2007 – (4) Frachtschiffreise von Buenos Aires nach Hamburg

Frachtschiffreise Teil 4 – Mit dem Frachtschiff von Buenos Aires nach Hamburg

Mit dem Frachtschiff nach Afrika

7. Tag

Nach der zweiten Nacht in Folge, in der wir sehr gut schlafen konnten, weil wir gut gesichert in einem Hafen lagen, ging es während des Frühstückes weiter. Zum letzten Mal legten wir in Südamerika ab. Nach allem, was wir in den letzten Wochen gesehen haben, sind wir sicher, dass wir hier nicht mehr hin möchten. Jetzt geht es mit einem kurzen Zwischenstopp im afrikanischen Senegal zurück ins alte Europa. Vorgestern hatte ich das zweite Puzzle fertig gestellt und noch am selben Abend ein Puzzle aus dem Aufenthaltsraum ausgeliehen. Heute, noch vor dem Lunch, war auch dieses fertig.

Am Nachmittag war ich wieder bei Mantilla auf der Brücke. Unsere Ankunftszeit für Dakar liegt bei Freitag (heute ist Samstag). Aber wenigstens soll es bis dahin eine ruhige Fahrt werden. Trotzdem ließen wir das Lunch fast komplett ausfallen. Das lag aber nicht am Geschaukel, sondern an der Tatsache, dass es heute fast alles mit Polyp bzw. Octopuss gab. Nein danke, wir verzichten. Beim Dinner am Abend, bei dem der Kapitän nicht anwesend war (Moni meint, er isst erst zwei Stunden später als das gemeine Volk) kam die Lautsprecherdurchsage, dass wir in der kommenden Nacht die Uhr eine Stunde vorstellen. Also früher aufstehen…

Am Abend saß ich im Computerraum und arbeitet fleißig, als der Chefingenieur kam und wir uns nett unterhielten. Er ist in der Tat der sympathischste Mann auf dem Schiff, der zur Führungsriege gehört. So gab er uns am ersten Tag auch die Hand und stellte sich vor. Jetzt führten wir ein nettes Gespräch über Seefahrt, Passagiere usw. Allerdings teilte er mir auch dabei mit, dass das Anlaufen von Emden entfällt. Wir fahren nunmehr direkt von Dakar nach Hamburg. Ist zwar nicht dramatisch für uns, aber auf ostfriesische Kleinstadt hätte ich mich mehr gefreut.

Später schauten Moni und ich noch den Sternenhimmel durch unser Fenster an. Zum Rausgehen ist es wieder viel zu stürmisch. Gruseliger Gedanke, jetzt in der Dunkelheit in den Ozean zu fallen. Am Horizont sahen wir auch noch viele andere Schiffe. Schon seit Tagen habe ich das Gefühl, dass hier auf dem Südatlantik mehr Schiffe unterwegs sind als im Norden.

8. Tag

Wir quälten uns aus dem Bett und es wird noch schlimmer kommen. Wir vermuten, dass wir in den nächsten vier Tagen noch dreimal die Uhr vorstellen. Doch sicher sind wir uns nicht, da wir nicht wissen, in welcher Zeitzone sich Dakar befindet. Nach dem Frühstück fuhren wir durch ein Ölfeld. Zwei Bohrinseln konnten wir sehen, sowie industrielle Schiffe, die dem Anschein nach Gas abfackeln. Auch heute wieder jede Menge Schiffe zu sehen. Ebenso konnten wir am Nachmittag viele kleine Schiffe, Fischerboote, sehen. Man spürt, dass die brasilianische Küste nicht sehr weit entfernt ist. Nicht weit, bedeutet auf dem Ozean nur ein paar Hundert Kilometer.

