2007 – (4) Frachtschiffreise von Buenos Aires nach Hamburg

Frachtschiffreise Teil 4 – Mit dem Frachtschiff von Buenos Aires nach Hamburg

Wir nähern uns Europa

 

17. Tag

Wir haben nur noch eine Stunde Zeitdifferenz zu Deutschland, da wir in der letzten Nacht die Uhr mal wieder um eine Stunde vorstellten. Das hatte zur Folge, dass wir uns mal wieder aus dem Bett quälten, zum Frühstücksraum wankten, zwei kleine Brötchen mit halb geöffneten Augen verspeisten und –zurück in der Kabine- ins Bett plumpsten. Zum Lunch sezierten wir wieder Fisch und gingen um 2, wenn der Kapitän lschläft, auf die Brücke zu Mantilla. Etwas wackeliger ist es geworden, aber dennoch haben wir gutes Wetter, das bis zu unserer Ankunft auch so bleiben soll. Exakt auf dem 36. Breitengrad befinden wir uns und wenn wir nach rechts blicken und 300 Seemeilen weit schauen könnten, würden wir Gibraltar sehen. Interessiert schauten wir zu, was Mantilla uns alles auf der Seekarte zeigte. Aufgefallen ist mir hierbei ein Punkt mitten im Meer westlich von Gibraltar: ”Explosives Dumping Ground (disused)”, also ein stillgelegter Müllabladeplatz, vermutlich für altes Kriegsgerät oder ähnlichem Zeug.

Das veranlasste mich gleich mal, im Aufenthaltsraum die Regeln der internationalen Seefahrt zur Entsorgung von Müll abzufotografieren. Diese besagen, dass bestimmte Abfallprodukte ab einer gewissen Entfernung zur Küste (3, 12 und 25 Seemeilen) ins Meer entsorgt werden dürfen. Ausnahmen hiervon sind jedoch die Antarktis, Nord- und Ostsee, Rotes Meer, Schwarzes Meer, Mittelmeer, Karibik, der Golf von Mexiko und die Golfregion im Nahen Osten. Der restliche Meeresboden darf sich ansonsten mit dem befassen, was von oben herab sinkt. Eine Tatsache, die mich ärgert, denn auch hier könnte man nach dem Prinzip handeln, dass man die gefüllte Coladose genauso transportieren konnte, wie man es mit der leeren auch könnte. Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt, den anfallenden Müll entsprechend zu sortieren und im nächsten Hafen zu entsorgen.

Da Moni ein wenig auf ihrem Handy herumspielte, konnte sie beobachten, dass die gelegentlich für Sekundenbruchteile eine Handyverbindung hatte. Doch es reichte nicht aus, um zu telefonieren. Dafür war die portugiesische Küste zu weit weg, an der wir jetzt Richtung Norden entlang schippern. Allerdings sahen wir nun wieder öfter Wale, die ihre Wasserfontäne nach oben bliessen.

18. Tag

Ich muss mich unbedingt mal morgens nach dem Frühstück wach halten, sonst kann ich nachts nicht schlafen. Bis 2 Uhr lag ich wieder wach, dabei kann ich auf einem Schiff eh schon nachts schlecht schlafen. Blöder Kreislauf: Nachts liege ich wach und morgens nach dem Frühstück schlafe ich ein, weil ich nachts wach lag. Hoffentlich gelingt es mir morgen den Prozess zu unterbrechen.

Nach dem Lunch sahen wir wieder Wale, Müll, und mittlerweile zahlreiche Schiffe. Mantilla zeigte mir auf dem Radarschirm Dutzende von Schiffen im weiteren Umkreis, elf davon konnten wir mit bloßem Auge sehen. Drei von diesen begleiteten uns in unmittelbarer Nähe an unserer Seite. Kurz vor dem Dinner war es soweit: Wir sahen europäisches Festland. Zum ersten Mal nach drei Monaten lag ein heimatliches Gefühl in der Luft. Nie zuvor habe ich mich so gefreut, Spanien zu sehen. Wir passierten das Kap Finisterre, wo ich vor fast einem halben Jahr noch an der Steilküste stand und aufs Meer blickte, als ich auf dem Jakobsweg pilgerte. Heute schaue ich in die entgegengesetzte Richtung und kann durch das Fernglas sogar Windräder erkennen. Ich drehe am Weltempfänger herum und schalte von der knisternden Deutschen Welle auf FM, wo zahlreiche spanische Sender in glasklarem Ton zu empfangen sind. Am Abend will ich mir einen Film anschauen, den ich mir 2 Wochen lang für die unruhige Biskaya-Bucht aufbewahrt habe, doch der Aufenthaltsraum ist belegt. Zum Glück ist gutes Wetter und die Bucht relativ harmlos. Dennoch liege ich bis tief in die Nacht wach.

