2007 – (3) Einmal quer durch Südamerika

Frachtschiffreise Teil 3 – Vom Amazonas bis Feuerland

Weiter nach Iguazu

 

Am Abend litt ich unter starken Schmerzen im Knie, nicht zum ersten Mal auf der Reise. Aber dieses Mal womöglich verursacht durch die lange Busfahrt. Nach Rad fahren steht mir momentan nicht der Sinn nach. Halb fünf in der Nacht ist es, als unser Wecker am nächsten Morgen ertönt. Wir tragen unsere Räder vor das Hotel und bepacken sie unter den neugierigen Augen des Rezeptionisten. Es herrscht noch Dunkelheit und kaum ein Auto ist unterwegs, als wir uns aufmachen, die 7 km zum Busbahnhof zu radeln. Es ist uns etwas unheimlich in der Nacht durch diese Metropole zu radeln und so achten wir darauf, den herum liegenden IMG_6181aMenschen aus dem Weg zu gehen. Erst radeln wir auf der falschen Straßenseite, was noch nichts Besonderes ist. Dann wechseln wir aber auf die reguläre Seite, wobei wir also alle 12 Fahrspuren und den Mittelstreifen überqueren. Dabei rennt uns ein Hund hinterher, der von einem anderen Hund laut bellend angefeuert wird. Trotzdem gibt er zu unserem Glück schnell auf. Auf der Anhöhe, zu der wir hochschieben müssen, sehen wir plötzlich drei dunkle Gestalten. Sie haben uns noch nicht bemerkt und so wechseln wir wieder rüber auf die anderen sechs Spuren, die uns entgegen kommen. Doch da am Wegesrand sitzt eine kleine Gruppe Menschen vor einem Feuer, das in einem alten Ölfass brennt. Also beschließen wir auf der Innenspur der falschen Richtung schnell den Abhang hinunter zu düsen. Das Ganze natürlich ohne Licht, damit wir nicht von Weitem gesehen werden. Den wenigen Autos, denen wir fälschlicherweise entgegen kommen, können wir zum Glück immer ausweichen. Man stelle sich vor, auf einer Autobahn kämen einem im Dunkeln auf der Überholspur zwei unbeleuchtete Radfahrer entgegen…

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Doch uns ist es lieber so, da wir nicht besonders scharf darauf sind, überfallen zu werden. Am Ende des Hügels dürfen wir aber nicht die Ausfahrt verpassen und müssen wieder auf die sechs Spuren in die richtige Richtung wechseln, wo wir jedoch auch erst einmal die ganz linke, also die Überholspur nutzen. Wie dem auch sei, wir kommen sicher an, befördern sie Räder in den Bus und fahren weitere 26 Stunden bis Foz do Iguacu durch die, unserer Meinung nach, schönste Landschaft Brasiliens. Wie schon bei unserer ersten Busfahrt staunen wir auch diesmal, wo der Bus uns überall hin bringt. Manchmal fahren wir sogar in das firmeneigene Busdepot, wo das Fahrzeug mal eben überprüft, gereinigt und mit Vorräten aufgestockt wird, während die Passagiere gebeten werden, kurz außerhalb des Busses zu warten.

Am Ende der Fahrt stehen wir wieder 4 km außerhalb einer Stadt und radeln einen kleinen Berg hinauf um die Räder in das Zentrum von Foz do Iguacu rollen zu lassen. Kaum angekommen werden wir auch schon von einem Mann mit gelber Warnweste angesprochen, ob wir eine Unterkunft suchen. Zahlreiche Handzettel verschiedenster Hotels und Hostels weisen darauf hin, dass er ein professioneller Anwerber ist. Seine Professionalität geht soweit, dass er geradezu vor uns her rennt, um unsere Ankunft im Hotel anzukündigen.

Wir blicken einmal kurz in das Hotelzimmer, lehnen es aber ab, weil es uns einfach nicht zusagte. Dabei versuchen wir dem Anwerber klar zu machen, dass wir lieber auf eigene Faust ein Hotel ausfindig machen möchten. Irgendwann hat er das auch akzeptiert, aber als wir dann durch die Straßen gehen, bleiben wir nicht lange alleine, denn schon der nächste Anwerber kommt auf uns zu. Letztendlich finden wir ein preisgünstiges Hotel mit eigenem Innenhof für die Räder.

