Frachtschiffreise Teil 3 – Vom Amazonas bis Feuerland
Mit dem Mietwagen durch Patagonien
Morgens erhalten wir einen VW Gol. Dabei handelt es sich nicht um einen Tippfehler, sondern um einen abgespeckten VW Golf. Bis auf das F im Namen fehlen auch noch einige Zubehörteile wie elektrische Fensterheber, Airbags, Zentralverrieglung so wie man es eigentlich von unseren Fahrzeugen gewohnt ist. Zudem ist das Auto mit fast 50.000 km Laufleistung recht alt für einen Leihwagen, was uns aber nicht weiter stört.
Unsere ersten Meter auf argentinischem Boden mit dem Wagen stellt sich so dar, dass uns mehrfach freundliche Leute entgegenkommen, die uns nett aber auch irgendwie mit Panik in den Augen deutlich machen, dass wir wenden müssen. So breit die Straßen auch sein mögen, es handelt sich dennoch meistens um Einbahnstraßen. Die Richtung wird manchmal dabei gar nicht, selten mit einem kleinen Pfeil angedeutet. Später erfahren wir, dass jede zweite Straße nach bzw. nach links führt. So einfach ist das System, also immer im Wechsel. Muss man sich halt nur merken, was zuletzt an der Reihe war. Zumal alle Straßen rechtwinklig angelegt sind, scheint es einfach zu sein, doch trotzdem riskieren wir auf diese Art auf unserer Reise fünf- oder sechsmal das Leben.
Fröhlich brausen wir aus der Stadt hinaus nach Norden und biegen auf die Ruta ab, die zur Halbinsel führt. Nach endlos scheinender Steppe, in der uns zwei Autos entgegenkommen, erreichen wir das kleine Kassenhäuschen wo wir für 100 Peso erfahren, dass in 21 km Entfernung die Parkverwaltung sitzt und ein Museum ist. Das schauen wir uns natürlich an und nach der Besichtigung von Bildern der vielen Tiere wollen wir sie nun endlich in echt erleben. Wir verlassen die Asphaltstraße und fahren auf einer Bus mit Steinschlagschutzstaubigen und einsamen Piste zum nördlichsten Punkt der Insel, der – sehr einfallsreich – den Namen Punta Norte trägt.
Obwohl wir die Fenster geschlossen haben, müssen wir die Kamera wegpacken, weil der feine Staub, den wir mit dem Fahrzeug aufwirbeln, durch alle Ritzen des Autos kriecht und sich überall im Wageninneren niederlegt. Besonders staubig wird es, wenn uns einer entgegen kommt, was in dieser Einsamkeit aber eher selten passiert. Unterwegs halten wir ein paar Mal an, weil wir einige der Guanakos, eine Lamaart sehen.
Nicht selten stehen die scheuen Tiere auf der Schotterstraße herum. Auf den letzten 30 km fährt ein anderes Auto vor uns her, was die Erklärung für die anwachsenden Staubschichten in unserem Wagen trotz Abstand halten ist. Am Punta Norte angekommen sind deren Insassen und wir die einzigen Touristen an einem einzeln stehenden Haus. Der Strand ist zum Schutze der Tiere abgesperrt und Hinweisschilder bitten darum, Ruhe einzuhalten um die Fauna nicht zu stören. Leise bewegen wir uns auf den schmalen Wegen und fotografieren ein paar Seelöwen, die am Strand Fähre über die liegen und in der Sonne faulenzen. Da wir erst im April Seehunde in Dänemark sahen, wesentlich näher dran waren und diese nicht so träge wie ein Fels herum lagen so wie diese argentinischen Seelöwen, verlieren wir schnell das Interesse und ziehen weiter wobei wir noch immer darauf hoffen, kleine watschelnde Pinguine zu erblicken.
In einer kleinen Hütte treffen wir auf einen Parkwächter, der uns aber das sagt, was wir schon wissen: Oktober, vielleicht September. Momentan seien keine hier. Und der Mann muss es eindeutig wissen, er sitzt ja den ganzen Tag hier und es ist sein Job Ausschau zu halten.
Wir gehen zum Parkplatz zurück, wo mittlerweile nur noch unser Auto stand und nutzen die Toilette des Restaurants, welches in der Hauptsaison wahrscheinlich gut besucht ist. Plötzlich huscht da was über den Weg. Wir zucken zusammen und bleiben stehen. In rund fünf Meter Entfernung regt sich ein braun-graues halbrundes Tier auf dem ebenfalls braunen, ausgetrockneten Boden. Ich schleiche mich, mit der Kamera bewaffnet, langsam und leise näher und bei jedem Geräusch, dass ich trotz aller Vorsicht mache, zuckt das Tier zusammen und steckt seinen Kopf in eine kleine Erdhöhle. Doch genauso schreckhaft es ist, so ist es auch neugierig und schaut nach wenigen Sekunden Pinguine aus Schokoladewieder heraus, wer der fremde Eindringling denn da ist. Moni hält Abstand, während ich mich auf diese Art langsam nähere bis das Tier und ich sogar Körperkontakt haben. Es handelt sich um ein Gürteltier, das mit seiner zuckenden Nase vorsichtig an meinen Fingern schnuppert und mir anschließend erlaubt ihm über den Kopf zu streicheln. Moni, die etwas zur Seite steht, hat eine Begegnung mit dem Partner des Tieres. Doch bei diesem Beinahe-Zusammentreffen handelt es sich eher um Zufall, da das Gürteltier plötzlich aus einem Gestrüpp hervor geschossen kommt und blindlings auf Moni zu rennt. Nachdem sich beide erschrecken, verschwindet eines der beiden Lebewesen in einem Erdloch. An dieser Stelle soll ich schreiben, dass es nicht Moni ist, die in einem Erdloch verschwindet.