So verwundert es auch nicht, dass wir lange von Vögeln begleitet werden, die immer wieder sturzflugartig in Wasser stürzen um Fische zu fangen. Diese machen es den Vögeln aber auch leicht. Moni konnte einen fliegenden Fisch sehen, der noch in der Luft von einem Vogel geschnappt wurde. Ansonsten verbrachten wir den Tag mit Lesen, Karten spielen, Radio hören, und lange aufs Meer schauen, wo ab und zu ein Wal an Hand seiner Fontäne zu sehen ist. Daneben rechnen wir immer wieder aus, wo wir wohl sein mögen. Es ist ja auch schon sehr warm geworden, oft merkt man es aber wegen des ständigen Windes nicht.

Barbecue auf einem Frachtschiff

 

9. Tag

Schon den zweiten Tag in Folge hat sich Moni direkt nach dem Frühstück hingelegt und wacht erst zum Lunch wieder auf. Ein Leben wie ein Bär. Aber was soll man sonst auch machen? Ich befürchte mittlerweile auch schon, dass die mitgebrachte Literatur bald zu Ende gelesen ist – und dann? Sind ja noch 2 Wochen an Bord und wir lesen schon alles extra langsam, sogar die Werbeseiten… Nach drei fertig gestellten Puzzeln liegt das vierte im Zimmer rum und wartet darauf gepuzzelt zu werden. Doch die Motivation ist mittlerweile sehr gering. Am Nachmittag begann ich damit, unsere Packtaschen von Kleberesten zu befreien, die noch seit unserer letzten Busfahrt an ihnen hängen. Man hat ja so viel Zeit auf einem Schiff.

Das Dinner fällt heute aus, dafür gibt es aber eine Grillparty. Sie beginnt erst um 19 Uhr und findet auch nicht in der Messe statt. Doch wir wundern uns: Wo kann auf diesem Schiff eine Grillparty stattfinden? Es gibt kaum eine windgeschützte Stelle und der Wind bläst ganz schön. Wir erfahren, gegrillt wird draußen auf dem Deck aber gegessen wird in der Garage. So heißt der Frachtraum. Also sitzen wir an einem langen Tisch im obersten Deck des Frachtraumes zwischen zahlreichen Chevrolet-Neuwagen, die in Santos aufs Schiff kamen und nach Dakar gebracht werden. Und lauschen dem unheimlich wirkenden Klängen aus der Tiefe des Schiffes. Es ist ein Quietschen und Rappeln, als wäre man in einem gut besuchten Parkhaus, nur fährt hier kein einziges Auto mitten auf dem Ozean.

Die beiden Stewards haben sich mit der Dekoration viel Mühe gegeben und es gefällt uns. Wir sitzen genau zwischen der Gruppe Offiziere und den ”einfachen” Matrosen. Uns gegenüber sitzt der Kapitän, der –wie alle anderen- zum ersten Mal in Freizeitkleidung zu sehen ist. Er redet weiterhin nicht mit uns, aber uns fällt –nicht zum ersten Mal- auf, dass er mit kaum jemanden spricht. Er guckt einfach nur mit einem netten Gesichtsausdruck durch die Gegend. Seit heute Abend glauben wir, dass er einfach nur ein ruhiger, schüchterner Mann ist. Währenddessen lachen wir aber mit dem Chefingenieur und dem 2. Maat, Mantilla. Dieser erklärt uns, dass das Schiff langsamer fährt, da am Freitag der Hafenkai in Dakar noch belegt sein wird und wir sonst noch vor der Küste Afrika ankern müssten. Doch dieses sei zu gefährlich und so ankert man im Normalfall nicht vor der afrikanischen Küste, weil das Schiff umso mehr vor Dieben, die in kleinen Booten kommen, bewacht werden müsse. So lassen wir uns also Zeit, um erst am Samstag früh in der Nacht einzulaufen. Ebenso erzählt er uns, dass es nicht sicher sei, ob wir Emden ausfallen lassen. Das wisse man erst nach Dakar. Tja, auf so einem Schiff muss man spontan sein. Währenddessen zischen die beiden Stewards in einem Wahnsinnstempo von Küche zum Grill, vom Grill in den Frachtraum zu uns und wieder in die Küche. Die beiden tun uns leid, weil sie so richtig ackern müssen.

