2007 – (3) Einmal quer durch Südamerika

Frachtschiffreise Teil 3 – Vom Amazonas bis Feuerland

Mit dem Fahrrad durch Argentinien

 

Natürlich ist am nächsten Morgen niemand in der Rezeption, obwohl wir ankündigten, sehr früh aufstehen und auschecken zu wollen. Also lassen wir den Schlüssel im Hotelzimmer stecken und rollen die Räder über den Innenhof hinaus auf die Straße. Dass dieser Weg am gestrigen Ankunftstag wesentlich leichter gewesen wäre und wir nicht die Räder durch die Hotellobby hätten schieben und die Treppen hochtragen müssen, hat man uns gestern wohl vergessen zu sagen.

Stockdunkel ist es auf der Ruta 12, die uns die nächsten 60 Kilometer nach Süden bringen soll. Also ziehen wir unsere Warnwesten über den dünnen Pulli und legen los. Nach einer halben Stunde Fahrt Neuer Weg durch den Nationalparkziehen wir sie wieder aus. Nicht, weil es hell genug ist, sondern weil es anfängt zu regnen. Es war ja klar, dass es anfängt zu regnen, sobald wir die Fahrradlenker in der Hand haben. Also Regenjacke an, Warnweste darüber und weiter geht es. Die Region Misiones ist hügelig und –abgesehen von den Andenregionen- die wohl hügeligste Region des Landes. Und nachdem nun auch die Sonne hervor kommt, beginnen wir schließlich zu schwitzen – also Regenjacke wieder aus.

Als endlich der Regen, die Dunkelheit und auch die Hügel ein wenig nachlassen, wird es etwas angenehmer zu radeln, denn plötzlich gesellt sich zur Straße auch noch ein Randstreifen, der das Radeln auf diesen gefährlichen Straßen zumindest etwas sicherer macht. Solch einen Randstreifen sehen wir im späteren Verlauf der Reise nie wieder.

Ohne anzuhalten fahren wir an einer der vielen argentinischen Polizeikontrollen vorbei. Diese sind stationär und halten wahllos ankommende Fahrzeuge an. Das Ganze erinnert sehr an unsere letztjährige Reise nach Russland, man kann aber auch behaupten, an Überwachung. Mit diesen Polizeikontrollen, deren Orte anscheinend willkürlich festgelegt wurden, habe ich nicht das Gefühl, mich in diesem Land frei bewegen zu können. Ich zumindest, finde diese Angelegenheit suspekt. Bei der zweiten Kontrolle halten wir jedoch an, weil sich gleichzeitig im Büro die Touristeninformation von Posadas befindet. Gleichzeitig wird es dahinter auf den Straßen lauter, hektischer und dreckiger. Wir müssen regelrecht Staub schlucken, von den Abgasen ganz zu schweigen, um in die rechtwinklig angelegten Straßen des Zentrums zu gelangen. Die Hotelsuche ist natürlich nicht ganz einfach. Das erste Hotel ist, das zweite ist arrogant und die beiden ach so smarten Typen an der Rezeption haben uns als Gäste vergrault, indem sie beim Anblick zweier abgekämpfter Radler –nämlich uns- hämisch lachen. Dann halt nicht. Beim dritten waren wir willkommen und ich werde zur Zimmerbesichtigung gleich mal in den Fahrstuhl verfrachtet, der erst in der 10. Etage anhält. Das Zimmer ist soweit okay, aber auf die angepriesene Aussicht auf die Stadt können wir getrost Schmetterling auf der Handverzichten. Ich bitte um ein Zimmer wesentlich weiter unten im Haus. Den südamerikanischen Rettungswegen traue ich dann doch nicht so recht. Und überhaupt, ich bin nicht drei Wochen Schiff gefahren und habe das Flugzeug vermieden um in einem argentinischen Hochhaus mit dem Fahrstuhl abzustürzen. Also gehe ich brav wieder zu Fuß hinab.

