiniens Schlammpfützen befindet. 45 Kilometer geht es von Perito Moreno in südliche Richtung auf einer nagelneuen Asphaltstraße auf der uns kein einziges Auto entgegen kommt. Nach ca. 20 Minuten ist Schluss mit der Straße und diesem Tempo, d.h. die Straße gibt es weiterhin, doch sie sieht nun aus wie eine Panzerspur auf einem Truppenübungsplatz. Die Ruta 40 ist in Bau und ab hier sieht man, verhältnismäßig oft sogar, Bauarbeiter oder Baumaschinen. Doch die Straße selbst besteht aus zwei tiefen Fahrrinnen, Schlamm, Schlaglöchern, tiefen unausweichlichen Pfützen, Schotter, Staub. Sie besteht einfach aus allem, was für einen kleinen Pkw nicht bekömmlich ist und gerade deswegen macht es uns Spaß, hier entlang zu fahren. Auf festem Untergrund und geraden Abschnitten sind sogar gelegentlich 80 km/h möglich, aber meist fahren wir langsam, genießen dabei die Landschaft, die hier wesentlich schöner ist als im Osten und dabei noch nicht einmal eingezäunt – zumindest nicht immer. Das bedeutet, wir können sogar mal aussteigen und durch die Landschaft wandeln. Wir erklimmen einen Hügel und sehen den Wagen nur noch als kleinen, hellen Punkt in der Weite Patagoniens. An einer anderen Stelle bitte ich Moni, an der Straße zu stehen und zu filmen, wie ich auf einer kleineren Piste weiter unterhalb durch die Landschaft düse. Wie ein Regisseur zeige ich auf eine Stelle, die nicht so weit weg ist und sage: „Bis da vorne fahre ich und wende dann.“. Was so aussieht wie ein kurzes Stück ist mal eben 2 km lang und Moni kann mich im Display der Kamera schon nicht mehr ausfindig machen. Wir lachen, denn wenn dieses „da vorne“ mit den Händen scheinbar greifbar ist und es sich dennoch um 2 km handelt, wie weit sind dann wohl die Anden noch weg, die sich weit hinten am Horizont gen Himmel strecken?

Die Weite dieser Landschaft ist kaum vorstellbar und so düsen wir weitere 60 km über die Piste. Eigentlich wollen wir zur Höhle mit den Handabdrücken, doch auf der kleinen Straße, die von der Ruta 40 in den Canyon abzweigt, hängt eine Art Absperrband. Wir sind uns nicht sicher, ob wir es herunter drücken und drüber fahren sollen oder dürfen, sehen aber an Hand mehrerer Reifenspuren, dass wir nicht die einzigen sind, die an dieser Stelle gewendet haben.

Nur 4 km entfernt befindet sich eine kleine Siedlung, von Dorf zu reden wäre übertrieben, die an die apokalyptischen Mad-Max-Filme erinnert, wo sich jedoch auch ein kleines Motel befindet. Der Besitzer meint zwar, dass wir auf der Straße richtig wären, aber mir ist nicht ganz klar, ob er was von dem Absperrband weiß. Wir beschließen die Angelegenheit sein zu lassen, besonders weil wir heute noch nach Puerto Deseado zurück an die Küste möchten. Daher gebe ich Moni noch ein paar Fahrstunden, die sich ohne Führerschein auf der Schlammpiste wacker schlägt. Später steuere ich das Auto gemütlich wieder Richtung Norden zur Asphaltstrecke, lasse dabei Wanderwegkeine Pfütze aus und am Ende der Tour sieht der Wagen aus, als hätten wir ihn aus einem Tümpel gezogen. Bis zum Dach ist der Wagen nicht mehr weiß, sondern schlammbraun. Fenster, Scheinwerfer, Rückspiegel, einfach alles ist zugespritzt und es ist nicht mehr möglich durch das Beifahrerfenster zu schauen. In Perito Moreno wollen wir tanken und als zwei junge Angestellte zum Scheibenputzen kommen, staunen sie nicht schlecht. Fast eine Viertelstunde putzen und waschen sie die Scheiben sauber, was mir ein wenig unangenehm ist, doof daneben zu stehen. So etwas mache ich eigentlich lieber selber, na ja, dafür hatten sie aber ein Trinkgeld verdient.