Nach dem Essen verabschiedet sich der Kapitän als Erster und verschwindet recht schnell. Auch die anderen Besatzungsmitglieder bleiben nicht lange und zum Schluss bleiben nur noch Mantilla und ich übrig. Als die Musik aus ging, erheben wir uns ebenfalls und verabschieden uns bis morgen. Als ich der Kabine ankomme, ist es kurz vor 21 Uhr. Ich bin überrascht, die Grillparty hat keine 2 Stunden gedauert…

10. Tag

Heute beschließe ich auch mal, mich nach dem Frühstück wieder schlafen zu legen. Anschließend gehen wir zum Lunch und wieder aufs Deck. Wir sind kurz vor dem Äquator und müssen aufpassen, dass die Sonne uns nicht verbrennt. Bei dem starken Wind merkt man die Hitze kaum. So geschieht es schnell, dass wir unsere Haut leicht gerötet haben. Ich statte der Brücke einen kurzen Besuch ab und schaue mir die aktuelle Position an: 7°38’ S, 30°39’ W. Bei der jetzigen Geschwindigkeit von 18,3 Knoten sollen wir Dakar am Samstag um 1 Uhr erreichen und morgen den Äquator überqueren. Im Computerraum finde ich auch endlich eine Liste mit den einzelnen Distanzen zwischen den Häfen. Wie selbstverständlich und wie bei meinem früheren Arbeitgeber nehme ich die Liste, Strandschmeiße den Kopierer an und habe ein Duplikat in den Händen. Mit meinem Notizblock unter dem Arm prüfe ich nochmals ob Mails eingegangen sind und gehe zurück zur Kabine. Ich komme mir vor, als würde ich in einem Büro arbeiten. Später hole ich aus der bordeigenen Bücherei sämtliche Werke in deutsche Sprache: Western, Krimis, Agatha Christie, Martin Walser und Bücher über den Islam stehen zur Auswahl. Mal schauen, was wir demnächst angehen.

11. Tag

Okay, es wird wohl zu einem Standardereignis, dass auch ich mich nach dem Frühstück wieder schlafen lege. Besonders, weil wir in der letzten Nacht wieder die Uhr vorstellten und dementsprechend eine Stunde früher aufstanden. Gegen halb 11 in der Früh klopfte es an der Tür, aber wir haben es irgendwie nicht so recht vernommen und daher im Halbschlaf ignoriert. Gut, dass es kein Notfall war. Später befanden wir in unserer Gutgläubigkeit, dass man uns evtl. sagen wollte, dass nun den Äquator überqueren.

Beim Lunch kam einer der Offiziere zu uns und flüsterte leise, ob uns ein kleiner, schwarzer USB-Stick gehöre. Tatsächlich, habe ich ihn gestern bei dem ”Bürostress” im Computer stecken lassen. Der Offizier meinte, dass Mantilla ihn habe und sagte weiter im Flüsterton, dass es verboten sei, einen USB-Stick anzuschließen. Aha? Da hat man mir aber letzte Woche etwas anderes erzählt. Wie dem auch sei, ich wollte nach dem Lunch sowieso hoch auf die Brücke, weil Mantilla gerne wissen wollte, wo sein Mailfreund aus Konstanz lebt und ich ihm eine Deutschlandkarte bringen wollte, die aus dem aktuellen Focus stammt. Auf dieser waren die Mietpreise der Bundesrepublik eingezeichnet, aber es ging ja lediglich darum zu zeigen, wo Konstanz liegt.

Ich öffnete die Tür zur Brücke, sah den Kapitän telefonieren und Mantilla direkt auf mich zustürmen, den in eine Serviette eingepackten USB-Stick zusteckte. Ich reichte ihm schnell den Zeitungsausriss und verschwand wieder. Meine Güte, ab auf hoher See am Äquator oder in grauen Bürogebäuden in der Essener Innenstadt, ständig gibt es irgendwelche Heimlichkeiten vor einem Chef, der nichts wissen darf. Nur, in diesem Fall ist er gar nicht mein Chef. Aber solange wir uns in Ölbohrinsel vor Brasilieninternationalen Gewässern befinden ist er evtl. so eine Art Staatsoberhaupt? Na toll, also hat das Römische Reich überlebt und pendelt gerade mit uns zwischen den Kontinenten?