Nachdem wir also ein Zimmer in der ersten Etage erhalten, geht unser erster Weg in die Apotheke. Wir wollen ein Wärmepflaster kaufen, weil ich mir letzte Woche beim Festzurren des Spanngurtes irgendetwas in der Schulter verrenkt oder gezerrt habe. Es war natürlich genau jenes Festzurren, welches dazu führte, dass wir in Foz do Iguacu das Rad neu bepacken mussten. Also eine völlig unnötige Verletzung.

Schon in der zweiten Apotheke erhalten wir das, was wir wollen. Zumindest etwas Ähnliches. Etwas fremdartig kommt uns dieses Wärmepflaster mit seinen zwei Metallstreifen schon vor, die laut Verpackung irgendetwas mit Elektrizität zu tun haben soll. Doch ich bin mutig, klatsche mir das Ding auf die Schulter und stelle nach 24 Stunden fest, dass das Ding nicht geschadet hat – aber auch nicht genützt.

Für ein Foto nach Paraguay

Gerne möchte ich ein Pingu-Foto aus Paraguay haben, also setzen wir uns in den städtischen Linienbus und lassen uns zur Grenze bringen, die dem breiten Fluss Parana besteht. Dort müssen alle Passagiere aussteigen, sich am Zollhäuschen anstellen und nach der Personenkontrolle wieder einsteigen. Da es sich bei fast allen Grenzgängern um einheimische Pendler handelt, geht die Kontrolle recht schnell vonstatten. Nur bei der Polin und dem Deutschen muss der exotische Pass genauestens inspiziert, kontrolliert und gestempelt werden.

Über die lange Brücke geht es dann auf die paraguayische Seite, wo es direkt ärmlicher und heruntergekommener anmutet. Allerdings spielt das für uns in diesem Fall keine Rolle. Wir wollen ja nur ein einziges Foto machen. Also stellen wir uns brav an den leersten Schalter bei der Einreisebehörde, nämlich an den für Nicht-Pendler, wie es sich gehört und haben trotzdem die längste Wartezeit. Nachdem die anderen Schalter mittlerweile auch wieder leer sind, kommen wir endlich an die Reihe. Die Zollbeamten sehen sehr interessant aus. Mit ihrer normalen, zivilen Kleidung heben sie sich ganz entschieden von dem ab, was man so unter Grenzbeamten versteht. Aber wenn es hier so erlaubt ist, dann bitte schön, zweimal einen Einreisestempel, danke.

Ein paar Soldaten, diese wenigstens in Uniform, frage ich, ob wir ein Bild von unserem Stoffpinguin vor der Nationalflagge machen dürfen. Freundlich wird genickt und Platz gemacht für die Verrückten, die ein Stofftier ablichten, während um uns herum in dem hektischen Grenzgewimmel ab und an das Wort „Pinguino“ zu hören ist.

Nach dem Fotoshooting gehen wir zurück zum Schalterhäuschen und stellen uns brav auf die andere Seite des kleinen Gebäudes, um nun unsere Ausreisestempel zu erhalten. Etwas irritiert schaut der Grenzbeamte, der immer noch in ziviler Kleidung seinen Stempel schwingt, doch nach getaner Arbeit steigen wir mit zahlreichen anderen Leuten in den Bus und werden zum argentinischen Grenzposten gebracht.

