2010 – (2) Mit der Transsib nach Peking

Anreise mit dem Zug nach Moskau

Irgendwo zwischen Tjumen und Omsk sitze ich in der sanft schaukelnden Eisenbahn und beginne damit, dieses Tagebuch zu schreiben, während die sibirische Tiefebene an meinem Fenster vorbei zieht. Dabei hat die Reise von Moni und mir bereits schon vor fünf Tagen begonnen.

Am vergangenen Mittwoch starteten wir unseren „Wochenendausflug“ nach Nordkorea, der insgesamt rund vier Wochen dauern soll. Zwei Stunden bevor unser Zug in Dortmund abfahren sollte, standen wir schon auf dem Bahnsteig und füllten unsere Mägen mit McDonald’s-Produkten. Wir gehören zu dem Typ Mensch, der lieber zu früh als zu spät irgendwo eintrifft. Außerdem, was machen schon zwei Stunden Warterei, wenn man die nächsten acht Tage in einem Zug sitzen wird?

Immer wieder füllte sich der Bahnsteig mit Menschen, die beim Halt eines einfahrenden Zuges in den Waggons der Deutschen Bahn verschwanden. Nur wenige Personen blieben mit uns stehen, als die Züge Richtung Hannover und Berlin wieder abfuhren. Gesprächsfetzen gaben Hinweis auf ihr Ziel – Russland. Sie wollten mit demselben Zug fahren wie wir. Ohne umzusteigen mit 33stündiger Fahrzeit von Dortmund nach Moskau.

Pünktlich kurz vor 23 Uhr traf der Zug ein. Mit unseren beiden Koffern, zwei Rucksäcken und einem Stoffbeutel, gefüllt mit Wasser- und Colaflaschen schritten wir zu unserem Waggon, wo der stämmige, russische Schaffner den Weg versperrte. Bereits von meiner Moskaureise aus dem Vorjahr wusste ich, dass man nur nach Vorlage des Zugtickets Einlass erhält.

Nach einem prüfenden Blick auf das Ticket und einem skeptischen Raunen verwies er uns auf „Room Number Four“. Wir wuchteten unser Gepäck in den Waggon und schoben, zogen und zerrten es durch den schmalen Gang bis zum vierten Abteil.

Erst ein kräftiges Klopfen an die Tür führte dazu, dass es von innen geöffnet wurde. Zu unserer Überraschung öffnete uns eine junge Frau das Dreibettabteil. Dabei waren wir im Glauben, dass wir in einem reinen Männerabteil nächtigen würden. Bei der Deutschen Bahn empfahl man uns damals beim Kauf der Tickets ein Männerabteil zu buchen. Ein Mann hätte wohl weniger Probleme damit, dass einer von uns weiblich ist als eine Frau in einem Damenabteil, die feststellt, dass ich zur männlichen Gattung gehöre. Um dieser Empfehlung Folge zu leisten, entschlossen wir uns also damals Fahrkarten für ein Herrenabteil zu buchen. Und nun öffnete uns eine junge Dame. Wer hat eigentlich mich gefragt, was ich denn gerne hätte?

Ungeachtet dieser Irritation stemmten wir unsere Koffer in das schmale Abteil, in dem sich an einer Wand drei Klappbetten übereinander befanden. Das mittlere davon also bereits belegt. Moni nahm das untere Bett, während ich über die Leiter nach oben kletterte und eingeengt direkt unter dem Waggondach lag.

Auf meine Frage, ob die Leiter dort bleiben könne, wo sie war, entgegnete mit dir Frau in Englisch, dass dies doch ein Damenabteil sei und sie sich jetzt momentan ein wenig wundere. Gut, wir wunderten uns also nun zu Dritt. Damit wäre das ja auch geklärt.

Wir machten uns für die Nacht fertig, lagen in unseren Betten und versuchten einzuschlafen, als wir bereits an Hamm vorbei auf dem Weg nach Bielefeld waren.