Mit den Nasenbären auf Du und Du

 

Mit dem Linienbus machen wir uns noch am selben Tag auf den Weg zu den berühmten Wasserfällen. Hierbei handelt es sich um ein riesiges Gebiet mit zahlreichen tosenden Wasserfällen in wunderschöner subtropischer Landschaft, das sich genau auf dem Grenzgebiet von Brasilien und Argentinien erstreckt. Dementsprechend haben beide Staaten das Areal jeweils zum Nationalpark erklärt. Es handelt sich zwar um einen typischen Touristentreffpunkt, ist aber ein Muss, wenn man in den beiden Ländern unterwegs ist. Putzig sind dabei die frei herum laufenden Nasenbären, die sich auf alles stürzen, was irgendwie essbar ist. Wir können beobachten, wie einem Touristen in Sekundenschnelle der Trekkingrucksack entrissen wird. Die flinken Tierchen freuen sich sehr über den enthaltenen Proviant.

Von brasilianischer Seite aus hat man einen guten Gesamtüberblick auf die Abbruchkanten über die das viele Wasser nach unten stürzt, während man im argentinischen Park mehr inmitten des Geschehens ist. Doch innerhalb des Parks kann man –schon alleine wegen des Wassers- nicht die Grenze überschreiten.

Sehr auffällig ist die Tatsache, dass im Nationalpark der Müll getrennt. Wenn man 4.000 km durch Brasilien gefahren ist, wundert man sich schon, dass Mülltrennung bekannt ist und wie der getrennte Müll recycelt wird. Und zudem bleibt die Frage bestehen, warum das nur dort vor den Augen der Touristen möglich ist und nicht auch im Rest des Landes?

Abends machen wir noch Einkäufe in einem Supermarkt, der wieder einmal sehr an europäische Supermärkte erinnert. Interessanterweise tragen die Verkäufer, die mit offenen Lebensmitteln hantieren, nicht nur Handschuhe, sondern auch einen Mundschutz.

Willkommen in Argentinien

 

Am nächsten Morgen warnt uns der Rezeptionist, wie schon der Mann im Busbahnhof von Brasilia, vor dem Besuch des Stadtzentrums. Richtig besuchen wollen wir es aber auch gar nicht, doch auf dem Weg zum Grenzübergang nach Argentinien müssen wir halt dadurch. Und natürlich dort, ausgerechnet zwischen den vielen Menschen in Downtown mussten wir zweimal anhalten. Einmal blockierte meine Bremse, weil ich beim Packen den Spanngurt falsch festgezurrt habe und so das Fahrrad mal eben neu packen muss und ein anderes Mal springt mir ausgerechnet an einer völlig überfüllten und lauten Bushaltestelle die Kette ab. Trotzdem erreichen wir sicher und unbeschadet die Grenze und radeln fast am brasilianischen Grenzhäuschen vorbei, weil wir annehmen, es sei bloß eine Art Mautstelle, die nicht für uns gilt.

Eigentlich bin ich immer davon ausgegangen, dass weltweit an jedem Grenzhäuschen stolz die Nationalflagge weht – hier nicht. Schnell bekommen wir die Stempel in den Pass, radeln einen Kilometer über eine Brücke, die argentinisch-brasilianischen Farben bemalt ist und erhalten ebenso schnell auf der anderen Seite unseren argentinischen Einreisestempel. Nachdem wir unser letztes Geld aus Brasilien wechseln, rollen wir hinab nach Puerto Iguazu, dem argentinischen Pendant von Foz do Iguacu.

Die Dame im Hotel Parana ist sehr freundlich und freut sich, dass wir beide aus den exotischen Ländern Polen und Deutschland zwei Nächte bleiben wollen. Am Nachmittag spazieren wir zunächst zum Dreiländereck Brasilien-Argentinien-Paraguay, das von zwei Flüssen geteilt ist. Jedes angrenzende Land (Paraguay, Brasilien, Argentinien) hat eine Art Obelisk in der jeweiligen Landesfarbe auf sein Territorium gestellt. Trotz Touristenort gefällt es uns recht gut in Puerto Iguazu, wir staunen über die laute Musik aus den Autos, die den nächsten Wahlkampf ankündigen und gehen abends in ein gemütliches Straßenrestaurant, wo ein großes Bier aus einer Einliter-Flasche besteht.

Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Bus „El Practico“ zum argentinischen Teil des Nationalparks, der wesentlich größer ist. Hier fühle ich mich zum ersten Mal auf der Reise ein klein wenig ausgenommen. Besucher, die in der Region wohnen, zahlen 6 Peso, Argentinier 12, Touristen aus den Nachbarländern Brasilien, Uruguay und Pararguay 18 Peso. Tja, und die reichen Touristen von ganz weit weg, müssen 30 Peso Eintritt bezahlen. Am Parkeingang steigt man zunächst in einem Bummelzug, der einen zu einem 1 km langen Steg bringt. Diesen begehen wir bis zum Wasserfall El Diablo, dem größten von allen, aber halt nur einer von unzählig vielen. Sehr schön ist der Rundgang durch die vielen Wasserfälle. Es beeindruckt uns sehr, aber auf die Fahrt mit dem Boot unterhalb der Fälle verzichten wir dennoch. Neben den Nasenbären gibt es hier auch viele Schmetterlinge, die man natürlich nicht berühren darf. Wir finden das ungerecht, denn umgekehrt berühren sie uns ja auch ständig. Wir können und wollen uns nicht wehren, aber plötzlich haben wir Schmetterlinge auf der Hand, auf der Schulter, an der Hose, einfach überall.

Nachmittags kaufen wir bereits unser drittes Paar Schuhe auf der gesamten Reise seit Deutschland. Die anderen beiden Paare waren schon zerschlissen, woran man gut erkennen kann, wie viele Kilometer wir seit dem Start in Essen auch schon zu Fuß zurücklegten.

Doch der Kauf ist nicht mit dem zu vergleichen, was man in Deutschland unter Schuhkauf versteht. In dem Geschäft liegen die Schuhe wahllos und völlig unsortiert durcheinander und statt dass wir uns die Schuhe selbst aussuchen könnten, bringt die Verkäuferin aus dem Lager immer irgendeinen Schuh, bei dem sie der Ansicht ist, er könne uns gefallen. Irgendwann war uns die Optik des Schuhs egal und nach dem x-ten Paar, das uns gezeigt wird, kaufen wir einfach – Hauptsache es passt.

Am Busbahnhof von Puerto Iguazu sehen wir zum ersten Mal das Hauptverkehrsmittel Argentiniens, den modernen Reisebus. Waren wir in Brasilien doch schon arg überrascht über den relativ guten Komfort und freundlichen Service, so herrscht in argentinischen Bussen anscheinend der Luxus pur. Es gibt mehrere Sorten von Sitzen, die da heißen: Cama, Coche Cama, Semi-Cama und Premiere Classe. Da für uns Europäer natürlich auch die exklusivsten Sitzgelegenheiten erschwinglich sind, nehmen wir uns vor, diese auch mal zu testen. Doch uns schwant Böses, wenn es um unser Gepäck geht. Im Gegensatz zu den Bussen Brasiliens sind es in Argentinien fast nur Doppeldecker. Das bedeutet, es gibt weniger Stauraum. Während im nördlichen Nachbarland auch noch mal eben Kühlschränke oder ähnlich sperriges Zeug eingepackt werden kann und wir an den dortigen Bahnhöfen wahre Berge von Kartons sahen, die alle noch irgendwie in den Bus hinein passten, so stehen in Argentinien jedem Reisenden nur zwei Gepäckstücke zu. Da werden wir wohl nicht mit durchkommen, wenn wir sagen, dass wir jeder „nur“ ein 50 kg schweres Fahrrad haben, jeweils bepackt mit vier Taschen und zwei Seesäcken.

Nun, an den verschiedensten Schaltern fragen wir uns durch und eine nette Frau nimmt sich außerordentlich viel Zeit um unser weiteres Fortkommen zu klären. Am Ende stehen wir da mit Ticketinformationen der polnisch klingenden Busgesellschaft Horianski, die uns nach San Ignacio bringen soll.

Besuch bei der Jesuitenreduktion

 

Morgens um 20 Minunten nach 8 soll es losgehen, doch als wir mit unseren Rädern auftauchen, empfiehlt man uns dringend, den größeren 9-Uhr-Bus zu benutzen. Na, dann hören wir mal auf die Leute, kaufen uns um 7.45 Uhr Tickets für 9 Uhr, sehen den tatsächlich sehr kleinen Bus von 20 nach 8 , warten brav und erhalten schließlich die Auskunft, dass der 9-Uhr-Bus ausfällt, wir aber den Bus um viertel vor 10 nehmen könnten.