Nachdem wir also Guanakos, Gürteltiere, Seelöwen, Wildpferde und nicht zu identifizierende Vögel sehen, fahren wir wieder zurück. Nochmals 100 km auf anstrengender Schotterpiste bis zum einzigen Ort der Halbinsel, Puerto Piramides und später in unser „Basislager“. Puerto Piramides gilt ebenfalls als Ausgangspunkt für Touren auf Valdez, ist aber sehr klein und eher schmuddelig. Spaßeshalber und aus beruflichen Gewohnheitsgründen schauen wir uns dennoch dort den Campingplatz an und sind froh, dass wir ein schönes Hostelzimmer haben.
Dort reduzieren wir am Abend unser Gepäck auf zwei Packsäcke, eine Fahrradpacktasche. Einen kleinen Rucksack und natürlich unsere kleinen Lenkertaschen. Da sich in der Fahrradpacktasche Pingu befindet und in diesem wiederum weitere wichtige Gegenstände, beschließen wir, diese Tasche ebenfalls immer bei uns zu haben und nicht in den Laderaum eines Busses zu packen. An den Rucksack befestigen wir die kleine Argentinienflagge, die wir vor der Reise basteln. Schon in den anderen Ländern spürten wir, dass sich die Einheimischen freuen, wenn sie ihre Nationalflagge an unseren Rädern baumeln sehen.
Weiter nach Süden
Ohne das Röntgengerät des Busbahnhofes nutzen zu müssen, verlassen wir das Gebäude, schreiten auf den Bus zu und nehmen an, dass es mit deutlich weniger Gepäck nun einfacher sein dürfte zu reisen. Nur die beiden kleinen Packsäcke und der Rucksack sollen im Laderaum verschwinden. Drei Teil für zwei Personen, damit hätten wir sogar noch ein Gepäckstück gut. Der Rucksack wird vom Fahrer eingepackt, aber dann? Er schaut uns an und sagt, die beiden Packsäcke sollen, bitte schön, mit zu den Sitzen genommen werden. Im ersten Anfall von Verwunderung und Überraschung machen wir dies auch, aber als wir an unseren Sitzen stehen und nicht wissen, wohin mit unseren Sachen und Körperteilen fragen wir uns, warum wir das eigentlich machen sollen. Also steige ich wieder aus, gehe nach hinten zum Heck des Busses und halte dem Fahrer erneut unsere Packsäcke unter die Nase. Keine Ahnung, was ich dem Mann getan habe, vielleicht liegt es aber daran, dass man sich auf dem Busbahnhof von Puerto Madryn gegenseitig auf die Nerven gehen muss, aber erbost schimpft er, ich solle die Taschen mit rein nehmen, es wäre doch alles schon voll im Kofferraum. Kaum sagt er das, hievt er einen schweren Koffer in der doppelten Größe unserer beiden Säcke hinein, was mir dann zu blöd wird. Ich mache ihm deutlich, dass hier, dort und da genügend Platz sei für noch größere Taschen und er jetzt endlich die Sachen da rein zu Wappen von Feuerlandpacken habe, weil ich nicht einsehen würde, warum ausgerechnet wir 1.300 km lang so sitzen sollen, dass wir unsere kleinen Zehe nicht mehr bewegen können. Und außerdem, so dachte ich mir mit einem Schmunzeln auf den Lippen, kenne ich die Ordnungshüter des Busbahnhofes sehr gut.
Nach dieser Diskussion, die ich erfolgreich für mich verbuchen kann, geht es dann endlich durch die Nacht hindurch über die endlos scheinende Ruta 3. Rechts und Links erstreckt sich Patagoniens einsame und auch eintönige Landschaft. Nichts gibt es zu sehen außer braune Einöde, die auf der gesamten Strecke eingezäunt ist. Ab und zu taucht ein Tor auf, das darauf hindeutet, dass das dazugehörige Farmhaus noch 20 km oder weiter enfernt sei und sich irgendwo inmitten dieser Estancias befindet. Gelegentlich sieht man Schafe, seltener Guanakos und ab und zu auch mal einen Gaucho auf seinem Pferd. Wir fragen uns, wo wir hier unser Zelt hätten aufschlagen können? Es wäre schlicht unmöglich gewesen, bestenfalls wäre man 10 m von der asphaltierten Straße weg gewesen auf der erstaunlicherweise viel Verkehr stattfindet.
Das Erstaunen legt sich dann jedoch, wenn wir mehr über den Grund dieser Verkehrsdichte nachdenken. Verkehrsdichte ist natürlich nicht ganz das richtige Wort, es ist eher ein Gefühl wie auf einer nächtlichen, deutschen Autobahn, d.h. im Schnitt kommt alle fünf Minuten ein Auto von vorne oder der Bus muss mal einen Lkw überholen. Das klingt natürlich nicht nach viel und mancher, der jeden Tag im Berufsverkehr auf einer deutschen Straße steht, wünscht sich solche Zustände herbei. Doch bei genauerer Betrachtung ist es nicht das wilde und menschenleere Patagonien, von dem immer geschwärmt wird. Betrachtet man die Größe der Region, also dem Mehrfachen der Bundesrepublik und die darin enthaltene Anzahl von Einwohnern, sollte man meinen, dass es ein Zufall sein müsste, jemanden anzutreffen. Doch zu diesem Zeitpunkt kommen diese riesigen Estancias ins Spiel, deren Ausmaße unvorstellbar groß sind und auch schon mal an die Größe des Saarlandes heranreichen können. Diese Schafzuchtfarmen oder Rinderbetriebe sind also komplett eingezäunt und Privatgrund, so dass sich das öffentliche Leben nur auf den Fernstraßen abspielen kann.