Wir machen uns auf demselben Weg zurück, wie wir am Vortag gekommen sind und fahren durch die Ölförderanlagen des Landes. Zahlreiche Ölpumpen sind über viele Kilometer hinweg zu sehen und ständig patrouillieren schwere Pick-Ups der Ölgesellschaft im Schleichtempo auf der Straße. Wir passieren nochmals Las Herras, wo sich am Stadtrand ein ganz besonderes Feld auftut. Dort wachsen über mehrere hundert Quadratmeter hinweg an den kleinen vertrockneten, Steppenpflanzen bunte Plastiktüten. Dummerweise ist dies nicht die Müllhalde der Stadt, denn die sahen wir bereits am Vortag am anderen Ende der Stadt vor sich hin kokeln. Nein, bei diesem Fels handelt es sich einfach um ein Trauerspiel. Die Menschen auf der Straßenseite gegenüber kümmert es schlicht nicht, dass dort die verloren gegangen oder weg geschmissenen Plastiktüten vom Wind hingetragen werden in den Sträuchern hängen bleiben. Uns fehlt das Verständnis, wie es dazu kommen kann und warum das Land nicht sauber gehalten wird. Dafür wird kein Geld benötigt, lediglich ein bisschen Bedürfnis nach Schönheit.

So fahren wir weiter durch die abstoßenden Ölförderanlagen auf die wir aber angewiesen sind. Denn ohne Öl kein Benzin und ohne Benzin keine Fahrt zur Küste, wo wir doch hoffentlich auf die Pinguine treffen. Fitz Roy, das an der Ruta 3 liegt, ist auf unserer Karte als mittelmäßig großer Ort eingetragen und so erhoffen wir uns, dass dort das geförderte Öl als Benzin verkauft wird. Dummerweise gibt es in dem „mittelmäßig großen“ Fitz Roy mit seinen zehn Häusern aber keine Tankstelle und so bleibt uns nichts anderes übrig, als einfach weiter zu fahren. Immerhin ist der Tank ja noch zu einem Viertel gefüllt und es sind ja nur noch 100 Kilometer bis Puerto Deseado. Wir biegen von der Ruta 3 ab und fahren auf einer schnurgeraden Straße spritschonend Richtung Küste. Um uns herum nichts, rein gar nichts. Nur flache Landschaft, in denen flach auf dem Boden ein paar Steppensträucher wachsen, sonst nichts. Es dauert nicht lange, bis die Tanknadel ihre Unzuverlässigkeit präsentiert und plötzlich nach unten sinkt. Noch 70 Kilometer und die Nadel zeigt auf den letzten Strich, noch 60 Kilometer und die Warnlampe leuchtet auf, noch 50 Kilometer und die Nadel ist bereits unter dem letzten Strich, noch 40 Kilometer und es taucht rechts eine Art Bauhof auf. Wir halten dort an und sehen drei junge Männer an einem Lkw. Wir erklären kurz unser Problem und sie verstehen sofort. Schnell waren wir uns einig, dass wir einen 5-Liter-Kanister für umgerechnet 5 Euro bekommen. Alle sind zufrieden. Wir haben Benzin in unserer Notlage, dass immer noch günstiger wäre, als bei uns in Deutschland und die Jungs haben etwas verdient, da sie das Benzin für das Doppelte des Tankstellenpreises verkaufen können. Das ist uns aber ziemlich egal, denn bis zu unserem Zielort können wir es sonst nicht mehr schaffen. Andererseits würde ich in Deutschland nicht versuchen, Profit daraus zu schlagen, sondern einfach nur helfen – aber was soll’s…

Sie stellen uns den Kanister ins Auto und bieten uns, noch einen Kilometer weiter zu fahren, damit ihr Chef nichts von dem illegalen Einkommen mitbekommt. Gesagt, getan und so kippen wir an der einsamen Straße das Zeug durch eine Rolle Zeitungspapier in den Tank. Wir müssen nicht erwähnen, dass wir den leeren, stinkenden alten Kanister nicht einfach stehen ließen, sondern in an der nächsten Tankstelle ordentlich entsorgt haben. Aber wir konnten uns gut vorstellen, wie Einheimische damit umgegangen wären…

Nach dem regulären Tanken in Puerto Deseado finden wir nach langem Suchen ein nettes, kleines Hotel, gehen einkaufen und suchen das Internet auf. Mit unseren drei Plastiktüten voll mit Cola, Gebäckteilchen und Schokolade kehren wir frohgelaunt zum Hotel zurück und werden von dem schmächtigen Besitzer beim Betreten sofort angeherrscht, was sich denn in den Tüten befinde. Völlig überrascht und verblüfft antworten wir wahrheitsgemäß, was den Besitzer sichtlich aufatmen ließ und dazu veranlasste und auch wirklich den Zimmerschlüssel zu geben. Der Terrorverdacht konnte also ausgeräumt werden, oder was? Nein, er zeigt auf ein Alkoholverbotsschild das für das ganze Haus gilt, doch nachher ärgern wir uns schon ein wenig, weil es ihn ja nichts angeht. Weder, was wir in den Taschen haben, noch was wir auf dem Zimmer privat für uns trinken. Vielleicht mögen wir ja abends ein gemütliches Bier oder Glas Wein zu uns nehmen. Merkwürdige Sitten, denken wir uns, in anderen Hotels gibt es sogar Minibars.