Also tauschten wir die Tickets um und hoffen, die Räder nicht noch auseinander nehmen zu müssen. Doch wir haben Glück und können so alles nach 2 Stunden Wartezeit problemlos in den Bus hieven. Rund 5 Stunden sitzen wir im Bus, was für argentinische Verhältnisse gar nichts ist und werden mit kostenlosem Kaffee und Dauerberieselung von Jim Carrey-Filmen versorgt. Der Steward teilt auch Becher mit giftgrüner Flüssigkeit aus. Obwohl es wie Kühlflüssigkeit aussieht, probiere ich davon und stelle mit verzerrtem Gesicht fest, dass es sich um Likör handelt.

Rechts und links der Straße sehen wir rote Asche auf der Erde und sind angesichts der schmalen und viel befahrenen Straße froh, dort nicht entlang radeln zu müssen. Als einzige Passagiere spuckt uns der Bus in einer Kleinstadt, fast einem Dorf, aus. Ähnlich wie in Brasilia wundern wir uns, da wir mehr Touristen erwarteten. Immerhin befinden sich in San Ignacio die berühmten Jesuitenreduktionen, Ruinen früherer Missionarshäuser.

Wieder einmal bepacken wir die Fahrräder und schieben sie genau gegenüber der Kreuzung zu einem Hotel. Nachdem wir uns dort günstig einquartiert und das Internet genutzt haben, machen wir uns auf den Weg zum Ruinenfeld. Vor dem Haupteingang lassen zahlreiche Reisebusse die Motoren laufen, während sich die dazugehörigen Insassen zwischen den sandsteinfarbenen Mauerresten hindurch bewegen. Zudem gibt es dort einige Restaurants und natürlich zahlreichen Souvenirstände. Es ist kurios; Unsere Unterkunft befindet sich lediglich 200 m von den Ruinen entfernt. Doch dort ist nicht, rein gar nichts. Eher beschleicht einen das Gefühl, in einer staubigen, alten Geisterstadt zu sein, während sich in geringer Entfernung ein heilloses Durcheinander von Touristen befindet.

Diese wiederum bekommen nichts von dem Ort mit, weil sie geradewegs bis zum Tor kutschiert werden. Diesem Phänomen, das in Argentinien anscheinend alles nur über geführte Touren läuft, begegnen wir noch des Öfteren. Die teilweise überwucherten Mauerreste sind schön anzuschauen und besonders im Licht der Nachmittagssonne schimmern die Wände in einem schönen rot-braunen Farbton. Mitten auf einer Wiese zwischen den Ruinen brütet ein Vogel und ruft bei unserem Dreiländereckunbeabsichtigten Näherkommen nach seinem Partner. Der kommt auch direkt angeflogen, geradewegs auf uns zu, um einen Angriff zu simulieren. Aber wir haben ja verstanden, hoffen aber, dass die Touristenströme, die sich noch hinter uns Dreiländereck Argentinien Brasilien Paraguaybefinden, auch verstehen und das brütende Federtier in Ruhe lassen.

Abends spüre ich, nicht zum ersten Mal, dass die Welt im Zuge der Globalisierung immer kleiner wird. Ich sitze im Hotel am Computer und während draußen die Hunde bellen treffe ich zufällig meine Mutter. Und zwar online im Netz beim Spielen von Rummikub, dem Kartenspiel. Es ist einerseits erstaunlich, andererseits erschreckend, wie die Welt zusammenwächst und man mittels modernster Technik kommunizieren kann, als sei man im selben Raum, wobei über 15.000 km zwischen uns liegen. Ich erinnere mich noch gut an diverse Urlaube an der Nordseeküste, wo man lange vor den Telefonzellen stand, um die Lieben zuhause anzurufen und man gleichzeitig hoffte, dass die Telefonverbindung klar und deutlich ist. Und heute? Heute sitzt man auf der anderen Seite der Erde, klickt gelangweilt im Internet herum, trifft seine Mutter und fragt, als wäre es da Normalste der Welt: „Kann ich mitspielen?“

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9 Kommentare zu „2007 – (3) Einmal quer durch Südamerika“

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