12. Tag

Jedes Mal, wenn eine etwas größere Welle gegen die Bordwand schwappt, dröhnt und rappelt das gesamte Schiff. Kein Wunder, ist der Frachter ja wie ein riesiger Hohlkörper, gefüllt mit zahlreichen Autos und metallenen Containern. Tagsüber stören diese Geräusche nicht und fallen kaum auf, Will man aber abends schlafen, stellt man sich bei jedem Rums, Quietsch und Kreisch vor, das Schiff fällt auseinander. Manchmal beängstigen mich die Geräusche, weshalb ich eigentlich morgens nicht schlafen will, sondern meine Müdigkeit nach dem Frühstück lieber bis zum Abend aufbewahre. So schlief ich in der letzten Nacht erst schlecht ein und so richtig erst ab 2 oder 3 Uhr. Da Moni in der Nacht starke Kopfschmerzen hatte, schlief sie ebenfalls schlecht und dementsprechend stopften wir uns beim Frühstück schnell zwei Brötchen in die Wangen und gingen wieder schlafen. Nur dank des Weckers verpassten wir das nächste Essen, den Lunch um 12, nicht. Anschließend besuchte ich Mantilla, brachte ihm ein bisschen Deutsch bei, während sich das Schiff unter ”unserer” Aufsicht mit 19,5 Knoten auf Dakar zubewegte, welches sich aber noch exakt 653 Seemeilen entfernt befindet. Da der philippinische 2. Maat Mantilla auch mal auf deutschen Schiffen arbeitete und unter deutschen Kapitänen (”der sah aus wie Van Damme”) kannte er den Begriff ”Mahlzeit”. Doch er wusste nichts damit anzufangen, wunderte sich aber damals immer, wenn die Deutschen den Speiseraum betreten und laut ”Mahlzeit” riefen. Nun stehe ich also auf der Kommandobrücke eines 208 m langen Containerschiffes und soll einem kleinen, freundlichen und glatzköpfigen Philipino die Begrüßungsformel ”Mahlzeit” erklären, die ich in meiner Bürozeit am meisten hasste und daher nie benutzte. Gleichzeitig stellte ich mir vor, wie ein Schiff durch die sonnige Südsee fährt, 20.000 km von Deutschland enfernt, am Bug springen Delfine aus dem blauen Wasser, rechts und links jagen fliegende Fische über die Wellenkämme und in der Offiziersmesse ertönt es aus deutschen Kehlen wie im Jobcenter Essen-Mitte: ”Mahlzeit!”

Später sagt mir Mantilla noch, dass wir morgen Abend gegen halb 12 Afrika erreichen und gestern Abend um 18.55 Uhr den Äquator überquerten. Ich überlegte kurz und kam zu der Erkenntnis, dass ich zu diesem Zeitpunkt unter der Dusche stand. Aber immerhin, zehn Minuten vorher waren wir an Deck. Eine rote Linie, die den Äquator markiert, gibt es aber nicht. Doch jetzt wissen wir offiziell, dass wir wieder auf der Nordhalbkugel sind. Also fast schon in heimatlichen Gefilden. Schade nur, dass man gestern Abend nichts davon erfahren hat. Am Nachmittag kam zum dritten Mal auf der Reise die Lautsprecherdurchsage, dass wir nächste Nacht Sommerzeit spielen und die Uhr erneut eine Stunde vorstellen werden.