Am Busbahnhof von Posadas erkundigen wir uns lange in den verschiedenen Räumen der Busgesellschaften nach Preisen und Möglichkeiten, weiter in den Süden Argentiniens vorzudringen. Immerhin wollen wir endlich zu den Pinguinen an der Küste Patagoniens. Es gibt schäbige, kleine, verrauchte Büros, die nur 2 qm groß sind und klimagekühlte Ladenlokale, die ein vielfaches größer sind und in denen die englischsprachigen Angestellten uniformiert sind. Alle Wege nach Patagonien führen aber zunächst über die Hauptstadt Buenos Aires, wo man immer umsteigen muss. Und alle Gesellschaften erklären uns, dass das Auseinandernehmen der Fahrräder unvermeidbar sei. Da die Preise nur geringfügig abweichten, aber dennoch die Bequemlichkeit der Busse sehr unterschiedlich ist, entscheiden wir uns für eine der größeren und dem Anschein nach sichere Buslinie: Via Bariloche. Da die Räder nicht nur auseinander genommen werden müssen, sondern auch noch alles umständlich in Kartons verpackt sein soll, entscheiden wir uns dafür, die rund 1.000 km lange Strecke in einem Stück zu fahren und auf einen Zwischenstopp in Uruguay zu verzichten. Wir beschließen, das kleine Land zu einem Berühren verboten-Schildspäteren Zeitpunkt von Buenos Aires aus zu besichtigen. Da wir Posadas Sehenswürdigkeiten, nämlich eine 100 m lange Einkaufsstraße, nun zu Genüge kennen, begeben wir uns schon am Mittag des nächsten Tages zum Bahnhof, obwohl der Bus erst um 20 Uhr abfährt.

Aber es gibt ja noch genug zu tun. Unser erster Weg ist die Gepäckaufbewahrung, wo wir dem jungen Mitarbeiter Manoel erklären, dass wir eine Menge Pappkartons benötigen. Über ein Stunde sind Manoel und ich damit beschäftigt, in dem kleinen Büro die Räder auseinander zu nehmen und ordentlich zu verpacken, während Moni draußen auf unser Restgepäck ein Auge wirft. Ordentlich packt Manoel alles zusammen und lässt sich das mit 12,50 Euro für argentinische Verhältnisse gut bezahlen.

So stehen wir nun also da, mit 8 Packtaschen, 4 Seesäcken, zwei in Pappkartons gewickelte Fahrradrahmen, zwei kleine Möchtegern-Pakete, aus denen die Fahrradreifen schaue, unseren Lenkertaschen in denen sich alles Notwendige befindet und eine Plastiktüte mit etwas Proviant für unterwegs. Dazu haben wir noch einen dicken Pulli an und unsere Regenjacke griffbereit, da wir aus den brasilianischen Erfahrungen gelernt haben, dass südamerikanische Überlandbusse nachts sehr kalt sein können.

Dies ist der Zeitpunkt, an dem wir beschließen, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Mein Knie schmerzt schon seit Europa, mein Rad hat mittlerweile auf der Reise einige Schäden hinnehmen müssen und im tiefsten Süden Argentiniens herrscht Winter. Zudem haben wir die Lust verloren, auf den gefährlichen Straßen zu radeln und so halten wir das Rad momentan als unnötigen Ballast, der uns das Reisen zurzeit eher erschwert. Also werden wir in Puerto Madryn, unserem Ziel hinter Buenos Aires, die Räder irgendwo unterstellen und mit anderen Verkehrsmitteln weiterreisen.

Doch nun sitzen wir erst einmal hier auf unserem Haufen Zeug, essen ein paar Empanadas, die immer so lecker süß aussehen und sich dann doch als Teig mit Fleischfüllung entpuppen und schauen die nächsten sechs Stunden lang dabei zu, wie sich das Kinderkarussell im Busbahnhof dreht. Noch Tage später werden wir die dazugehörige Melodie im Ohr haben. Nach zwei oder drei Stunden Wartezeit hat Manoel wohl Mitleid mit uns und macht den einzigen Fernseher, der nicht eingeschaltet ist und direkt vor uns hängt, an. Danke, Manoel, wir werden dir die nächsten Stunden mit lauten und bunten Kinderfilmen nie vergessen…

Als sich der kleine Zeiger der Uhr der 7 nähert, bringen wir unseren gesamten Hausrat stückchenweise zum Bussteig. Dabei gehen wir so vor, dass einer von uns die Sachen von Punkt A zu Punkt B trägt, während der andere beide Punkte im Auge Kaktusbehält, damit auch ja nichts weg kommt. Nach unseren Lenkertaschen, die wir ja sowieso nie aus der Hand geben, ist die Packtasche mit Pingu unser wichtigstes Gepäckstück.