Und davon gibt es in Patagonien praktisch nur zwei; die Ruta 40 im Westen, von an späterer Stelle berichtet wird sowie die Ruta 3, auf der wir uns gerade befinden. So ist es also kein Wunder, dass wir zu keinem Zeitpunkt in Patagonien das Gefühl von Einsamkeit und Ruhe haben. Weder jetzt, was im gut besetzten Bus auch sehr verwunderlich wäre, noch später, wenn wir auf eigene Faust los ziehen. Wie gesagt, dazu später mehr, aber um eine Sache vorweg zu nehmen: In Schweden oder Norwegen kommt dies eher vor, da man dort tatsächlich „mal eben“ in die Wildnis abbiegen kann. In Patagonien ist dies nicht möglich, man steht vor einem Zaun, wird von einem Schaf angeglotzt und kann sich über den Draht hinweg die Wildnis aus der Ferne anschauen, die ja eigentlich keine ist, sondern bloß privates Weideland.
Rio Gallegos heißt unser Zielort, die südlichste Stadt auf dem argentinischen Festland und durch nicht passende Anschlussbusse unser Ausgangspunkt für zwei weitere Touren. Doch zunächst suchen wir eine Unterkunft und gehen wie gewohnt am Busbahnhof in die Touristeninformation. Dort gibt uns die junge Dame einen Stadtplan und macht mehrere Vorschläge, wo wir übernachten könnten. Als sie uns ein Hotel für umgerechnet 8 Euro empfiehlt, erklären wir ihr, dass wir auf „Löcher“ verzichten. Denn mittlerweile wissen wir, was man für diesen Preis in Argentinien zu erwarten hat. Will man ein einigermaßen vernünftiges Zimmer mit privatem Bad und etwas Ruhe, muss man je nach Ort zwischen 15 und 25 Euro bezahlen. Für 8 Euro bekommt man bestenfalls ein Bett in einem Gemeinschaftsraum mit Gemeinschaftsdusche und Gemeinschaftsklo. Auf dieses kollektive Leben habe ich noch nie Lust gehabt. Und außerdem möchten wir es wenigstens abends ein wenig gemütlich und schön haben, wenn es uns schon landschaftlich nicht besonders gut gefällt.
Hier vielleicht Pingiune?
Auf die Frage, ob es in der Nähe Pinguine gibt, erhalten wir natürlich die Standardantwort, was uns zugegebenermaßen etwas enttäuscht. Man hätte ja mal hoffen können. Mal davon abgesehen, dass wir mittlerweile unser Schiff für die Rückreise buchen mussten und das Anfang Oktober in Buenos Aires mit uns ablegen wird. Da bleibt uns also nicht mehr viel Zeit. Auf den Hinweis, dass wir trotz Gepäck ruhig in das Zentrum gehen könnten, hätten wir aber besser nicht hören sollen. Wie üblich war der Bahnhof weit außerhalb und wir beide sind sie Einzigen, die eine sechsspurige Straße überqueren, eine Brücke ohne Geländer benutzen, über staubige Baustellen wandern und durch ein Viertel spazieren, das mit ausgebrannten Autowracks und eingeschlagenen Fensterscheiben in den Häusern, in denen manchmal dunkle Gestalten hin und her huschen, stark an die New Yorker Bronx erinnert.
Scheinbar unendliche dieser Blocks, von denen eines dieses 8-Euro-Hotel sein soll, und etliche zähnefletschende und laut bellende Vorgartenhunde später Bucht bei Nachterreichen wir die wichtige Straße, auf der sich sämtliche Geschäfte und Hotels konzentrieren. Rio Gallegos ist weder Touristen- noch Messestadt oder eine Stadt, in der man Geschäfte tätigt und dennoch gibt es mehrere Hotels, von denen wir uns manche noch nicht einmal leisten können und die, die wir uns leisten können, sind ausgebucht. Alles sehr merkwürdig, doch wir finden nach langer Suche schließlich ein kleine Zimmer im Hotel Punta Arenas. Der ältere Herr, der seinem geschätzten Alter nach, das Land mitbegründete, trägt unsere Namen in das Gästebuch ein und nimmt ein riesiges Lineal um einen ordentlichen Strich von zwei Zentimeter Länge zu machen, womit er markiert, dass Zimmer 6 nun belegt ist.
Busfahrt nach Feuerland
Von Rio Gallegos aus wollen wir auf jeden Fall nach Ushuaia auf Feuerland und nach El Calafate zum Perito Moreno-Gletscher, doch wie auch schon bei anderen Autovermietern, erhalten wir in Rio Gallegos die Auskunft, dass eine Fahrt nach Chile mit dem Leihwagen nicht erlaubt sei und durch Chile müssen wir zwangsläufig, wenn wir nach Ushuaia fahren. Also kaufen wir zwei Bustickets, damit wir erst einmal dort hinkommen. Bei jedem Ticketkauf mussten wir bisher unsere Pässe vorlegen, hier natürlich erst Recht, da es zweimal über die Grenz geht. Und obwohl im Pass das Herkunftsland unter anderem auch in Spanisch geschrieben steht, muss ich dem Mann am Schalter erklären, dass ich aus „Alemania“ komme. Unweit von Rio Gallegos befindet sich das Kap Virgenes, wo ebenfalls eine Pinguinkolonie sei. Für umgerechnet 100 Euro bietet man uns eine Tour in einem Reisebüro an, wo wir eine Stunde Aufenthalt am Kap hätten. Doch eigentlich seien ja noch keine Pinguine da. Wofür man uns also die geführte „Privat“-Tour anbietet, ist uns etwas schleierhaft.
Damit wir am nächsten Tag nicht aller Früh durch die Bronx watscheln müssen, entscheiden wir uns für ein Taxi, das uns zum Busbahnhof bringt. Dort betreten wir einen Bus, dessen Front komplett vergittert ist. Chile muss ein Straße durch den Parkgefährliches Land sein, denken wir. Aber das Gitter dient natürlich bloß zum Schutz vor Steinschlag auf den geschotterten Pisten.