19. Tag

Es ist geschafft. Ich bin wach geblieben, als wir vom Frühstück zurück in die Kabine kamen. Müsste also abends einschlafen können. Moni hat heute Geburtstag und beim Lunch kommt der 3. Offizier um zu gratulieren. Der Kapitän bekommt das mit, reagiert aber überhaupt nicht. Nicht, dass Moni darauf scharf wäre, aber traurig finden wir dieses Verhalten schon. Hat sich sein Bild, dass wir uns zu Beginn der Reise gemacht haben, doch noch bestätigt oder ist es am Ende doch nicht der Kapitän? Offiziell wissen wir es ja immer noch nicht.

Später auf der Brücke gratulieren noch Mantilla und ein Philippino, der bis dahin gar nicht so aufgefallen ist. Aber ausgerechnet dieser bringt Moni ein paar Schokobonbons als kleines Geschenk und gießt uns noch leckeren Tee ein. Lange schauen wir Mantilla bei der Arbeit zu, wie er gerade mit einem anderen Schiff telefoniert, weil sich das in 16 Seemeilen Entfernung gerade in den Weg stellt. Dabei werden interessanterweise sogar Informationen über Ladung und Personenanzahl ausgetauscht. Keine Ahnung, warum das das andere Schiff wissen muss, aber jetzt ist es darüber informiert, dass 29 Besatzungsmitglieder und wir 2 Passagiere an Bord sind. Mittlerweile sehen wir verdammt viele Schiffe und auf dem Radarschirm tummeln sich lauter kleine Dreiecke, Punkte und Striche. Noch sind 600 Meilen von Hamburg entfernt und befinden uns an der Westspitze der Bretagne, d.h. morgen werden wir den Ärmelkanal passieren.Ich ahnte noch nicht, dass wir im Jahr darauf den Ärmelkanal erneut überqueren würden, wenn wir mit einem Wohnmobil nach England reisen.

Abends beim Lunch bringt nun auch der 3. Offizier liebevoll eingepackte Bonbons und es gibt zum Nachtisch sogar noch eine große, leckere Torte mit dem einem Happy-Birthday-Schriftzug, die wir uns mit den anwesenden Crewmitgliedern teilen. Lediglich der Tisch der Führungsriege bleibt, wie jeden Abend, leer. Es ist an sich nicht weiter schlimm, aber wir stellen uns vor, wie der Geburtstag wohl auf der Marfret Normandie ausgesehen hätte: Wir hätten mit allen, die an Bord sind, kräftig gefeiert. Hier aber gehen wir nach dem Dinner in die Kabine, wo uns Mantilla noch Atomkraftwerk Brokdorf am Elbuferschnell hinterher kommt, weil er noch ein persönliches Geschenk überreichen will, worüber sich Moni sehr freut. In der Dunkelheit sehen wir später noch viele Leuchttürme, Schiffe und auch wieder regen Flugverkehr. Es ist zu spüren: Wir sind in Europa!

Auf der Elbe bis Hamburg

 

20. Tag

Frühmorgens sitzt ein Spatz auf dem 9. Deck. Er sieht erschöpft aus, kein Wunder. Sonst sehen wir nur Möwen um uns herum kreisen. Aber der Spatz ist ein eindeutiges Zeichen, dass das Land nicht weit weg sein kann. Gegen Mittag sehen wir erst England und kurz darauf die französische Küste. Wir schlingen beim Lunch unsere drei Gänge in Rekordzeit hinunter und verzichten auf den anschließenden Espresso, weil wir an Deck gehen wollen. Schnell in die Jacken, denn es ist kalt in Europa und schon blicken wir auf die Windmühleweißen Klippen von Dover und die gegenüberliegende Felsenküste bei Calais. Sogar den Rathausturm kann ich durch das Fernglas erkennen. Fast vier Monate ist es nun her, dass wir dort vom Zug in den Bus umstiegen. Jetzt sind wir wieder hier, der Kreis ist geschlossen. Mit der Nähe des Landes steigt der Lärmpegel, denn etliche Besatzungsmitglieder kamen an Deck und drückten auf ihren piependen Handys herum oder telefonierten – wir natürlich auch. Nachdem wir die Meeresenge passierten und den zahlreichenden quer fahrenden Fähren auswichen, wurde es Segelschiffwieder leerer um uns herum. Viele der unzähligen Schiffe sind jetzt nicht mehr zu sehen und wir befinden uns nun mitten auf der Nordsee. Jetzt ist es nur noch ein Bruchteil der fast 14.000 km, die wir mit diesem Schiff seit Buenos Aires zurückgelegt haben.