Mit der letzten Stunde Wartezeit sprach uns Ralf an. Ein Endvierziger, der 1980 nach Paraguay auswanderte und sich dort ein Stück Wald kaufte, heute aber mit Frau und Kindern in Buenos Aires lebt und ständig mit dem Bus zwischen den beiden Ländern pendelt. Er erzählt uns, dass sein Grundstück auch heute noch aus Wald besteht, aber drumherum alles abgerodet wurde und sich die so genannte Zivilisation mit all ihren hässlichen Neben- und Endprodukten breit gemacht habe. Erschreckend hierbei sei der Gedanke, dass dies in einem Zeitraum von nur einem Vierteljahrhundert geschah. Diese Infos bestätigen unsere Eindrücke, die wir bisher von Südamerika haben: Die Ausbeutung des Kontinents durch den „weißen Mann“ ist noch lange nicht abgeschlossen, sondern immer noch im vollen Gange.

Ralf fährt leider einen Bus früher als wir, so dass wir nicht lange Gelegenheit haben, mit ihm zu reden. Als unser Bus erscheint, gibt es natürlich kurze Diskussionen mit dem Fahrer wegen der Räder. Denn was man vergessen hatte, uns zu geben, war ein Ticket für die Drahtesel. Also muss ich schnell nochmal zu dem Büro, kann aber dort klären, dass wir nach unser Ankunft in der Hauptstadt die Fahrscheine bezahlen werden.

 

Bequemlichkeit im Reisebus

Im unteren Geschoss des Busses nehmen wir dann in breiten und bequemen Sitzen Platz, die viel Beinfreiheit hergeben. In einem herkömmlichen Reisebus befinden sich bekanntermaßen vier Sitzplätze pro Reihe, in diesem Abteil sind es nur drei, was eine angenehme Fahrt verspricht. Hinzu kommen noch eine Decke, ein Kissen, ein Abendessen, zwei Filme auf dem Flachbildschirm und am nächsten Morgen ein Frühstück. Da zur Decke auch noch die Heizung benutzt wird, war es unnötig von uns, unsere Regenjacken sicherheitshalber als Wärmespender mit zu den Sitzen zu nehmen.

Während der Nacht werden vom Steward noch die Vorhänge zugezogen. Ich erhebe jedoch leichten Protest, weil ich ein bisschen die Lichter da draußen sehen möchte, die an uns vorbei ziehen und nach dem Kreuz des Südens Ausschau halten möchte. Doch mein Protest ist zu leicht und so setzt sich der Steward mit seinem Willen durch und zog auch an meinem Fenster die Gardine zu. So Recht verstehen will ich den Sinn nicht, aber nachdem der Steward wieder vorne in der Fahrerkabine verschwindet, öffne ich die Gardine wenigstens einen kleinen Spalt.

Zwischenstopp in Buenos Aires

 

Mit dem Sonnenaufgang erreichen wir Buenos Aires, doch es dauert noch über eine Stunde, bis der Bus am „Retiro“, dem Busbahnhof ankommt. Wir zahlen brav die Frachtgebühr für die Räder und so stehen wir nun mitten in dieser Millionenmetropole zwischen zahlreichen hektischen Menschen, die sich auf über 70 (!) Bussteigen verteilen. Die Dimension des Bahnhofs ist unglaublich und erinnert in seinen Ausmaßen eher an einen internationalen Flughafen.

Da wir die Hauptstadt sowieso später noch besuchen werden, weil von dort unser Schiff zurück nach Europa ablegen wird, besorge ich abermals zwei Tickets, während Moni mit unserem Krempel wartet. Wir haben Glück und noch am selben Mittag wird uns der nächste Bus der Gesellschaft Patagonia weitere 1.400 km nach Süden bringen. Während der „nur“ dreistündigen Wartezeit bringen wir indessen in einem Kraftakt wie schon am Vortag unser Gepäck zum richtigen Bussteig und achten natürlich sehr darauf, in dem Menschengewimmel kein Gepäckstück zu verlieren.