Etwas über eine Stunde dauert die Fahrt, bis wir an die Grenze kommen. Der Bus fährt rechts an einer langen Autoschlange vorbei, hält an und der Steward geht alleine in das Zollgebäude. Nach zehn Minuten sehe ich, wie er wieder hinaus gestürmt kommt und hektisch auf den Bus zurennt. Ist Chile vielleicht doch so gefährlich und jetzt müssen wir schnell flüchten? Er tritt in den Passagierraum, der von der Fahrerkabine durch eine Tür abgetrennt ist und ruft fast schon panisch: „Cinqo, Cinqo“. Dabei zeigt er auf die ersten fünf (cinqo) Passagiere, unter anderem uns und deutet an, ihm schnell zu folgen. Aber warum so eilig? Wir dachten, wir sind in Südamerika, dem Kontinent der Lässigkeit und des Mananas…
Also hechten wir schnell in einem mit Menschen überfüllte Schalterhalle, rennen dem Steward hinterher und geben irgendwem unsere Pässe, die zwischen zahlreichen Händen erst verschwinden und nach wenigen Sekunden mit frischen argentinischen Ausreisestempeln wieder auftauchen.
Das Spiel mit dem Namen „Fang den Steward“ wiederholt sich so lange, bis alle Passagiere an der Reihe sind. Danach fährt der Bus ein kurzes Stück und hält am chilenischen Grenzhäuschen. Dort ist es noch voller und es bildet sich eine lange Schlange, die wild und verschlungen durch die gesamte Halle führt. Vor unserem Bus ist noch ein anderer Bus an der Reihe, in dem eine argentinische Basketballjugendmannschaft sitzt und nur eine einzige Frau stempelt die Pässe und nimmt die Einreisekarten entgegen, die wir vorher ausgefüllt haben. Eine knappe Dreiviertelstunde dauert es, bis wir dran sind. In der Zeit stehen wir uns die Füße in den Bauch und lernen die englischen, deutschen und französischen Plakate an der Wand auswendig, auf denen die strengen Einreisebestimmungen stehen. Diese besagen, dass keine Lebensmittel nach Chile eingeführt werden dürfen. Während ich das lese und darauf warte, wieder einen kleinen Schritt nach vorne gehen zu dürfen, denke ich mit hungrigem Magen an die leckeren Kuchenteilchen, die wir noch übrig haben und auf unseren Plätzen im Bus auf uns warten…
Nach der Stempel-im-Pass-Geschichte ist die Zollkontrolle an der Reihe. Alles soll durch das Röntgengerät, doch ich sage der Dame, dass in der Packtasche eine Kamera mit Zubehör enthalten ist und ich sie gerne auf herkömmliche Art und Weise in die Tasche schauen lassen, aber bitte nicht mit Röntgenstrahlen. Nun, wenn das so ist, sei das kein Problem und ich dürfte Wanderwegwieder in den Bus steigen. Reingeguckt hat sie nun aber gar nicht, seltsam. Was hätte ich jetzt an Äpfeln und Birnen schmuggeln können…
Wir fahren auf schotteriger Straße durch Chile und die Landschaft ändert sich weiterhin nicht. Lediglich Graufüchse und Emus kommen noch zu den anderen Tieren am Wegesrand hinzu. Sicherlich war es Zufall, dass wir diese Tier nicht Ushuaia 20 Kilometerschon in Argentinien gesehen haben oder sind die Lebensmittel in Chile wirklich besser?
An der Magellanstraße, wo schon ein ziemlich kalter Wind bläßt, warten wir kurze Zeit bis uns die Fähre auf die andere Seite bringt. Von jetzt an befinden wir uns auf der Insel namens Feuerland. Sogleich werden wir von einem mehrsprachigen Hinweisschild vor dem Minenfeld gewarnt, dass sich auf der linken Seite befindet und an die weniger schöne Geschichte Chiles erinnert.
Feuerland unterscheidet sich von Patagonien insofern, dass die Landschaft hügeliger ist und das Auge auch mal was anderes zu sehen bekommt, als nur flache Ödnis. Schön ist es dabei, wenn wir selber mal über einen Hügel fahren und Greifvogeldabei weit ins Land schauen können. Doch auch hier gilt: Alles eingezäunt. Jedesmal, wenn man sich vorstellt, wie schön es wäre, durch die Einsamkeit zu wandern, wird man daran erinnert, dass ein Zaun im Weg steht und dies alles Privatbesitz ist. Später erreichen wir den Grenzposten Chiles, wo die Ausreise schnell vonstattengeht. Zu den Grenzbeamten Argentiniens muss man erst einmal wieder 16 km fahren. Ein großes Schild heißt uns nun in der argentinischen Provinz „Tierra del Fuego y Antartida“, also Feuerland und Antarktis Willkommen. Irgendwie lustig, politisch betrachtet, befinden wir uns also nun in der Antarktis, denn ein Teil des weißen Kontinents gehört zu Argentinien und dieser wurde der Provinz Feuerland zugesprochen
Der Albanier aus Deutschland
Auch die Einreise nach Argentinien, mittlerweile unsere dritte, geht wie erwartet sehr zügig. Dabei kann ich am Schalter der Grenzbeamten einen Blick auf die Passagierliste des Busses werfen. Fast alle stammen aus Argentinien. Nur zwei Franzosen und ein Albaner befinden sich noch mit uns im Bus. Doch halt, ein Albaner? Ich schaue genau hin und stelle fest, dass neben der Nationalität mein Name steht: Michael Moll, Albania. Hat der Fahrkartenverkäufer also weder lesen können, dass ich aus Deutschland stamme, noch hat er verstanden, dass ich Alemania sagte. So wird also aus Alemania Albania. Wie auch immer, die Polin und der Albaner steigen also wieder in den Bus und fahren weiter gen Süden. Während langsam die Sonne verschwindet, tauchen die südlichsten Gipfel der Andenkette auf. Schneebedeckte Berge, auf die geradewegs ein eine Straße zuführt. Und auf dieser Straße fährt der Bus mit uns drin. Die, unserer Meinung nach, schönste Region Argentiniens entfaltet sich gerade vor uns. Nachdem unser Bus einen Pass überwindet, rollen wir auf die südlichste Stadt der Welt zu. Es ist schon dunkel und unten an einer Bucht sehen wir die Lichter von Ushuaia.