Doch das Schlafen fiel uns schwer. Einerseits waren wir natürlich aufgeregt, weil es nun endlich los ging und die monatelange Vorbereitung nun endlich ein Ende hat. Andererseits rumpelte und wackelte die Bahn äußerst unangenehm durch die Nacht. Aus dem Vorjahr hatte ich eine ruhigere Fahrt in Erinnerung. Doch irgendwann gewann die Müdigkeit die Oberhand gegen das Gewackel. Ein tiefer Schlaf war es dennoch nicht, sonst hätte ich nicht gemerkt, dass es ab Hannover wenigstens etwas ruhiger wurde. Und sonst hätte ich auch nicht die weibliche Computerstimme vom Berliner Hauptbahnhof wieder erkannt, die in unglaublicher Lautstärke und mit einem enormen Widerhall ihre Ansage von sich gab. Zumindest hier bestanden Gemeinsamkeiten mit der Vorjahresfahrt. Ich behaupte, dass kein Bahnhof der Welt durch seine Ansage so deutlich erkannt werden kann, wie der Hauptbahnhof in Berlin.

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Dennoch, auch wenn der Schlaf unruhig war, richtig aufgewacht sind wir erst irgendwo im benachbarten Polen. An weiten Feldern vorbei ging die Fahrt gen Osten. Wir kamen mit der jungen Frau ins Gespräch, die sich auf der Rückfahrt von Barcelona nach Moskau befand. Ihr Mann und ihre zwei Söhne waren bereits nach einem gemeinsamen Urlaub in Spanien in ihrer russischen Heimat, per Flugzeug. Sie hingegen hatte Flugangst und legte die Strecke deswegen lieber mit dem Zug zurück. Auch ihr Auftreten und ihr gutes Englisch deuteten darauf hin, dass sie zur russischen Oberschicht gehörte. Welcher Russe kann sich schon einen jährlichen Spanienurlaub leisten, bei dem die Mutter in Allerseelenruhe mit dem Zug einmal quer durch Europa an – und wieder abreist?

Später erzählte sie uns vom Moskauer Straßenverkehr und dass ihr Mann täglich zwei bis drei Stunden im Stau stecken würde, wenn er zu seiner Arbeit im Stadtzentrum unterwegs sei, natürlich in einem ihrer beiden Autos – BMW und Renault. An Gepäck hatte sie nur einen kleinen Rucksack mit, dafür aber drei Tüten mit Souvenirs aus einem mehrstündigen Aufenthalt in Köln. Ihre Flugangst trat nach einem Bulgarienurlaub auf, als sie bei dem Rückflug einen Unfall mit der Maschine hatten.

Am Warschauer Ostbahnhof hatten wir einen längeren Aufenthalt, genauso wie natürlich an der folgenden Grenze nach Weißrussland. Die Grenzkontrollen verliefen sowohl auf polnischer als auch auf weißrussischer Seite unkompliziert. Stunden zuvor fragte uns der Schaffner, ob wir denn auch Visa hätten. Wahrscheinlich traute er uns Nichtrussen nicht zu, dass wir an Visa denken, wenn wir nach Russland fahren, ansonsten waren ja nur Russen im Waggon, die sich in seinen Augen wohl „besser auskennen“ und natürlich kein Visum für ihre Heimat brauchen. Das wäre zumindest auch eine Erklärung, warum er beim Kontrollblick auf unsere Fahrkarten am Dortmunder Hauptbahnhof skeptisch drein blickte. Vielleicht hatte er aber auch überlegt, ob er uns als seine Schmuggelgehilfen einsetzen könnte, so wie er es unter anderem mit unserer Abteilnachbarin tat. Ein Liter Hochprozentiges darf man nach Russland einführen. Unser Schaffner hat sich aber mit weitaus mehr eingedeckt und seinen Getränkevorrat auf die Passagiere ohne Alkohol aufgeteilt. Für uns blieb aber zum Glück nichts übrig.