Anschließend beobachten wir das ständige Einfahren der unzähligen Reisebusse, die im 30-Sekundentakt ankommen. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich weiß nicht, wann ich so viele Busse zuletzt auf einen Haufen gesehen habe, die gerade im Einsatz sind. Ein unglaubliches Massenspektakel, bei dem natürlich fast jeder Fahrer den Motor laufen lässt, auch wenn er zehn oder 20 Minuten oder sogar noch länger Aufenthalt hat. Dies ist ein Phänomen, das uns schon auf der gesamten Reise begleitet. Habe ich mich noch in Holland leise vor mich hin geärgert, wenn jemand den Motor seines Wagens laufen ließ, während er am Bankomaten schnell mal Geld abhebt, so habe ich hier spätestens die Hoffnung verloren, dass die Menschen lernen werden, die Umwelt zu schonen, geschweige denn, sie zu respektieren. Neben all dem sichtbaren Dreck und Müll in Südamerika der schon schlimm genug ist, wird auch noch unnötig die Luft belastet, obwohl es keinen Nutzen hat, wenn der Motor anbleibt. Rechnet man nur die vielen Busse Argentiniens, die an einem einzigen Tag, so wie jetzt genau in diesem Moment, unnötig Dreck auspusten, dann kann einem schlecht werden.

Wieder fahren wir durch die Nacht, doch diesmal nicht ganz so bequem. Wir nehmen uns vor, ab sofort immer die beste Kategorie zu wählen, da sie nur geringfügig teurer ist. Doch dafür kann ich in der Dunkelheit mit den Vorhängen vor den Fenstern machen, was ich will und so werden wir früh am nächsten Morgen Augenzeugen einer Mondfinsternis, die es auf der Südhalbkugel schon seit Jahren nicht mehr zu sehen gab.

Puerto Madryn ist nun der Ort, den wir als unser Basislager auserkoren haben. Die Ortschaft gilt aber auch für andere Touristen als Ausgangspunkt für Touren auf die Halbinsel Valdez, für Pinguintouren und für Walbeobachtungen. Doch wir wollen nicht nur ein oder zwei Tage lang ein paar Ausflüge machen, wir möchten unser Gepäck lagern und den Rest Argentiniens kennen lernen.

Doch zunächst einmal müssen wir uns um besagtes Gepäck kümmern. Da es nun schon merklich kühler ist und man noch den endenden Winter spürt, räumen wir unsere 16 Gepäckstücke in das Innere des Bahnhofsgebäudes mit der Absicht, dort alles zusammen zu puzzeln. Nachdem wir einen freien Platz direkt neben der Tür finden und uns dort niederlassen, geht Moni schnell mal zum Klo. Indessen beginne ich damit, sämtliche Fahrradteile von den Unmengen an Kartons zu befreien, die aus Manoels Hand, zweieinhalb Tausend Kilometer weiter nördlich, stammen. Weit komme ich jedoch nicht, denn als ich die ersten Reifen „entkartonisiere“ und das braune Verpackungsmaterial neben mir auf dem Fußboden verteile, kommen vier Zöllner um die Ecke. Nicht, dass ich etwas Verbotenes tun würde, nein, sie gehen in einem Rechteck und haben genau zwischen sich ein fahrbares Durchleuchtungsgerät zur Gepäckkontrolle, das in etwa die doppelte Größe eines Fotokopierers hat. Dieses Gerät muss furchtbar schwer sein, so dass vier Personen zum Transport benötigt werden. Auf dem zweiten Blick sieht man jedoch, dass jeder von den vier Zöllnern nur drei Finger zum Schieben benutzt und das Ding fast von alleine rollt. Eine wahrlich tolle Beschäftigungsmaßnahme, die mich allerdings nicht weiter stören würde, wenn, ja wenn das Gerät nicht unbedingt dorthin muss, wo momentan unser Gepäck herum liegt.