Tags darauf starten wir einen neuen Versuch, Pinguine zu Gesicht zu bekommen. Die Touristeninformation Ist noch geschlossen, was uns der dazugehörige Wachhund deutlich erklärt. Nur ein schneller Sprung zurück ins Auto rettet uns vor den Zähnen des kläffenden Köters. Wir suchen zunächst einmal eine Autowäscherei auf, weil wir den Wagen dann doch lieber nicht in diesem Zustand zurückgeben wollen.

Dabei treffen wir im Hafenkai auf zwei Frauen, die mit einem Fernglas die Küste absuchen. Wir kommen ins Gespräch und sie erklären, dass sie nach den ersten Pinguinen Ausschau halten. Sie seien sich nicht sicher, aber es könnte sein, dass auf einer kleinen Insel im Rio Deseado fünf Kilometer landeinwärts Pinguine sein könnten. Natürlich hält uns nach dieser Aussage nichts mehr auf und wir sausen über eine Schotterpiste am Fluss entlang. Sollte es wirklich soweit sein? Können wir unsere ersten Pinguine sehen? Einfach so, zwischen Frühstück und Wagenwäsche? Wir kommen zu einem Aussichtspunkt, halten an, machen den Motor aus und genießen die Ruhe. Tatsächlich ist vor unseren Augen im schmalen Flussbett eine kleine Insel, fast nur eine Sandbank. Wir befinden uns auf einer leichten Anhöhe und das Flussufer ist rund 600 Meter von uns entfernt. Dementsprechend weiter von uns entfernt ist die kleine Insel und es ist schwer auszumachen, was sich da auf dem Sand bewegt. Sind es vielleicht nur Möwen, wie man sie hier zu Hunderten sieht? Mit der Kamera zoome ich das Geschehen heran und halte diesen möglicherweise historischen Augenblick fest, aber die Insel ist einfach zu weit weg und so ist auf dem Bild nur ein kleiner schwarzer Pixelpunkt. Selbst durch das Fernglas kann ich nur Vermutungen anstellen. Doch eines dieser Tiere hat ein Einsehen mit mir und watschelt so herrlich über den Sandstrand, dass sein weißer Bauch hin- und herwackelt und ein Zweifel nicht mehr möglich ist. Ich hopse vor Freude auf meinem Sitz, ein wahrhaftig historischer Moment: Pinguine! Echte frei lebende Pinguine. Noch nicht einmal an der Meeresküste, sondern ein Stück landeinwärts auf einer kleinen Flussinsel. In Gedanken baue ich schon eine künstliche Insel in der Ruhe, um dort Magellanpinguine anzusiedeln. Endlich haben wir unser Ziel erreicht. Zumindest so halbwegs, jetzt müssen wir nur noch näher dran und das was hier an dieser Stelle völlig ausgeschlossen. Wir starten den Motor und fahren zu „Darwins Expedition“, einem Restaurant, das auch Bootstouren zu Flora und Fauna anbietet. Doch wir müssten das gesamte Boot anmieten, da wir momentan die einzigen Touristen sind. Als Gegenleistung hätten wir die Tiere dann aber nur unter Zeitdruck vom Schiff aus gesehen um schnell wieder andere Tiere zu beobachten, die wir schon hatten und nicht interessieren. Nein, das wollen wir uns nur für den Notfall lassen, falls es wirklich keine andere Möglichkeit gibt.

Unter größter Vorsicht vor dem Wachhund starten wir einen zweiten Versuch, die Touristeninformation aufzusuchen. Dort ist man wieder einmal sehr nett und macht sich sogar die Mühe im Reservat Punta Tombo anzurufen, ob dieses nun geöffnet ist. Die Antwort stimmt uns noch fröhlicher: „Ja, die ersten Pinguine sind auch bereits eingetroffen.“

Mensch, was freuen wir uns. Unser Ziel ist nun klar. Wir verlassen Puerto Deseado und fahren schnurstracks nach Commodoro Rivadavia zurück, wo wir den Wagen abgeben müssen. Auf dem Weg dorthin halten wir noch an verschiedenen Küstenabschnitten an, doch auch die Strände und Küsten können uns nicht so recht davon überzeugen, dass Südamerika schön ist. Vielleicht haben wir in den letzten Jahren schon so viele andere Dinge auf der Welt gesehen und mit Skandinavien und dem Baltikum auch unsere Lieblingsreiseregion bereits gefunden. Fest steht nur, dass wir uns nicht so recht wohl fühlen, mit dem was wir vorfinden. Irgendwie fehlt dieses gewisse Etwas. Einen kurzen Blick in den angeblich südlichsten Badeort der Welt, Rada Tilly, werfen wir auch noch, doch auch hier gilt: Nicht für uns erschaffen. In Commodoro Rivadavia haben wir leichte Schwierigkeiten, ein Hotel zu finden, da anscheinend alles belegt ist und so befürchten wir schon, uns in ein 4-Sterne-Hotel einquartieren zu müssen. Doch im letzten Augenblick sehe ich dann doch noch eine günstigere Möglichkeit. Wir geben den Wagen ab und holen uns Tickets für die Busreise. Eine Fahrt zu unseren Fahrrädern und zu den Pinguinen.