Am Abend fand erneut eine Grillparty im schaukelnden Parkhaus statt. Und siehe da, es kam ein Gespräch mit dem Kapitän zustande. Wir wollten es fast schon nicht mehr glauben. Aber in gewisser Weise haben wir auch Verständnis für die Interessenlosigkeit, denn als wir in Buenos Aires einstiegen verließen ja immerhin 10 Passagiere das Frachtschiff. Da nur 12 mitgenommen werden können, ist die Kapazität des Schiffes schnell erreicht, denn so viel Bewegungsfreiheit besteht nun nicht gerade. Wenn wir in Hamburg das Schiff verlassen werden, werden ein Italiener und acht Deutsche als Passagier wieder zusteigen. Anders als auf der Marfret Normandie sind die Touristen hier also der Normalfall. Bedenkt man nun, dass jeder dieser Touristen die gleichen Gesprächsstoffe bietet, kann einem Kapitän sicherlich schnell langweilig werden. Meist wird dann erzählt, dass man ein oder zwei Jahre mit dem eigenen Wohnmobil durch Südamerika reisen werde. Dieses ist natürlich durch Laptop, aktuellen Kameras, GPS, Solarmodulen usw. mit modernster Technik gespickt. Hinzu kommen natürlich noch die saisonalen Begebenheiten: Die Strecke von Europa nach Südamerika ist meistens gut gebucht, wenn natürlich auf der Nordhalbkugel der Herbst einkehrt. Umgekehrt ist im europäischen Frühling selten eine Kabine auf der entgegengesetzten Strecke frei. Und dort beinhalten die Gesprächsthemen natürlich sämtliche erlebten Abenteuer und Eindrücke. Da diese bei den meisten Südamerika-Reisenden stets positiv sind, brachten wir nun dem Kapitän bei, dass Touristen auch noch überraschen können. Wir erzählten ihm, dass wir weniger begeistert waren und nicht scharf darauf sind, den Kontinent ein zweites Mal zu bereisen. Uns hat es nicht überzeugen können, warum sollen wir also alles schön reden? Selbst seinen Einwand, dass wir doch mitten in den Winter hinein fahren, konnten wir abwehren. Lieber einen schönen, gemütlichen Winter in Europa, als einen unschönen Sommer in Südamerika.

Vielleicht waren es unsere Argumente, vielleicht aber auch die brasilianischen Musikvideos, die – wie anscheinend auf jedem Frachtschiff – bei den Offizieren auf dem Laptop für heitere Stimmung sorgten, aber gegen Ende des Grillabends begann der Kapitän plötzlich mitten in der Garage auf und ab zu gehen. Immer zwei Autolängen lang neben dem Tisch und am Ende eine abrupte Kehrtwendung. Er machte es nicht ein- oder zweimal, sondern mindestens ein Dutzend Mal lief er wie ein Löwe im Käfig. Es war ein sonderbares Bild und Moni und ich wunderten uns sehr, doch die Matrosen und Offiziere kümmerte es nicht besonders. Sogar der Steward lief neben ihm her und brachte ihm während des Marsches einen Kaffee. Also anscheinend alles völlig in Ordnung. Kurz nachdem er sich mit einem Winken verabschiedete, gingen auch wir in die Kabine. Immerhin war es diesmal schon fast halb neun…

Ankunft in Dakar

 

Wieder einmal schlief ich gestern schlecht ein und wurde trotz Uhrvorstellung zwei Stunden vor dem Wecker wach. So begann ich mitten in der Nacht eines der vielen Bücher zu lesen und nahm mir vor, nach dem Frühstück nicht zu schlafen, damit ich in der nächsten Nacht zur Ruhe komme. Diesen Vorsatz hielt ich bis kurz nach 9 Uhr und schon schaukelte mich das Schiff dorthin, wo Moni schon längst wieder war – in den Schlaf. Um 5 vor 12 wurde ich wach, um vier vor 12 weckte ich Moni, um 3 vor 12 stand ich auf, um 2 vor 12 klopfte der Steward an der Tür und fragte, ob wir nicht zum Lunch kommen. Um 12 saßen wir noch völlig betäubt und schlaftrunken am Tisch und hatten einen Teller Pasta vor uns – sozusagen unser zweites Frühstück.