Also fordern sie mich auf, die Sachen woanders hin zu legen, was ich mit einem „Öh, jetzt?“ quittiere. Das verstehen sie natürlich nicht und ich lege noch hinterher, warum sie ihr Gerät nicht auf die gegenüber liegende Seite der Tür schieben. Sind doch nur zwei Meter mehr und macht sich dort genauso gut. Ich kann nicht erklären, warum, aber irgendwie nervt es mich unheimlich, wie sie da um ihre Kontrollkiste herum stehen und mich angrinsen. Ich weiß natürlich, dass Moni jeden Augenblick zurück kommen wird und wir für das Ent- und Bepacken noch mindestens eine Viertelstunde benötigen, hebe aber trotzdem die Hand, gehe in die Hocke, sage so etwas wie „Momento, momento“ und mache mit meiner Arbeit weiter. Diese Ignoranz meinerseits war einem der Zöllner dann doch wohl zuviel. Er greift zwei der Packtaschen und will sie demonstrativ an den freien Platz legen, den ich für ihr Gerät vorschlug, doch nicht mit mir, Amigo. Da kenne ich keine Uniformen, wenn jemand ungefragt unsere Sachen weg trägt. So entreiße ich ihm die Taschen und erledige den Job nachgebenderweise selber, während ich ihm gleichzeitig –natürlich auf Deutsch- Autokennzeichenanmeckere, dass ich es lächerlich finde, sich an so einem kleinen Bahnhof einer so kleinen Stadt so wichtig zu machen, in dem man ein Röntgengerät aufstellt. Die nächste Grenze ist über 1.000 km entfernt und überhaupt könnt ich als Fahrgast auch einfach um das Gebäude herum gehen anstatt hindurch und so die Kontrolle einfach umgehen.

Während ich ihnen also meine Meinung sage, die sie ohnehin nicht verstehen, mischt sich plötzlich auch noch der Mann von der Toilettenaufsicht ein, dass ich doch die Pappkartons nicht einfach auf den Boden werfen soll. Ja, Herrgott, spinnen denn jetzt alle? Im Gegensatz zu euch Argentiniern trage ich jeden noch so kleinen Zipfel Abfall zur Mülltonne, auch wenn sie noch kilometerweit entfernt ist und schmeiße nichts in die Landschaft. Und wenn die Obrigkeit mich nicht zwingen würde, was anderes zu tun, dann hätte ich die verdammte Pappe mittlerweile auch schon ordentlich entsorgt. Aber so kommt man ja zu nix.

Apropos kommen, Moni erscheint auch wieder, wir schieben alles zwei Meter weiter, packen dort zusammen und trotten von dannen. Da wir in den nächsten Wochen noch öfter im Busbahnhof von Puerto Madryn sein werden, können wir mehrmals beobachten, dass dieses Röntgengerät-Rumgeschiebe ein festes Ritual bei exakt diesen vier Zöllnern ist. Wird es nicht benutzt, so schiebt man es brav mit vier Mann wieder an seinen festen Platz, ganze 10 m weiter und überstülpt es mit einer Plane – jeden Tag.

Für heute haben wir aber genug davon gesehen. Schnell bekommen wir an der Touristeninformation Auskunft über ein Hostel und schieben schlussendlich die montierten und schweren Räder durch die Bahnhofshalle bis zum Ausgang. Dabei werden wir ganz nebenbei noch von einer Reinigungskraft beschimpft, weil Fahrräder im Bahnhofsgebäude nichts zu suchen haben. Bevor sie uns noch unter lautstarken Beschimpfungen mit ihrem schwingenden Besen trifft, ersparen wir uns Erklärungen und meckern leise vor uns hin, wie sehr wir in dieser Stadt willkommen geheißen werden.