Ankunft in Ushuaia
Da es keinen Busbahnhof gibt – wofür auch, es fährt ja eh nur dieser eine Bus – hält unser Gefährt in einer kleinen Seitenstraße von dem Büro der Busgesellschaft. Dort wartet schon der pfiffige Besitzer des Hostels Aonikenk mit seiner Tochter und warb um Gäste. Ihr Flugblatt und ihre Geschäftstüchtigkeit gefallen uns und weil wir ohnehin nicht wissen, wohin, steigen wir mit zwei anderen Passagieren ins Auto und lassen und zum Hostel bringen. Wir bekommen ein kleines Zimmer im Keller, das nett hergerichtet ist, Gauchowerden nach der langen Fahrt zu einem Kaffee in den Aufenthaltsraum eingeladen und können von dort durch das Panoramafenster auf die hell erleuchtete und weiter unten liegende Stadt blicken.
Prompt bekommen wir Informationen zur Stadt und Umgebung und gehen, trotz vorgerückter Stunde, noch in das Zentrum. Dieses besteht, wie bei vielen argentinischen Städten aus einer einzigen Straße, doch da tummelt sich eben das Leben. Auf Grund der Kälte, der Dunkelheit und der hübsch beleuchteten Häuser kommt es uns vor wie auf einem Weihnachtsmarkt, dabei haben wir aber gerade einmal den August hinter uns gelassen.
Mein Herz erfreut sich, denn alles, was man irgendwie mit Pinguinen verzieren kann, war auch verziert. Schlüsselanhänger, T-Shirts, Kugelschreiber, Magnetpins, einfach alles hatte Pinguinoptik. Und wenn nicht dies, dann eben den Schriftzug „Fin del Mundo“, Ende der Welt. Hier, an eben diesem Ende der Welt, wo es in der Tat nicht mehr weiter geht und nur noch die Antarktis kommt, komme ich mir vor, wie in einem Pinguinfreizeitpark. Es steht natürlich außer Frage, dass wir ein paar Tage bleiben und uns mit Postkarten, Lesezeichen und sonstigen Pinguin-Schnickschnack eindecken. Moni besucht die Heilige Messe in der südlichsten Kirche der Welt und wir fahren mit dem Bus in den Nationalpark „Tierra del Fuego“. Da es natürlich noch winterlich ist, sieht der Wald im Park noch recht braun und trostlos aus, aber es gefällt uns trotzdem. Manche der Bäume sind in merkwürdige, pflanzliche Fäden, vielleicht Flechten gehüllt. Wir spazieren durch ihnen hindurch und genießen die Ruhe auf Grund der fehlenden Touristen, begutachten einen einsamen Biberdamm, an dem zarte Eisschollen zerbrechen und gehen in Ruhe auf der matschigen Piste, die glücklicherweise für den Autoverkehr gesperrt ist bis zum Ende der Panamericana. Dort wartet natürlich das berühmte Schild mit dem Hinweis, dass es bis Alaska noch 17.848 km sind. Das obligatorische Foto wird gemacht, selbstverständlich auch mit Pingu, und schon blicken wir auf die letzten Inselchen vor dem Südpol, die jedoch wiederum zu Chile gehören. Ein schönes Gefühl hier zu sein und –das sollte nicht vergessen werden – das Experiment ist gelungen: Man fällt tatsächlich nicht vom Planeten, wenn man hier so weit unten steht.
Ein absoluter Höhepunkt wäre natürlich gewesen, genau hier an dieser Stelle zu diesem Zeitpunkt einem Pinguin zu begegnen. Doch das blieb uns verwehrt, doch na ja, man kann ja nicht alles haben und so begnügen wir uns mit den Hochlandgänsen, die immer nur als gemeinsames Pärchen zu sehen sind. Nachdem wir nun wirklich nicht weiter südlich gelangen können und noch lange Richtung Antarktis blicken, schauen wir uns an und sagen grinsend: „Na, dann komm. Fahren wir wieder nach Hause. Ab jetzt geht es wieder nur noch nach Norden.“
Um zurück nach Ushuaia zu kommen, warten wir auf den Kleinbus an einem Campingplatz. Viel ist dort glücklicherweise nicht los. Ein Segen, dass wir nicht in der Hauptsaison da sind. Zum Platz gehört auch ein kleines Restaurant, in dem wir uns mit einem Kakao aufwärmen. Doch ausgerechnet hier, am Ende aller Straßen, einem Ort, der irgendwie mehr ist, als nur ein Ausflugsziel, arbeitet wohl die mürrischste Person, die wir auf der gesamten Reise getroffen haben. Aber wir lassen uns unsere gute Laune nicht vermiesen und genießen den – zudem überteuerten – Kakao, während wir auf den menschenleeren Campingplatz schauen. Zwischen den Picknickplätzen können wir beobachten, wie Dutzende kleine Greifvögel wie Hühner in dem dichten Laub auf dem Boden scharren. Dabei fragen wir uns, wo sich diese Tiere aufhalten, wenn in zwei oder drei Monaten die Touristenströme hier eintreffen.