Den Rest des Tages verbrachten wir mal wieder mit Lesen, Schreiben, aufs Meer schauen, also dem Üblichen. Während Moni spätabends schon schlief, ging ich noch ein paar Mal an Deck, weil wir den afrikanischen Kontinent erreichen sollten. Es war schon sehr spät, als ich vor der Backbordseite am Horizont eine Stadt leuchten sah. Das muss wohl Dakar gewesen sein, aber das Schiff hat jetzt schon sehr viel an Fahrt verloren und war extrem langsam, dass es wohl noch einige Zeit dauern würde, bis wir ankommen. Mit dem Gedanken, dass wir nun die zweite Atlantiküberquerung hinter uns haben, ging ich schlafen.

Keine Bewegung, kein Lärm, nur die Klimaanlage pustet wie die 2 Wochen zuvor auch. Wir öffnen die Augen, stehen auf, schieben den Vorhang zur Seite und blicken auf Dakar. Unter uns der kleine Hafen, so verschmutzt und schwarz, dass die Neuwagen, die in der Nacht von unserem Schiff abgeladen wurden, sehr auffallen. Schnell gehen wir frühstücken, bestäuben uns mit Moskitoschutz und gehen an Deck. Wir treffen den Kapitän, der uns sagt, dass ein Landgang nicht möglich sei, weil wir gleich wieder abfahren. Das war ein kurzer Aufenthalt, aber uns reicht es auch so. Das was wir sehen, ist uns genug. Nach den vielen schmuddeligen Städten Südamerikas, einem kratzigen Hals in Buenos Aires ist uns sowieso nicht danach, diese afrikanische Stadt zu erkunden, die natürlich keinen besseren Eindruck macht. Allerdings sind wir von dem Anblick nicht besonders überrascht oder gar geschockt. Im Gegenteil, so in etwa haben wir es uns vorgestellt und um ehrlich zu sein, sah es in ”europäischen” Französisch-Guyana nicht wirklich besser aus.

So bleibt es bei ein paar Bildern von Deck aus und schon starten wir gehen 10 Uhr Richtung Norden, nach Europa. Wir freuen uns, denn dies ist nun tatsächlich die letzte Abfahrt, bevor wir bei unserem nächsten Halt deutschen Boden betreten werden. Haben wir damals in Trinidad schon sehr über den Zustand des Hafens gestaunt, so kann uns dieser senegalesische Hafen nicht mehr schocken. Hier sind es nur zwei Schiffswracks, die noch halb aus dem Wasser schauen und die vielen Tüten, Plastikteile und sonstigen Abfälle, die im Hafenbecken zwischen den Ölschlieren treiben, stinken diesmal wenigstens nicht.

Bei der Ausfahrt aus dem Hafen ertönt laut unser Schiffshorn. Wie es im italienischen Straßenverkehr üblich ist, hupt unser italienischer Kapitän auch auf den Wasserstraßen alles an, was nur annähernd im Weg ist. Diesmal musste ein französisches Segelboot dran glauben, welches noch weit weg war und sich sowieso auf dem Weg befand, zu verschwinden. Schon in Brasilien ertönte unser Schiffshorn mehrmals durch die engen Straßenschluchten von Rio de Janeiro, als eine Schnellfähre es wagte, mehr als doppelt so schnell wie wir an uns vorbei zu zischen und dann vor uns abzubiegen. Damals, als wir vor drei Monaten in Le Havre auf unser erstes Schiff warteten, hörten wir vom Hotel aus ebenfalls ein Schiffshorn. Heute wissen wir, dass Schiffe der italienischen Grimaldi-Gruppe, so wie dieses auch, ebenfalls in Le Havre einkehren. Wer weiß, wer damals hupte…