Hostel in Puerto Madryn

 

Puerto Madryn ist das, was man eine typisch argentinische Kleinstadt nennen könnte. Die staubigen Straßen sind rechtwinklig angeordnet und besitzen rechts und links Bürgersteige, die bald drohen auseinander zu fallen. Sind die Bordsteinkanten nicht weggebrochen, so fehlen sicherlich große Teile der Gehwegplatten. In der Regel sind dann diese Löcher meistens mit Hinterlassenschaften der zahlreichen Hunde gesäumt, die zu Dutzenden herrenlos über die Straßen traben. Die Stadt liegt südlich der Halbinsel Valdez, die für ihre Tierwelt berühmt ist. Daher verstauen wir unsere Sachen im Hostel und reservieren einen Mietwagen für den nächsten Tag.

Zwar gibt es in der Stadt zahllose Anbieter von geführten Touren, doch wir sind keine Freunde von Touristengruppen, die von A nach B gebracht und vollgequatscht werden und dabei nur eine Viertelstunde Zeit haben, um Fotos zu machen oder die Natur zu genießen, damit die Gruppe schnell weiter kann. Wir sind doch keine Japaner. Außerdem ist der Zweck dieser Reise, dass wir endlich, endlich Pinguine zu Gesicht bekommen. Schon seit Jahren möchte ich mich einfach hinsetzen und Pinguine Vogelbeobachten. Da brauche ich keinen Tourguide, der mit laufendem Motor darauf wartet, dass seine Touristengruppe schnell wieder in den Bus steigt. Das Dumme ist allerdings nur, dass wir schon mehrfach die Auskunft erhielten, dass noch keine Pinguine da wären.

Es ist nämlich so, dass die Männchen der Magellanpinguine zwischen September und Oktober das südamerikanische Festland erreichen, Nester anlegen bzw. die Nester vom Vorjahr aufsuchen und auf die Weibchen warten. Danach wird gebrütet, geschlüpft und den Küken das Schwimmen beigebracht. Dieser gesamte Vorgang dauert schließlich bis März, bis die schwarz-weißen Vögel wieder für ein halbes Jahr in den Südatlantik hüpfen.

So, September und Oktober also, wir haben derweil Ende August. Da Pinguine Gürteltiermeines Wissens nach keinen Kalender mit sich führen, ist es ja vielleicht auch egal, ob wir nun am 31. August oder am 1. September auf Pinguinsuche gehen – wir versuchen es auf jeden Fall, auch wenn wir in Puerto Madryn nun schon mehrfach die Auskunft bekamen, dass wir – wenn überhaupt – höchstens einen oder zwei Pinguine zu Gesicht bekommen werden. Aber im Oktober, ja da wären Millionen davon da. Wer will aber schon Millionen? Einer reicht! Und sollten wir auf Valdez keinen sehen, so bleibt ja immer noch das Pinguinreservat Punta Tombo, dass sich rund 170 km südlich von Puerto Madryn befindet. Allerdings gibt es dort nichts zu sehen, außer eben Pinguine.

Wo sind die Pinguine?

Dementsprechend öffnet es seine Tore auch wirklich erst dann, wenn diese angekommen sind, in der Regel also Mitte September. Es steht außer Frage, wir sind zu früh dran. Doch wir haben ja noch etwas Zeit und können die Warterei noch mit der Besichtigung anderer Sehenswürdigkeiten verbringen. Da wir ja schon einmal hier sind, wollen wir natürlich auch noch nach Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt. Und das sind immerhin noch 1.500 km und wer weiß, ob wir nicht vielleicht auch dort auf Pinguine treffen. Doch dazu später mehr. Nun sind wir erst einmal in Puerto Madryn und klärten mit der netten Hostelbesitzerin, dass wir ein Großteil unseres Gepäcks und die Fahrräder für die nächsten Wochen bei ihr unterstellen können und das sogar gratis. Wir freuen und natürlich und machen uns sogleich auf den Weg, einen kleinen, handlichen Rucksack zu kaufen.