Zweieinhalb DVD-Filme und ein Frühstück später erreichen wir am nächsten Mittag Puerto Madryn, wo wir unsere Räder und unser restliches Gepäck unversehrt und vollständig in Empfang nehmen können. Wir quartieren uns für mehrere Tage ein, besorgen Erste-Klasse-Tickets für unsere letzte Busfahrt und mieten erneut einen VW Gol.

Endlich Pinguine

 

Eines Morgens ist es dann soweit. Wie setzen uns ins Auto und fahren ein letztes Mal in Richtung Süden. Dabei durchqueren wir Trelew und der Ärger, den wir hatten, weil wir uns dort wegen fehlender Beschilderung ständig verfuhren, ist verflogen, als wir nach einer langen, staubigen Straße den Parkplatz des Reservats Punta Tombo erreichen.

Tja, was soll ich sagen? Pinguine!!! In echt und in schwarz-weiß. Wir bezahlen den Eintritt, gehen durch das Tor und bemerken sofort rechts und links die vielen kleinen Höhlen, vor denen teilweise viel Vogelmist ist. Und wie zur Begrüßung kommen uns auf dem Hauptweg direkt mal zwei Pinguine entgegen. Ich bin in meinem Element, endlich sind wir da. Vergessen die lange Radtour durch Europa, das ständige Schaukeln des Schiffes, die piksende Sonne in den Tropen, die ewig lange Busfahrt durch den brasilianischen Regenwald oder was davon übrig blieb, abgehakt die vielen Tausend Buskilometer Argentiniens, überstanden der Unfall im Taxi – all das nur für diesen einen Augenblick: Der Begegnung mit watschelnden Vögeln, die nicht fliegen können. Punta Tombo ist ein großes Areal, zu dem die Pinguine Jahr für Jahr wieder kehren um ihren Nachwuchs auf die Welt und ins Wasser zu bringen. Viele von ihnen benutzen sogar die selbe Höhle, die sich im Vorjahr hatten. Jetzt um diese Zeit ist es noch nicht so voll, einige Hundert, vielleicht auch wenige Tausend werden es wohl sein. Mit einer halben Million muss man aber in Spitzenzeiten rechnen. Ebenso stellen wir fest, dass der Parkplatz voll ist. Ich frage einen der Ranger, ob es zum Schutz der Tiere denn eine Höchstgrenze an täglichen Besuchern gibt, doch er muss leider verneinen.

Wir gehen auf dem eigens angelegten Weg, den natürlich auch die Pinguine kreuzen, denn für ihre Größe gehen sie auch verhältnismäßig weit ins Land hinein. Alles kommt uns irgendwie vor wie ein kleiner Campingplatz für Pinguine. Jedes Tier scheint seine Parzelle zu haben und bewacht diese oder schläft in der Höhle oder kommt von der Küste her hochgewatschelt.

Ich mache über 300 Bilder und ein paar Videos mit der digitalen Kamera und verschieße zur Sicherheit auch noch vier Diafilme. Pinguine von vorne, von hinten, im Liegen, im Stehen, im Putzen, im Laufen, Pinguine von oben und auch Pinguine von unten, indem ich vor ihre Füße werfe. Neugierig schauen sie mich an und drehen ihren Kopf so, dass sie mich erkennen können. Drehe ich meinen Kopf als Antwort, so drehen sie ihren wieder anders herum. Diesen Tanz kann man einige Zeit machen. Doch dann kommt die Herausforderung, die Pinguine sind zwar Menschen anscheinend gewöhnt und fauchen bzw. schnappen erst nach einem, wenn man definitiv zu nah ist, aber wie reagieren sie auf einen Stoffpinguin, der ein klein wenig höher und doppelt so breit gewachsen ist, wie sie? Sie schauen völlig interessiert. Der Mensch, der den Stoffpinguin dort hinstellt, ist plötzlich egal. Die Blicke sind auf Pingu gerichtet, als würden sie wirklich einen ihrer Art vor sich haben. Da ich die Tiere aber nicht verstören will, mache ich schnell ein Foto und wir packen Pingu wieder in die Fahrradpacktasche. Diese hat im Übrigen die gleichen Ausmaße wie Pingu und ist komplett schwarz, ist aber für die Pinguine völlig uninteressant. Bei diesem stundenlangen Spaziergang werden wir aber auch Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen zwei Pinguinen. Wahrscheinlich geht es um den Besitzanspruch einer Höhle bzw. einer Parzelle. Dabei schlagen sie sich mit ihren kleinen Flügeln, die laut auf den Kopf den Körper des anderen klatschen. Der blutigste muss schließlich niedergeschlagen das Feld räumen und watschelt langsam wieder zur Küste. Auch dieses Verhalten erinnert irgendwie an einen überfüllten Campingplatz.