An einem anderen Tag wollen wir den Gletscher oberhalb der Stadt besichtigen. Mit dem Taxi lassen wir uns soweit hinauf bringen, wie es möglich ist. Dummerweise stehen wir aber dann vor einem Sessellift, den wir beide nicht benutzen wollen. Keine Flugzeuge, keine Fahrstühle und auch keine Sessellifte. Ein Weiterkommen zu Fuß ist nicht möglich und wird uns auch nicht erlaubt, da der Weg momentan zugeschneit ist. Mal davon abgesehen, dass wir für so etwas auch gar nicht richtig gekleidet sind. Unsere ursprüngliche Reiseplanung sah ja eigentlich etwas anders aus, normalerweise wären wir ja nun in den Tropen unterwegs gewesen. Mit ein Grund dafür, dass wir uns in Rio Gallegos bereits Jacken aus Schaffell kauften. Also gehen wir unverrichteter Dinge den Berg wieder hinab und verzichten auf den Gletscher, wir werden ja noch woanders einen sehen.
Flucht im Taxi
Einige Zeit gehen wir, als auf der einsamen Bergstraße plötzlich ein Hund vor uns auftaucht. Er ist zwar noch knapp 100 Meter entfernt, aber was ist das schon bei einem großen Vierbeiner, der einen unentwegt anstarrt? Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Weitergehen und wie bereits zweimal in Frankreich unser Pfefferspray aus der Tasche kramen oder zurückgehen und hoffen, dass sich der Hund davon trottet? Während wir darüber nachdenken, kommt unsere Rettung in Form eines Taxis von hinten. Wir springen ihm fast auf die Motorhaube, damit er anhält und lassen uns an dem Hund See mit Andenvorbei fahren. Da uns aber eigentlich nach Spaziergang war, steigen wir wieder aus, als wir glauben, von dem Hund weit genug weg zu sein. Doch als wir die ersten Häuser von Ushuaia erreichen, sehen wir in den weniger schönen Vororten an jedem Haus einen Hund. Manche Andengipfelliegen nur träge herum, andere sind angeleint, manche laufen auf uns zu und machen die schon die nächsten Hunde in der Nachbarschaft auf uns aufmerksam. Es wird zum Spießrutenlauf für uns, wie wir im Zickzack durch die Straßen wandern und darauf achten, feindlich gesonnenen Hunden aus dem Weg zu gehen. Wir haben den Eindruck, dass von allen Hunden Argentiniens, und das sind verdammt viele, die aggressivsten in Ushuaia leben.
Später besuchen wir noch zwei Museen. Das eine wird von Nachkommen der hiesigen Ureinwohner betrieben und zeigt in drei kleinen Zimmern die Geschichte der Region, der Ureinwohner und die Ankunft der Europäer vor langer Zeit. Aber auch ohne dieses Museum fragen wir uns auf der gesamten Reise, ob es nicht besser gewesen wäre, Südamerika nicht zu entdecken…
Das zweite Museum enttäuscht mich ein wenig, da es den Titel „End-of-the-world“-Museum trägt und ich aus irgendwelchen Gründen angekommen habe, dass es irgendwelche kuriosen Ausstellungsstücke beherbergt. Doch es geht auch 50 Meter hohe Eiswandhierbei um die Geschichte der Region, Magellan und weiteren Seefahrern. Abschließend machen wir uns noch auf den Weg zur Post, wo man sich einen Stempel der Stadt Ushuaia in seinen Reisepass geben lassen kann. Wir gehen zu einem Schalter, halten unsere Pässe hin und deuten an, was wir möchten. Der nette Mann verschwindet nach hinten und erscheint erst nach einigen Minuten wieder. Wir wundern uns, wo er hin ist bzw. von wo er denn den Stempel holt. Als er zurückkommt, erklärt er uns mit mitleidigem Blick, dass er keine Post für uns hätte. Ach herrje, jetzt haben wir ihn versehentlich zum Postlagerfach geschickt, dabei wollten wir doch bloß einen Stempel. Er lacht, als er unseren zweiten Erklärungsversuch dann doch verstand und übergibt uns seiner Kollegin nebenan, die uns direkt den Nachweis in den Pass stempelt, dass wir auch wirklich da waren – am Ende der Welt.
Irgendwann kommt die Zeit, auch Ushuaia Adieu zu sagen. Es hat uns sehr gut gefallen und wir sind froh, dass wir den weiten Weg auf uns genommen haben, in den Ort zu fahren, der eigentlich keine bedeutende Sehenswürdigkeit zu bieten hat. Aber es gefiel uns, doch jetzt stapfen wir frühmorgens mit unserem Gepäck in die düstere Seitenstraße, wo wir nach kurzer Wartezeit den Bus Ausflugsschiff zwischen Eisbergennach Norden nehmen können. Die Fahrt verläuft wesentlich schneller als geplant, da die beiden Grenzübertritte bei Weitem nicht so lange dauern wie auf der ersten Fahrt.
Wir erreichen Rio Gallegos, steigen dort ins Taxi, da wir ja jetzt dazu gelernt haben und lassen uns zum bekannten Hotel bringen. Der Taxifahrer, der natürlich nicht wissen kann, dass wir uns schon auskennen, fährt den richtigen Weg und zeigt uns dabei noch voller Stolz die Hauptsehenswürdigkeit der Stadt, nämlich die Einkaufsstraße. Wir nicken freundlich und machen einen erstaunten Eindruck, als hätten wir noch nie eine Straße mit Geschäften, geschweige denn diese Straße Gletscher Chilegesehen. Wir wollten den guten Mann ja nicht enttäuschen.
Gletscher Perito Moreno
Schon am nächsten Morgen geht es weiter und wir sitzen vier Stunden lang ganz vorne im oberen Teil des Doppeldeckerbusses. Es ist schön, auf die halbwegs leere Straße zu Eisskulpturenschauen, die manchmal bis zum Horiziont reicht. Nach der Fahrt stehen wir in El Calafate, einem abgelegenen Ort an der Grenze zu Chile. Eigentlich gibt es in dem Ort nichts zu sehen, abgesehen von der Einkaufsstraße, die in der Hauptsaison von Touristen völlig überfüllt sein dürfte und doch wollen wir absichtlich in das kleine Städtchen. Denn in einiger Entfernung liegt der Perito-Moreno-Gletscher, einer der wenigen Gletscher, wenn nicht sogar der Einzige weltweit, der im Jahre 207 noch wuchs.