Abends hörten wir die ersten deutschen Radiosender, aber noch ganz schwach, so dass wir uns mit der niederländischen Sprache zufrieden geben mussten. Im Dunkeln konnten wir eine ganze Menge Ölplattformen sehen, Leuchttürme und Schiffe. Der Horizont war hell erleuchtet. Es bestand kein Zweifel, wir waren in der alten Welt. Am letzten Abend unserer Reise schaute ich mir zum ersten und einzigen Mal einen Film im Aufenthaltsraum an. Ich fand den Film ”Travelling Birds” mit seinen schönen Landschaftsaufnahmen ganz passend.

21. Tag

Wir wachen auf und das Schiff bewegt sich nicht. Sind wir schon da? Das kann doch gar nicht sein. Vorhang zur Seite und der Blick aufs Meer verrät, dass wir ankern. Die Nordsee ist ruhig und nicht weit von uns ist Helgoland wegen seiner berühmten Felsnadel zu erkennen. Wer kann das schon, Frühstücken mit Blick auf Deutschlands einzige Hochseeinsel. Kurz darauf setzt sich das Schiff langsam in Bewegung, der Pilot wird an Bord gebracht und damit bin ich jetzt nicht mehr der einzige Deutsche an Bord.

Die Mündung der Elbe ist leicht zu erkennen. Viele andere Frachtschiffe stehen in einer Schlange hintereinander und warten auf Einlass. Wir nähern uns ganz langsam der deutschen Küste und erblicken den Strand von Cuxhaven. Nur wenige Meter von uns entfernt sehen wir deutsche Touristen, in dicken Jacken gehüllt, die mit ihrem Hund und ihrem Kind am Strand spazieren gehen. Stundenlang fahren wir auf der Elbe und nur wenige Schiffe kommen uns entgegen. Dafür sehen wir aber zahlreiche Menschen, die am Elbufer spazieren gehen und auf das große gelb-weiße Schiff blicken, das hochhausgroß an ihnen vorbei zieht. Auf unser fröhliches Winken Hamburger Hafenreagiert aber leider keiner. Nach zwei Atomkraftwerken, einer Windmühle und viel Industrie, die sich hinter den schönen grünen Deichen verstecken, sehen wir den herbstlichen Wald rund um den Hamburger Vorzeigestadtteil Blankenese. Nicht nur dort, sondern auch schon bei den industriellen Teilen der Elbe versuchen wir Vergleiche zu südamerikanischen Häfen und Küsten zu ziehen und stellen mal wieder fest, dass es uns hier in Europa bei Weitem besser gefällt. Selbst neben einer Art Chemiewerk grasen die Schafe auf dem Deich und anstatt Schaum, Dreck und Plastiktüten schwappt lediglich Wasser an die Uferzone. Und die Luft? Sie riecht einfach frisch.

Unser Schiff gleitet langsam an St. Pauli vorbei, wir sehen die Fischmarkthalle und die Landungsbrücken und beobachten wie wir mit dem großen Frachter in dem engen Hafen einparken.

Wir verabschieden uns von Mantilla und von dem dritten Offizier, der uns die Pässe bringt sowie von den beiden Stewards und dem Koch und gehen runter zu Deck 3, wo schon unsere Fahrräder auf uns warten. Schon während der stundenlangen, langsamen Fahrt auf der Elbe haben wir sie gepackt, doch nun müssen wir uns zwischen den eng stehenden Lkw aus brasilianischer Produktion, die für den russischen Markt bestimmt sind hindurch quetschen. Dem Chefingenieur reichen wir an der Rampe ebenfalls noch die Hand und kurz darauf betreten wir mit dem rechten Fuß europäischen Boden. Wir sind wieder zuhause. Es ist Samstagnachmittag und im Hafen ist kein Mensch zu finden. Ruhig und entspannt läuft es sich zwischen den großen Containern und wir haben keine Ahnung, ob wir das dürfen. In Buenos Aires waren hundert Meter Fußmarsch streng verboten. In Deutschland, dem ach so geregelten Land ist dies kein Problem. Am Ende treffen wir auf eine Schranke und einem Wachdienst. Dieser begrüßt uns freundlich und kündigt uns bei seinen Kollegen an, die einen Stadtplan haben. Lange und ausführlich erklären sie uns den Weg zur Autovermietung, wo wir einen Wagen leihen möchten.