Nachdem ich nun alle Pinguinen einen Namen gab mich bei jedem einzelnen höflich persönlich vorstelle, heißt es Abschied nehmen. Keines der Tier war aber von meiner Idee zu überzeugen, mit uns auf die Nordhalbkugel zu fahren – schade. Als wir wieder im Auto sitzen, ist mein erster Kommentar: „So, und jetzt zu den Eisbären.“

Am nächsten Tag bereiten wir uns auf unsere letzte Busreise vor. Wir bringen die Fahrräder mit einem Großteil des Gepäcks und einem Haufen Pappkartons zum Busbahnhof von Puerto Madryn. Da wir dort ja so gute Freunde wie die Putzfrau, den Toilettenmann und die Zöllner besitzen, schrauben wir die Räder sicherheitshalber unter dem Vordach des Gebäudes auseinander und packen sie ordentlich in die Kartons. Wir haben die Räder zwar nur bis dahin geschoben, doch da wir je trotzdem mit den Fahrrädern unterwegs sind, muss es ja unbedingt regnen. Es regnete auf der gesamten Reise eigentlich immer nur, wenn wir die Lenker in der Hand hatten.

Die ganze Prozedur inklusive der Gepäckabgabe an dem einen Schalter, dem Bezahlen an dem anderen dauert rund zweieinhalb Stunden. Doch nun werden die Räder in einem Frachtbus der Gesellschaft Andesmar transportiert, während wir 24 Stunden später mit derselben Gesellschaft nach Buenos Aires reisen werden. Mit Andesmar sind wir bereits gefahren und das Unternehmen machte einen guten Eindruck auf uns. Zweifel ob alles klappt, bleiben dennoch bestehen.

Abends hören wir noch ein kleines Feuerwerk, das wohl wegen eines Wahlausganges stattfindet. Wegen dieser Wahl waren nämlich die letzten drei Tage in den Supermärkten die Alkoholregale zugeklebt. Es herrschte Verkaufsverbot von alkoholischen Getränken. In der Nacht, gegen halb eins, werden wir unsanft durch eine Kriegssirene aus dem Bett gerissen. Werden schon wieder die Falklandinseln angegriffen? Nein, ein Hostelmitarbeiter erklärt, dass es die Sirene für die Feuerwehr sei.

Am nächsten Morgen zahlen wir und gehen mit unserem Restgepäck zum Busbahnhof. Dort flimmert natürlich wieder ein Fernseher und wir sehen, wie von einem Busunfall auf der Ruta 3 berichtet wird. Es gab 5 Tote und mehrere Verletzte. Doch die Ruta 3 ist rund 3.000 km lang und wir verstehen nicht, wo das gewesen sein soll. Das kann ja weit weg sein. Trotzdem ist man dann etwas beunruhigt und hofft, Nationalkongressdass alles gut geht. Wir steigen in das Untergeschoss des Busses wo es nur sechs Sitze gibt. Drei davon bleiben leer, so dass wir nur einen Mitpassagier haben, mit dem wir ins Gespräch kommen und der uns beim Bingospielen hilft, weil wir die spanischen Zahlen nicht so gut verstehen. Lange fahren wir nicht, vielleicht eine halbe Stunde, als wir draußen an den Straßenrändern allerlei Zeug herumliegen sehen. Von Plastikbechern über Kleidung bis hin zu Sitzen aus einem Reisebus. Der Unfall war also nicht irgendwo, er war nur 40 km außerhalb der Stadt. Daher auch die Sirene in der Nacht. Später lesen wir im Internet, dass die Verletzten hauptsächlich in das Krankenhaus von Puerto Madryn eingeliefert wurden. Der Unfall geschah bei einem Überholvorgang des Busses, als dieser den überholten Lkw mit der Seite berührte.

Beim Anblick der Unfallstelle kommt ein mulmiges Gefühl auf und wir versuchen uns mit dem leckeren Essen und den drei Filmen, die auf dem Flachbildfernseher laufen, abzulenken. In der Dunkelheit können wir unsere Ledersitze in Liegen mit 180°-Winkel verwandeln. Eingekuschelt in die Decken, lassen wir uns Hafengemütlich und luxuriös in die Hauptstadt Buenos Aires bringen.

Frühmorgens kommen wir an dem riesengroßen Busbahnhof an, den wir ja bereits kennen. Ein wenig müssen wir noch warten, bis der Gepäckschalter, irgendwo in der hintersten Ecke des Kellers versteckt, öffnet aber dann können wir abermals unsere gesamten Sachen in Empfang nehmen. Und wieder fehlt nichts oder ist kaputt gegangen. Mittlerweile sind wir sehr darin geübt, unsere Taschen und Räder von Kartons zu befreien und daher dauert der gesamte Vorgang mittlerweile nur noch 20 Minuten, inklusive dem Bepacken der Räder. Ein kleines Weihnachtsgefühl kommt schon dabei auf, doch wir wussten ja, was sich in den „Geschenken“ befindet.