Nach der Grenze schauten wir neugierig zu, wie die Weißrussen die Waggons auf die die größere Spurbreite umrüsteten. Dafür werden die einzelnen Waggons in einer Werkshalle hochgebockt, die westlichen Drehgestelle de- und die russischen Fahrgestellt anmontiert. Auch hierfür muss man etwas über eine Stunde an Zeit einplanen.

In Brest, dem ersten Bahnhof außerhalb der EU, bekamen wir dann auch zum ersten Mal Kontakt mit den Babuschkas, den Frauen, die zahlreiche Getränke und selbst hergestellte Lebensmittel an den Mann bringen möchten. Wir kauften uns ein paar gekochte Kartoffeln und saure Gurken und wurden von unserer Zugbegleitung überrascht, als sie uns von ihrem Einkauf Reibeplätzchen mit einem Döschen Sauercreme mitbrachte und uns schenkte. Bei letzterem waren wir allerdings etwas vorsichtig, denn die Sauercreme war schon einige Tage abgelaufen und wer weiß, wie lange sie schon in der Mittagshitze der prallen Sonne ausgeliefert war. Aber der Rest schmeckte sehr gut und vergrößerte die Vorfreude auf die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn.

Der weitere Weg durch Belarus verlief ebenfalls ohne weitere Zwischenfälle. Hinter Baranovichi legten wir uns wieder schlafen und als ich am nächsten Morgen aufwachte, stand Moni schon im Gang und wartete bereits sehnsüchtig auf die nur noch 100 Kilometer entfernte russische Hauptstadt.

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11 Kommentare zu „2010 – (2) Mit der Transsib nach Peking“

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  6. Hallo.

    Ich habe den Bericht zwwar erst jetzt (2015), aber doch mit genuss gelesen.

    Ich habe mit meiner Freundin auch eine Zugfahrt über Moskau bis nach Peking gemacht, allerdings über eine ganz andere Strecke, die unterhalb der Mongolei entlang führte. Das war Mitte der 90er Jahre.

    Wir haben uns auch viel länger Zeit genommen für die Strecke und haben zwischendurch in den Städten auch immer mal nen paar Tage Aufenthalt gewählt, um die Gegend und Kultur kennenzulernen.
    Die hatte zur Folge, dass wir auf weder die deutsche Zeit ständig im Kopf hatten und auch nicht (typisch deutsch, sorry) stunden vorher an den Bahnsteigen waren.
    Ich kann daher das junge Paar ganz gut verstehn, die erst kurz vorher an den Zügen waren. Man geht bei diesen Reisen dann viel mehr in Kultur und Zeit des jeweiligen Landes auf, was ich als super schön in Erinnerung habe.

    Viel Freude und Spass auf weiteren Touren

    1. Hallo,

      mit „unterhalb der Mongolei“ ist also Kasachstan und dann direkt China gemeint? Auch eine schöne Strecke, die wir uns für die Zukunft auch schon überlegt haben. Mal schauen, vielleicht klappt das ja mal.
      Wir hätten uns auch gerne mehr Zeit für andere Städte genommen. Aber wir hatten ja nur vier Wochen für die komplette Reise nach Peking und zurück. Wir haben den Schwerpunkt auf Peking gelegt und da war die Transsibirische Eisenbahn eben „nur“ ein Transportmittel für uns. Was die frühere Anwesenheit am Bahnhof betrifft, ist das nicht unbedingt typisch deutsch. Meine Lebensgefährtin ist nämlich keine gebürtige Deutsche und geht dennoch lieber auf Nummer Sicher. Immerhin geht es hier auch um viel Geld, was der ganze Spaß kostet und zuhause wartet halt auch pünktlich der Arbeitgeber, der nur wenig Verständnis zeigt, wenn man irgendwo in Peking seinen Zug zur Arbeit verpasst hat. Und so gesehen erlebt man auf Bahnsteigen auch sehr viel Kultur des jeweiligen Landes, das haben wir daher ebenso schön in Erinnerung.
      Viele Grüße
      Michael

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