15. Tag

Es ist Sonntag und so ruhig wie heute war das Wasser selten. Nach dem Lunch gehe ich zu Mantilla auf die Brücke um die neuesten Infos über die anstehende Strecke zu erfahren. Genau im selben Moment, in dem ich oben bin, passieren wir den nördlichen Wendekreis. Das bedeutet, dass wir damit endgültig den tropischen Bereich verlassen und freuen uns. Ab diesem Tag sehen wir auch keinen einzigen fliegenden Fisch mehr. Mantilla zeigt mir auf der Karte, dass wir morgen früh um 5.35 Uhr die Kanarischen Inseln erreichen. Links Gran Canaria und rechts Fuerteventura und später Lanzarote. Emden fällt nun tatsächlich aus, aber dafür treffen wir auf den Lotsen der Elbe am kommenden Freitag gegen Nachmittag. Nimmt man noch die Fahrt über die Elbe, so werden wir das Schiff am Samstag in Hamburg verlassen können. Wir nutzen noch einmal kräftig die Sonne aus und genießen die Fahrt an der afrikanischen Küste entlang.

Da das Wasser kaum Bewegung zeigt, sieht man – ähnlich wie bei Kondensstreifen von Flugzeugen –  noch lange die Fahrspuren anderer Schiffe. Leider sehen wir aber mitten auf dem Ozean einen Flaschenkorken nach dem nächsten an uns vorbei ziehen. Es scheint, als hätte es auf irgendeinem Schiff eine große Feier gegeben. Nicht zum ersten Mal mache ich mir Gedanken, wie verdreckt wohl der Meeresboden aussehen mag. Ich bin froh, dass wir uns zu Beginn der Reise gegen eine Flaschenpost entschieden haben. Es befindet sich schon genug Müll im Wasser und an den Küsten der Weltmeere. Abends gab es die dritte Grillparty, die wir lachend mit Mantilla verbrachten, der uns ganz nebenbei erzählte, dass immerhin 15% der Seeleute ihren Frauen treu sind, nun ja…

Der Kapitän indes begann nach dem Essen wieder zu marschieren wie ein Soldat. Da die Garage bzw. das 8. Deck des Laderaums fast komplett leer war, marschierte er diesmal durch bis zur Heckwand des Schiffes. Nach der Grillparty, die wir mit Mantilla wieder als Letzte verließen –immerhin war es schon viertel vor 9-, bestaunten wir an Deck noch den sternenklaren Himmel. Milchstraße, Cassiopeia und Sternschnuppen sahen wir inmitten von tausenden Sternen. Gegenüber Marfret Normandie besaß die Repubblica Argentina einen entscheidenden Vorteil zur nächtlichen Himmelsforschung: Sie war nicht so beleuchtet wie ein Tannenbaum. Während wir so in den dunklen Weltraum starrten, hörten wir plötzlich hinter uns etwas ins Wasser platschen. Wir schauten in Richtung Küche und sahen, wie der Steward den zweiten Müllbeutel griff und ihn ebenso über Bord warf. Wir konnten uns nur noch vorstellen, wie nun unsere Essensreste, Plastikbecher und Coladosen 2.000 m tief auf den Meeresboden sinken. 70.000 Frachtschiffe fahren auf den Weltmeeren herum. Wird nur von jedem Zweiten ein einziger Beutel täglich über Bord geworfen…. den Rest kann sich jeder selbst ausrechnen.

16. Tag

Wir stellten uns extra den Wecker etwas früher, weil wir die Kanaren sehen wollten. Allerdings auch, um das damit verbundene Telefonieren per Handy zu nutzen. So schauten wir uns den Sonnenaufgang über Fuerteventura an, dachten an die zahlreichen deutschen Urlauber, die jetzt dort in ihren Hotelburgen frühstücken und erhielten die Begrüßungs-SMS des spanischen Handyanbieters: Willkommen in Spanien… Nie zuvor habe ich das so gerne gelesen wie heute.