Ankunft in Buenos Aires

Wir schieben die Räder aus dem Bahnhof heraus und sind mitten in der lauten, hektischen und schmutzigen Hauptstadt Argentiniens. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass ein Jahr später ein Buch von mir veröffentlich würde: „Buenos Aires und Montevideo„. Durch Menschenmassen hindurch zwängen wir unsere Räder Richtung Zentrum. Zum Fahren ist uns das Ganze dann doch zu heikel. Wir staunen, dass die Menschen teilweise in Fünfer- oder Sechserreihen hintereinander anstehen, um auf die grüne Ampel zu warten. In der Breite bestand die Menschentraube natürlich aus 20 oder mehr Personen. An einer Kreuzung sehen wir, wir junge Leute mit Werbetafeln auf die Straße springen, Kolumbianische Marinesoldatenwenn der Autoverkehr Rot hat und diese Tafeln den Autofahrern quasi vor die Nase halten. Gleichzeitig spricht uns ein Geschäftsmann an und erklärt uns mit einem augenzwinkernden Lachen, dass dies modernes Hightech sei. Gleichzeitig ist er an unserem Woher und Wohin interessiert. Immerhin haben wir ja die Räder dabei und da sind solche Fragen ja Standard. Wir sind guter Laune, lachen und finden die Stadt einfach nur lustig. Die gute Laune legt sich aber mit der Zeit, als wir von Hotel zu Hotel rollen und immer wieder gesagt bekommen, dass alles belegt sei. Moni ist zudem noch genervter, denn während sie draußen wartet und auf die Räder achtet, wird sie oft von hektischen Fußgängern kritisiert, warum sie da rum stünde. Was Segelschifferwarten die Leute? Dass man sich in Luft auflöst? Irgendwann haben wir aber Glück und finden ein Hotel, sogar mit einer deutschsprachigen Besitzerin. Wir können zwar nur eine Nacht bleiben und müssen die nächsten beide Nächte woanders hin, aber danach wäre es auch kein Problem. Wir waren zufrieden.

Für heute haben wir was, für morgen finden wir noch was und weil unsere Räder schon sicher verstaut im Keller stehen, werden wir in drei Tagen wieder kommen. Danach geht es erst einmal auf Stadterkundung und zurück zum Busbahnhof, wo wir unsere Tickets für die Fähre nach Uruguay kaufen. Gerne möchten wir noch einen Tagesausflug dorthin machen, besonders, weil wir auf der Fahrt von Posadas nach Buenos Aires ja daran vorbei fuhren und auf einen Zwischenstopp verzichteten. Enttäuschen sind jedoch in der Hauptstadt die Touristenbüros, die einerseits schlecht ausgestattet sind und andererseits dem Anschein nach nicht zusammen arbeiten. Jedes hatte eine andere Art von Stadtplan. In den nächsten Tagen machen wir kleine Ausflüge. Einer davon geht nach La Boca, wo wir die bunt bemalten Häuser der berühmten Straße besichtigen. Da aber Tango nicht unser Ding ist, können wir uns nicht so für das ganze Drumherum begeistern. Es sieht nett aus, ist überfüllt mit Touristen, das ist aber auch alles. Ein paar Blocks weiter befindet sich das Stadion des berühmten und erfolgreichen Fußballvereins Boca Juniors, dem Verein von Diego Maradona. Wir gehen in das Stadionmuseum, schauen uns das Spielfeld und die eigentümliche Tribüne an und fahren dann mit dem gewöhnlichen Linienbus zurück ins Zentrum. Erstaunlich ist die Tatsache auch hier wieder einmal, dass die Touristen in La Boca und am Stadion mit dem Reisebus bzw. mit einer geführten Tour angekarrt werden. Individuell ist dort außer uns keiner. Aber wie schon oft gesehen, ist dies der Standard in Argentinien. Selber denken scheint nicht erwünscht zu sein. Der Höhepunkt dieser Tourguide-Praxis ist schließlich der Verein Boca Juniors selber. Ich dachte darüber nach, mir eines ihrer Heimspiele anzuschauen und frage daher im Touristenbüro nach, wo man mit großen Lettern wirbt, dass man dort Eintrittskarten erwerben könne.

Groß und laut: Buenos Aires

Doch was erhalte ich als Antwort? Man könne nur in einer geführten Tour ein Spiel als Tourist sehen. Das wäre zwar inklusive Abholung vom Hotel und Stadionbesichtigung aber zu einem Preis, den ich nicht zu zahlen bereit bin. Also lasse ich das sein, eine Stadionbesichtigung hatten wir ja eh schon hinter uns.