Wir schieben Richtung Stadtzentrum, verlaufen uns und ein radelnder Hamburger wendet extra, um uns erneut den Weg zu zeigen. Wie oft haben wir gelesen, dass Langzeitreisende enttäuscht sind, wenn sie nach Deutschland zurückkehren. Alle würden unfreundlich schauen, keiner helfe dem anderen und es wäre ja alles so furchtbar schlimm. Wir machen genau andere Erfahrungen und freuen uns, dass wir mit netten Deutschen kommunizieren können. Keiner ist unfreundlich und jeder ist bemüht uns zu helfen, denn der Weg zur Autovermietung ist weit. Am Hamburger Hauptbahnhof sprechen uns zwei etwas Männer an, die gerade aus dem Stadion kommen und sind ganz interessiert zu erfahren, wo wir herkommen, wo wir hinwollen und wie es uns gefallen hat. Einer der beiden muss am nächsten Tag nach Köln und bietet uns an, uns mitzunehmen. Wir lehnen dankend ab, wollen wir doch noch heute ins Ruhrgebiet zurück, aber alleine Ankunft bei Sonnenuntergangdiese für einen Deutschen angeblich untypische Geste unterstreicht unsere Abschlussgedanken: Zuhause ist es noch am Schönsten…

Auf der Reeperbahn sehen wir eine 24-Stundenautovermietung, bekommen einen großen VW-Touran und schaffen die Strecke bis ins Ruhrgebiet rekordverdächtig in etwas weniger als drei Stunden. Mitten in der Nacht kommen wir dort an, wo wir 114 Tage zuvor mit dem Rad gestartet sind und sind überglücklich, nicht nur wieder zuhause zu sein, sondern auch in ein ruhiges, nicht wackelndes Bett steigen zu können.

Lust auf weitere Reiseinfos oder nette Gespräche?
Ich freue mich über jede Anmeldung in www.molls-reiseforum.de

 

7 Kommentare zu „2007 – (4) Frachtschiffreise von Buenos Aires nach Hamburg“

  1. Hallo Moni und Micha, ich habe so mit euch gefühlt….eurer Südamerika-Erlebnis ist so eindrucksvoll geschildert. Meine Welt wäre das auch nicht, ich muss das nicht erleben. Schade, dass die Rückreise auf dem Frachtschiff nicht wenigsten so gut war wie die Hinreise. Aber, was einen nicht umbringt, macht einen nur noch härter. Ich war 1969/70 als Au-pair-girl in Schottland, Linlithgow, war dann auch mal am Hafen Grangemouth, und habe bei einem deutschen Frachter gefragt, ob ich nicht mal mit nach Deutschland fahren könnte, auf Heimaturlaub. Es hat sogar 2 x geklappt. Und ich durfte auf der Nordsee auch mal das Schiff steuern, es war die Albatros und die fuhr regelmäßig zwischen HH oder HB und Grangemouth. Ich liebe eure Reiseerlebnisse und auch die Fotos. Danke. Liebe Grüße Ursula

    1. Hallo Ursula,

      ich habe zu danken – für diesen netten Kommentar. Aber das ist natürlich auch aufregend, einfach so am Hafen quasi den Daumen ruaszustrecken und um Mitfahrt bitten. Das ist heute leider überhaupt nicht mehr möglich. Ansonsten ist so eine Schiffsreise natürlich immer klasse und spannend und es wird nicht unsere letzte gewesen sein.

      Viele Grüße
      Micha

  2. Pingback: 2016 – Mit der Queen Mary 2 von Hamburg nach New York | Die Weltenbummler

  3. Pingback: Sehenswürdigkeiten in Buenos Aires | Die Weltenbummler

  4. Pingback: 2019 - Auf der Queen Mary 2 nach New York | Die Weltenbummler

  5. Pingback: 2019 - Mit der Queen Mary 2 nach Hamburg | Die Weltenbummler

  6. Pingback: Im Hafen von Dakar | Die Weltenbummler

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kleine Rechenaufgabe Die Zeit für die Eingabe ist abgelaufen. Bitte aktivieren Sie das Captcha erneut.