Eine andere Besorgung wollen wir in einem Elektrogeschäft machen. Da wir im Hostel zum ersten Mal in Argentinien Batterien laden wollen, doch kein Strom aus der Steckdose in das Ladegerät fließt, ist es nun an der Zeit, einen Spannungswandler zu kaufen, der aus 110 Volt rund das Doppelte, nämlich 220 Volt herstellt.

Strom? Ja, haben wir auch.

Es dauert einige Zeit, bis wir den Verkäufern hinter der kleinen Holztheke klar machen können, was wir brauchen. Erst als sich noch zwei Kunden in das Gespräch einschalten und wir also mit sechs Personen auf Spanisch, Englisch und Deutsch palavern, wird unser Problem langsam erkannt. Man fragt uns, wofür wir das Gerät Wildpferdebrauchen. Na, ganz einfach, um unsere elektrischen Geräte zu benutzen.

-Welche das denn seien?

-Ein Akkuladegerät, ein Mobiltelefon…

-Auch eine Digitalkamera?

-Ja, auch eine Digitalkamera, aber da sind Akkus drin, die wir laden wollen.

-Mit dem Ladegerät?

-Ja, mit dem Ladegerät.

-Und das Mobiltelefon auch?

-Ja, das auch.

-Wie sieht denn das Ladekabel dazu aus?

-Das haben wir jetzt nicht dabei, aber es sieht normal aus.

-Das sei schade, denn da steht drauf, was das Telefon für Strom benötigt.

-Aber wir wissen doch, was es für Strom benötigt.

Leere Straßen-Welchen denn?

-Na, das was in Argentinien eben nicht aus der Wand kommt. Und nun brauchen wir ein Gerät, welches eben diesen Strom in die richtige Spannung umwandelt.

-Woher wir denn kämen?

Aus Europa, aber warum…

-Ja, gibt es denn da einen anderen Strom?

-Anscheinend, unsere Geräte funktionieren hier auf jeden Fall nicht. Es gibt doch 110 Volt und 220 Volt, das ist doch bekannt.

-Ja, das sei schon richtig.

-Und eben, unsere Geräte benötigen halt genau das, was es hier nicht gibt.

-Und wir seien ganz bestimmt keine US-Amerikaner?

-Nein…

Gedenkstätte am Wegesrand-Woher wir denn wüssten, dass wir anderen Strom bräuchten?

-Na, weil die Geräte im Hostel nicht funktionieren.

-Dann müsse im Hostel etwas kaputt sein und wir sollen dort mal fragen. Außerdem hätten sie sowieso keinen Spannungswandler, der aus 110 Volt 220 Volt mache. Sie könnten höchstens einen Wandler anbieten, der aus 220 Volt weniger, nämlich 110 Volt mache.

Erst in diesem Augenblick wird uns langsam etwas bewusst. Warum haben Argentinier ein Gerät, dass 220 Volt-Strom umwandeln kann, wenn sie doch keine 220 Volt haben? Oder anders gefragt, warum haben sie ein Gerät, dass Strom in 110 Volt Spannung Weitewandeln kann, wenn 110 Volt sowieso aus jeder Wand kommt? Irgendetwas stimmt an dieser Logik also nicht und erst jetzt fragen wir: „Wieviel Volt kommen denn bei Ihnen aus der Steckdose?

„Na, 220 natürlich.“

Jetzt wird uns klar, warum sie uns so merkwürdig anschauten und seltsame Fragen zu unserer Herkunft stellten. Und na klar, gibt es in Argentinien doch 220 Volt, haben wir uns doch vor unserer Reise informiert, diese Info aber irgendwie unter Hochspannung mit den Infos zu Chile verwechselt, wo es wirklich nur 110 Volt gibt. Aber da unser Ladegerät nicht funktioniert, war das aus unserer Sicht, der einzige Grund hierfür. Dass wir unseren Reisestecker nicht auf die richtige Steckdosengröße einstellten und demnach kein Strom fließen konnte, finden wir erst nach diesem peinlichen Dialog in dem kleinen Handwerksbetrieb heraus.

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9 Kommentare zu „2007 – (3) Einmal quer durch Südamerika“

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