Täglich gehen wir in das so genannte Mikrozentrum, das sich östlich des Wahrzeichens erstreckt, dem Obelisken. Dieser war im Übrigen schön verpackt, als wir Buenos Aires erreichten. In schwarz-rot-goldenen Tüchern leuchtete er weithin sichtbar und meine Kathedrale von innenbescheidene Seele nahm zunächst an, dies wäre mir zu Ehren so gestaltet worden. Später erfuhren wir jedoch, dass es sich bloß um die 150jährige deutsch-argentinische Freundschaft handelte. Der Obelisk steht auf der Avenida 9 Jullio, der angeblich breitesten Straße der Welt. Sie hat zwar in der Tat 20 Fahrspuren, was im Berufsverkehr zu Erstickungsanfällen führt, aber die Hauptstraße in Brasiliens Hauptstadt Brasilia kam mir breiter vor. Aber ich schweife ab, also auf der Ostseite der Avenida befindet sich das Mikrozentrum mit dem Präsidentenpalast und der Straße Florida. Florida ist zehn Blocks lang und eine reine Fußgängerzone. Voll und laut sowieso aber auch kaputt. Zweimal sehen wir, wie Fußgänger in Schlaglöcher fallen bzw. stürzen. Dreckig ist sie auch, denn alle zehn Meter bekommt man Flugblätter in die Hand gedrückt. Würde man jedes nehmen, hätte man am Ende der Straße eine ganze Menge zu tragen. Auf jedem Block befindet sich mindestens ein Zeitungskiosk, der hinterste hat sogar deutsche Magazine, teilweise zwar veraltet, aber das macht nichts. Für unsere Schiffsreise reicht es alle Mal. Für die, die es ganz genau wissen wollen: Vom Retiro aus gesehen, der erste Kiosk auf der Florida, gleich neben McDonalds. Davon gibt es übrigens drei oder vier alleine auf dieser Straße. Von den anderen im Mikrozentrum ganz abgesehen.

Manche Ladeneingänge entpuppen sich sogar als große Einkaufspassagen, so dass man dort auch noch lange bummeln kann. Eine Passage fällt uns besonders auf. Nicht nur, weil vier oder fünf junge Leute am Eingang stehen und Zettel verteilen, sondern weil die ganze Passage nur aus kleinen Computergeschäften besteht. Nichts anderes als Computerzubehör in mehr al 20 Lädchen.

Wir beschließen, in einer kleinen Bäckerei, wie wir sie nur ein einziges Mal auf der gesamten Florida finden, leckere Gebäckteilchen zu kaufen. Schon während der gesamten Reise aßen wir diese kleinen Dinge jeden Tag. Meistens kauften wir so um die zehn Stück, die dann genauso viel kosteten, wie ein einziges in Deutschland. Allerdings waren in den kleinen Städten Argentiniens mehr Bäckereien zu finden, als in der Hauptstadt – seltsam. In dieser einen Backstube ist es zudem noch etwas skurril, nachdem wir bestellen und die Brottüte erhalten, gibt man uns auch noch einen Zettel in die Hand. Daraufhin müssen wir uns einfach nur umdrehen, einen einzigen Schritt machen und an der separaten Kasse bezahlen. Und damit alles schließlich seine Richtigkeit hat wird dieser winzige Zettel noch mit dem Stempelaufdruck „Pagado“, also Bezahlt versehen. Zu allem Überfluss muss man beim Betreten dieses wirklich kleinen Geschäftes auch noch eine Wartemarke ziehen, an die sich aber sowieso kein Mensch hält. Wohlgemerkt, der Laden ist mit Verkaufstheke höchstens 12 qm groß.

Gehen wir zum Hotel zurück, dass sich auf der anderen Seite der Avenida 9. Jullio befindet und die Straße ein Stück weiter, so kommen wir zum Kongress. Dorthin gehen wir jedoch nur ein einziges Mal. Erstens gibt es nicht sonderlich viel zu sehen, zweitens stank es unheimlich und drittens campierten ausgerechnet vor dem Kongress zahlreiche Obdachlose, die sich dort nachts an brennenden Fässern aufwärmen. Man kann nicht sehen, wo sie ihr Geschäft verrichten, aber man kann es riechen. Der gesamte Vorplatz vom Kongress stinkt nach menschlichem Urin und Hundekot, das hier wieder häufiger anzutreffen ist. Uns fällt es schwer, sich diese Gegebenheiten vor dem Berliner Reichstag vorzustellen.