Als wir aus dem Bus steigen, steht ein ganzes Empfangskomitee mit Werbetafeln und Handzetteln bereit um den Neuankömmlingen die besten, günstigsten, nettesten, saubersten, nahegelegensten Hostels schmackhaft zu machen. Wir bekommen unsere Packtaschen aus dem Kofferraum gereicht, als ein junger Mann, Vogelebenfalls mit Bildern bewaffnet, auf uns zutritt und um uns als Gäste warb. Wir sind erstaunt ob des Preises und beschließen, erst einmal mit ihm zu gehen. Nein sagen kann man ja schließlich immer noch. Doch als wir in dem gemütlich, warmen Zimmerchen stehen, dass sogar über Kabelfernsehen und einer Küche sowie einem privaten Bad verfügt und er uns nochmals den günstigen Preis bestätigt, schmeißen wir unser Gepäck aufs Bett und bleiben. Eine Stadtbesichtigung dauert wegen der Überschaubarkeit des Ortes nicht ganz so lange und die Internetcafés sind zum ersten und übrigens auch einzigen Mal in ganz Argentinien elend langsam, so dass wir verzichten und einen gemütlichen Fernsehabend verbringen. Wir sehen zwar bisher schon auf den Busfahrten genügend englischsprachige Filme mit spanischem Untertitel, aber eine leichte Sprachförderung kann ja nicht schaden.
Den darauf folgenden Tag verbringen wir mit einer geführten Tour – in diesem Fall war es uns egal – zum Perito Moreno Gletscher. Mit einem Kleinbus geht es am Lago Argentino entlang, bis wir vor den Anden stehen. Ein weiterer Grund hierfür, dass ich Touristengruppen nicht mag, abgesehen von den zeitlichen Einschränkungen, sind die Touristen selber. 20 Sitze im Bus, von denen zehn Sitze von fünf Frauen belegt werden, die eigentlich Gletscherzusammen gehören. Wir wissen nicht, ob sie sich untereinander nicht mögen, aber jede musste unbedingt eine Zweiersitzbank belegen. Als wir uns den Anden nähern, beginnen sie mit ihren Kameras wie Hupfdohlen im ganzen Bus herum zu hüpfen. Sie springen von dem rechten Fenster zum linken, setzen sich vorne an die Tür, halten ihre Kameras in alle möglichen Richtungen und springen Bus El Pinguinodem Fahrer fast auf den Schoss. Doch merkwürdigerweise müssen Frauen, so abstoßend sie sich auch benehmen, nur ein wenig ihren Ausschnitt öffnen, damit ältere, einsame Herren wie der von vorne links total darauf abfahren. Weitere Beschreibungen der widerlichen Anbahnungsszenen erspare ich mir an dieser Stelle.
Auf die kostenpflichtige Bootsfahrt verzichten wir und gehen stattdessen direkt den Weg hinauf bis zur Aussichtsplattform vor dem Gletscher. Imposant ist er anzuschauen und vom Standpunkt des Betrachters aus, reicht der 60 m hohe Gletscher 14 km weit bis nach Chile herein. Wenn man das so sieht, glaubt man kaum, dass das augenscheinlich kurze Stück 14 km sein sollen. Einen besonders schönen Größenvergleich hat man, wenn man das winzige Ausflugsboot sieht, das in gewissem Abstand zum Gletscherrand auf dem See entlang fährt. Die ganze Zeit, in der man das zackige Eis betrachten kann, hört man knackende und knisternde Geräusche und nicht selten kracht ein großes Stück Eis aus den Massen heraus uns stürzt tosend in das Wasser. Manches Mal scheint es dann doch nur ein kleines Stück gewesen zu sein, aber halt, da ist zum Glück immer noch das Ausflugsschiff als Größenvergleich.
El Calafate verlassen wir und verzichten auf den chilenischen Nationalpark Torres del Paine. Wir sind der Ansicht, dass wir ausreichend Anden gesehen haben und nur weil dort zwei, drei Felsspitzen etwas markanter aus dem Gebirge heraus ragen, sind wir nicht unbedingt scharf darauf, den Park auch noch zu besuchen.
Wir wollen nun, nachdem wir uns ja etwas Zeit ließen und uns mit etwas anderem beschäftigten, endlich unserem Hauptziel entgegen steuern – dem Besuch der Pinguine.
Aber jetzt muss es doch Pinguine geben…
Ein drittes Mal erreichen wir Rio Gallegos, wo wir dieses Mal ein anderes Hotel austesten. Nach dem Einchecken machen wir uns auf den Weg in das Touristenbüro, wo wir frohen Mutes fragen, ob denn nun endlich Pinguine gesichtet wurden und ob sich eine Fahrt zum Kap Virgenes lohnt. Dabei entsteht folgender Dialog:
„Es tut mir leid, aber wir haben doch keine Saison. Und momentan gibt es immer noch keine Pinguine.“ Mit mitleidigem Blick schaut uns die Dame aus dem Touristenbüro an.
„Gar keine? Nirgendwo?“, frage ich mittlerweile verzweifelt.