Noch vor dem Frühstück ging ich schnell an Deck und schoss ein paar Fotos der Kanarischen Inseln. Gleichzeitig bildete ich mir das typisch zirpende Geräusch von Grillen ein, das man in solchen Regionen hört. Doch halt, war das wirklich eine Einbildung? Nein, dieses Geräusch war echt und irgendwo auf Deck 9 neben der Brücke musste eine Grille sitzen. Das tat sie auch. Nach dem Lunch sahen wir sie plötzlich. Rund 8 cm lang hockte sie vor der Brücke und ließ sich von uns fotografieren und filmen. Wir fragten uns, wie sie plötzlich an Bord kam, vermuteten aber, dass sie ein Teil des Proviants war und aus der Küche entkam 😉

Nein, im Ernst. Die Küche des rumänischen Kochs ist sehr gut und jeden Tag bekommen wir zwei kleine Flaschen Wein zum Essen hinzu gestellt, die wir aber nur selten anrühren. Nur auf eines können wir mittlerweile wirklich gut verzichten und zwar auf Fisch. Beide sind wir keine großen Fischesser, doch jeden zweiten Tag müssen wir bedauern, dass ein Fisch umsonst gestorben ist. Mittlerweile stochern wir nur noch lustlos zwischen den Gräten herum oder verzichten ganz, so wie in der ersten Woche, als es Polyp zu essen gab. Nur an Nudeln und Spaghetti haben wir uns noch lange nicht satt gegessen obwohl es auch diese fast täglich gibt.

Kurz vor dem Dinner waren wir wie üblich an Deck und ich sah aus den Augenwinkeln kleine Fische aus dem Wasser hüpfen. Erst beim genaueren Hinsehen entpuppten sich die Fische als Delfine. Wir freuten uns, endlich nach so vielen Tagen auf dem Ozean doch noch welche sehen zu können. Doch sie sahen so klein aus, dass wir uns erst wunderten, doch dann fiel uns ein, dass wir uns auf dem 9. Deck befinden. Zwei Decks liegen unterhalb der Wasserlinie, so dass wir praktisch in der siebten Etage sind und aufs Meer schauen. Da aber sonstige Vergleichsmöglichkeiten fehlen und wir nichts als das blaue Meer sehen, war es klar, dass die Delfine so klein erschienen. Allerdings verwirrt mich nun, dass wir Flaschenkorken erkennen können, die auf der Wasseroberfläche treiben. Waren es vielleicht doch hohle Ölfässer? Und was ist mit den fliegenden Fischen? Sind sie etwa größer als angenommen? Oder waren die Delfine einfach doch so klein? Fragen über Fragen. Fakt ist, dass sie einige Minuten um das Schiff herum hüpften und dann ebenso Sonnenuntergangschnell verschwanden, wie sie gekommen sind.

Abends kam Mantilla noch kurz zu uns an den Tisch und erzählte uns, dass wir nun anstatt 20 Knoten nur noch 16 fahren und dementsprechend erst am Samstagmorgen auf den Losten von der Elbe treffen.

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7 Kommentare zu „2007 – (4) Frachtschiffreise von Buenos Aires nach Hamburg“

  1. Hallo Moni und Micha, ich habe so mit euch gefühlt….eurer Südamerika-Erlebnis ist so eindrucksvoll geschildert. Meine Welt wäre das auch nicht, ich muss das nicht erleben. Schade, dass die Rückreise auf dem Frachtschiff nicht wenigsten so gut war wie die Hinreise. Aber, was einen nicht umbringt, macht einen nur noch härter. Ich war 1969/70 als Au-pair-girl in Schottland, Linlithgow, war dann auch mal am Hafen Grangemouth, und habe bei einem deutschen Frachter gefragt, ob ich nicht mal mit nach Deutschland fahren könnte, auf Heimaturlaub. Es hat sogar 2 x geklappt. Und ich durfte auf der Nordsee auch mal das Schiff steuern, es war die Albatros und die fuhr regelmäßig zwischen HH oder HB und Grangemouth. Ich liebe eure Reiseerlebnisse und auch die Fotos. Danke. Liebe Grüße Ursula

    1. Hallo Ursula,

      ich habe zu danken – für diesen netten Kommentar. Aber das ist natürlich auch aufregend, einfach so am Hafen quasi den Daumen ruaszustrecken und um Mitfahrt bitten. Das ist heute leider überhaupt nicht mehr möglich. Ansonsten ist so eine Schiffsreise natürlich immer klasse und spannend und es wird nicht unsere letzte gewesen sein.

      Viele Grüße
      Micha

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