Ebenso stinkt es im vornehmeren Stadtteil Recoleta. Dort gehen wir einmal um den Friedhof herum, auf dem Eva „Evita“ Peron begraben liegt. Während wir an den Außenmauern entlang laufen, habe ich zweimal würgen müssen du mich beinahe übergeben, so widerlich stinkt es dort. Zudem muss man wirklich aufpassen, wo man hintritt, da die Hundereste im Abstand von maximal nur einem Meter entfernt sind. Dazwischen kann man an den Schmierspuren aber gut erkennen, dass die Einheimischen weniger zimperlich sind und sich aus diesem Dreck anscheinend wenig machen.

Erst auf dem Friedhof selbst bekommen wir wieder frische Luft. Die Gruft von Evita ist nichts Besonderes, der Friedhof schon. Es gibt keine Blumen, nur wilde Katzen, die zwischen den zahlreichen Gruften hin- und herlaufen. Dabei scheint man sich selbst im Tod noch überbieten zu wollen. Große Statuen verzieren die Autokennzeichen Uruguaymehrstöckigen kleinen Gebäude. Im manche kann man reinschauen und die aufgebahrten Särge sehen, manche bröckeln schon auseinander und geben die Holzkiste unfreiwillig zum Vorschein.

Der optisch sauberste Teil der Stadt ist das Hafenviertel, ein Neubauviertel mit Restaurants und einem Museumsschiff. Dafür ist aber dort das Wasser im Hafenbecken ziemlich versifft und erinnert eher an einen Milchkaffee. An einem Tag besuchen wir ein militärisches Segelschiff der kolumbianischen Marine, die sich für einen Tag repräsentiert und werden von den Soldaten beim Betreten des Schiffes salutiert. Am Heck befindet sich die kolumbianische Flagge in einer Dimension, da hätte man sich fünfmal drin einwickeln können. Aber sehr freundlich, die Kolumbianer, gefällt uns sehr gut. An einem anderen Tag ist Moni in der Heiligen Messe der Kathedrale, während ich ein wenig mit der ältesten U-Bahn der Südhalbkugel unter der Erde hindurch fahre. Mit offenen Fenstern und alten Holzbänken ein echtes Erlebnis.

Na, und schließlich fahren wir mit der Schnellfähre der Gesellschaft Buquebus noch über den Rio de la Plata in den Ort Colonia del Sacramento auf uruguayischer Seite. Dort ist es recht angenehm und es machte Spaß in der kleinen Ortschaft spazieren zu gehen, die auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO steht. Und tatsächlich, in Uruguay fahren noch sehr viele alte Autos aus vergangenen Zeiten. Diese wollte ich unbedingt fotografieren, um später eine Ausstellung – Oldtimer in Südamerika damit veranstalten zu können. Mit dem Bus düsen wir von dort aus in die Hauptstadt Montevideo, wo aber kaum ein Unterschied zu Buenos Aires auszumachen ist. Nur die 180 km lange Landschaft zwischen Colonia und Montevideo gefällt uns sehr gut. Trotzdem sehnen wir uns wieder nach Mitteleuropa zurück, immerhin haben wir schon Halsschmerzen vom Smog der argentinischen Hauptstadt und nachdem wir so einige Zeit dort wohnen, ist auch irgendwann das Gefühl weg, dass wir die Stadt lustig finden. Dies lag aber nicht nur daran, dass wir den Taschendiebstahl bei McDonalds beobachten können oder uns im Taxi Falschgeld untergejubelt wurde, was wir erst beim Einkauf merken bzw. mitgeteilt bekommen, sondern auch am Dreck, den Abgasen, der Lautstärke und so vielem mehr.

Sehnlichst erwarten wir unser Schiff und so gehen wir am letzten Abend in Argentinien zum Containerhafen um Ausschau zu halten, obwohl wir wissen, dass es erst am Straßenbildnächsten Tag da sein wird. Plötzlich ruft Moni: „Da schau, ein Wohnmobil.“ In der Tat, diesen Anblick haben wir schon seit Monaten nicht mehr gehabt und bei einem Blick aufs Kennzeichen gehen wir schneller, denn es kam aus Deutschland. Der allein stehende Fahrer ist bereits 70 Jahre alt und kam vor drei Tagen mit der „Grande San Paolo“, ebenfalls ein Grimaldi-Schiff, in Argentinien an. Wir unterhalten uns und wünschen uns nach fast einer Stunde noch gegenseitig alles Gute und eine gute Weiterreise. Später sehen wir seinen Stellplatz am Containerhafen, der uns selbst in europäischen Regionen abgeschreckt hätte. Aber ein vertrautes Bild ist dann doch dieses Plastikfußbänkchen vor der Wohnmobiltür. Ein letztes Mal gehen zum Hotel zurück, ein letztes Mal ins Internet, ein letztes Mal an Land gehen wir schlafen. Gute Nacht, Argentinien und denkt dran: Las Malvinas sind britisch!

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Weiiter mit der Frachtschiffreise von Buenos Aires nach Hamburg

9 Kommentare zu „2007 – (3) Einmal quer durch Südamerika“

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