„Na ja, zwei oder drei – vielleicht. Aber mehr sicher nicht.“
Voller Hoffnung rufe ich: „Super, das ist doch was. Einer reicht uns ja schon.“
„Einer?“, völlig verblüfft fragt die asiatisch aussehende Angestellte und will witzig sein: „da kann ich ihnen auch eine Portkarte anbieten.“
Mit leicht steigendem Blutdruck setze ich mich aufrecht in den Stuhl und antworte: „Postkarte? Hören Sie, seit Monaten reisen wir ganz ohne Flugzeug, teilweise mit dem Fahrrad um die halbe Welt, immer im Gepäck einen 60 cm großen Stoffpinguin, um echte frei lebende Pinguine zu sehen, und…“
Bevor ich weiter reden kann, unterbricht mich die Dame und erklärt leise, fast schon entschuldigend: „Aber wir haben doch auch andere tolle Sehenswürdigkeiten: Wale, oder Gletscher…“
„Ich will keine Wale“, entgegne ich, „und auch keine Gletscher. Erstens hatten wir das alles schon und zweitens kann man das auch bei uns zuhause in Island sehen.“
In dem Moment schaltet sich Moni ein: „Zuhause in Island? Hast du vergessen, wo du herkommst?“
„Nein“, antworte ich, „natürlich nicht. Aber nach 20.000 km Reise bis an das andere Ende der Welt liegt Island doch eigentlich bei uns vor der Haustür, oder nicht?“
Doch nun sind wir nicht in Island, wo es ganz nebenbei bemerkt, auch keine Pinguine gibt, sondern in Rio Gallegos, der südlichsten Stadt des argentinischen Festlands, mitten in Patagonien und die Angestellte der Touristeninfo teilt uns mit, dass es zurzeit immer noch keine Pinguine an den Küsten zu sehen gibt.
Was sollen wir also tun? Unsere letzte Hoffnung liegt bei Punta Tombo in der Nähe von Puerto Madryn, wo unsere Räder untergestellt sind. Doch jedes Mal, wenn wir im Internet sind, überprüfen wir, ob das Reservat mittlerweile geöffnet ist – bisher immer Fehlanzeige.
Wir bekommen anschließend jedoch noch den Tipp, es im weiter nördlich gelegenen Puerto Deseado zu versuchen. Dort würde man die Ankunft der Pinguine jeden Moment erwarten. Allerdings seien das Felsenpinguine, die mit den roten Augen und dem Haarbüschel auf dem Kopf. Diese Information freut uns, denn wenn dies klappen würde, dann hätten wir sogar die Chance zwei verschiedene Pinguinarten zu sehen. Diese und die Magellanpinguine in Punta Tombo.
Um ganz sicher zu gehen, wollen wir den Vögeln jedoch nochmals etwas Zeit geben. Unser Plan lautet daher, etwas nach Norden in die Stadt Commodoro Rivadavia zu fahren, und von dort den Westen Patagoniens inklusive der legendären Ruta 40 und einen weiteren Teil der Anden mit einem Leihwagen auf eigene Faust zu erkunden. Ebenso wollen wir der berühmten Höhle mit den vorgeschichtlichen Handabdrücken, der „Cueva de los Manos“ einen Besuch abstatten, die mitten in der Einsamkeit liegt. Doch zuvor müssen wir noch einen weiteren Tag in Rio Gallegos verweilen. Abends finden wir nach langer Zeit endlich etwas, was einer typischen Ruhrgebietspommesbude ähnelt. Voller Freude stürmen wir hinein, nehmen Platz, bestellen Pommes Frites und stellen fest, dass das Essen ungenießbar ist.
Die folgende Hotelnacht ist jedoch nicht besser, erst ist lange nicht an Einschlafen zu denken, da das Zimmer in der Nähe der Rezeption und der Lobby liegt und die Tür ein großes Fenster besitzt. Durch dieses scheint die ganze Nacht das Licht des Flures hindurch und der dünne Vorhangstoff sowie die Handtücher aus dem Bad bringen nur wenig Besserung. Als dann doch irgendwann die Müdigkeit gewinnt, werden wir wach, weil jemand in der Lobby den Fernseher anmacht. Für Südamerikaner scheint es nichts Wichtigeres als den Fernseher zu geben und wir haben es schon oft erlebt, dass die erste Tätigkeit eines Argentiniers am Morgen darin besteht, den Fernseher anzumachen. Kaum erwähnenswert die Tatsache, dass dies natürlich nicht diskret erfolgt, sondern noch die Nachbarn hören sollen, welche dämliche Sendung schon morgens verfolgt wird. So nehmen wir also an, dass es sieben oder acht Uhr morgens ist und machen uns schläfrig mit dem Gedanken vertraut, langsam aufzustehen. Als der Fernseher nach einigen Minuten doch leise gestellt wird, wagt Moni einen Blick auf die Uhr und verkündet mit einer Stimme, als würde sie gleich töten wollen, dass es 3 Uhr morgens ist. Wir schauen uns erstaunt an und Endlose Weitelassen unsere Köpfe in die Kissen fallen. Gerade eben waren wir wieder weg getreten, als plötzlich das Telefon schellt. Ja, neben Kopfkissen befindet sich das Zimmertelefon. Es schellt – ein einziges Mal. Natürlich war niemand dran, es hat sich wohl jemand verwählt, nachts um kurz vor vier.
Ab sechs stehen schließlich die ersten Gäste auf, rennen laut polternd mit ihren Koffern an unserem Zimmer vorbei, in der Lobby ist Geschirrgeklapper zu hören und wir stellen fest, dass unser Klo kaputt ist. Das veranlasste uns, die nächste Nacht in einem anderen Zimmer verbringen zu wollen. Immerhin galt dies als ein 2-Sterne-Hotel. Da sich in Rio Gallegos viel Polizeipräsenz befindet, wir das Gefühl bekommen, diese Stadt lasse uns nicht los, das Essen sauschlecht ist, die Toilette kaputt und wir mit Licht und Lärm vom Schlaf abgehalten werden, tauften wir den Ort kurzerhand um in – Rio Guantanamo.
Wir sind froh, den Ort endgültig verlassen zu können und fahren mit dem bequemen Reisebus gen Norden. Am frühen Morgen, als alles noch dunkel ist, kommen wir in Commodoro Rivadavia an, steigen aus dem Bus direkt in ein Taxi und lassen uns zum Flughafen bringen, wo wir beim Autovermieter einen Leihwagen nehmen wollen.
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