Frachtschiffreise Teil 1 – Radeln durch Europa
Beobachtungen in Frankreich
Manchmal kann man zudem aber auch froh sein, dass man die vielen verschiedenen Sprachen nicht versteht. Wer weiß, was alles so um uns herum gesprochen wird. Von den drei Hamburger jungen Frauen von schräg gegenüber erfahren wir beispielsweise bei ihrem “Stadt-Land-Fluss”-Spiel, dass Hamburg ein Land ist. Gut, dass eines der ca. 20jährigen Frauen weiß, dass es sich bloß um ein Bundesland handelt – immerhin. Moni wiederum muss ein Gespräch polnischer Touristen mit anhören, bei dem es um peinliche Intimitäten geht. Der gesamte Campingplatz kann dieses laute Gespräch hören. Verstehen kann es aber nur Moni, wenn die Polen das gewusst hätten…
Doch unsere “liebsten” Kurzzeitnachbarn bleiben eine ganze Woche direkt neben uns. Ein Elternpaar mit vier kleinen Kindern. Erst halten wir sie für Mexikaner. Nicht nur, weil sie Spanisch sprechen, sonst hätten wir sie ja auch für Spanier halten können. Nein, sie sind auch so klein und dunkelhäutig, wie man sich Azteken vorstellt. Doch schon am zweiten Tag ihres Aufenthaltes bricht unser Weltbild zusammen, genauso wie die Stätten der Inkas, denn der Häuptling dieser sechsköpfigen Maya-Kultur, also das Familienoberhaupt, trug ein T-Shirt dass den bunten Aufdruck trug: Bolivia. Das ärmste Volk Südamerikas macht also Urlaub in Frankreich? Na ja, wohl kaum. Es sind vielmehr Einwanderer und ihre Mentalität bringen sie auch gleich mit. Recht laut sind sie und das bis tief in die Nacht, nett sind sie aber auch. Doch als wir nach einer Woche Hasta la Vista sagten, sind wir schon froh, dass wieder ein wenig Ruhe einkehrt. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir nie geahnt, dass wir ein Jahr später mit dem Wohnmobil in die Normandie fahren würden, um für einen Wohnmobilreiseführer Normandie zu recherchieren.
Doch so richtig ruhig wird es auf diesem Platz wohl nie. Alle zwei Tage bzw. Nächte kommt ein gewaltiges Gewitter über uns und testet die Standhaftigkeit unseres Zeltes. In den regenfreien Nächten wiederum kann man Tiere hören, oder besser gesagt: ein bestimmtes Tier. Beim ersten Mal klang es noch ziemlich unheimlich, ein ständiges lauter und leiser werdendes Flapp-Flapp. Wir haben nicht herausgefunden, was es ist, vermuten aber einen nachtaktiven Flieger, der auf Beutefang ist. Blöd nur, dass man manchmal bei solch nächtlichen Störungen aufs Klo muss. Auf diesem Campingplatz bedeutet der Gang zum Sanitätsgebäude die Überwindung eines Stahltores, das sich nur mittels einem vierstelligen Pincode öffnen lässt. Als wir diesen am Anfang erhielten, mutmaßen wir eigentlich, dass sich dieser auch mal ändern wird. Aber nein, jeder Gast erhält denselben Pin, der wohl eine Bedeutung hat und so weiß halb Europa, mit welcher Ziffernfolge man aufs Klo gehen kann. Zugegebenermaßen haben wir in den zwei Wochen etwas Zeit übrig, uns Gedanken über den Pin zu machen und haben das Rätsel gelöst. Wird natürlich nicht verraten, hat aber was mit einem Schriftsteller aus Étretat zu tun…
Beobachtungen auf einem Campingplatz
Weniger Gedanken mache ich mir fast zwei Wochen lang über den hellblauen Innenanstrich im Sanitärgebäude. Erst als ich eines Tages von der Putzfrau gebeten werde, ausnahmsweise die Örtlichkeiten der Damen aufzusuchen, wird mir schlagartig klar, das Moni echt was aushalten muss. Und wenn ich nicht schon auf dem Klo gewesen wäre, hätte ich mir vor Lachen fast in die Hose gemacht: Alles ist rosa! So rosa, dass einem schon fast die Augen wehtun. Ach, was haben wir Männer es doch gut.
Wer weiter gehen will, als nur bis zum Sanitärgebäude, der spaziert exakt einen Kilometer nach Étretat hinein. Da wir das alleine schon mindestens zweimal pro Tag machen, oftmals auch dreimal, kommen einige Kilometer zusammen, die wir in den zwei Wochen zu Fuß zurücklegen. Wer jetzt rechnet, sollte nicht die Wege IN der Stadt vergessen, genauso wenig die Kilometer an der Küste und natürlich die Rückwege.
Da sich irgendwann der Inhalt des Benzinkochers dem Ende neigte und es in Étretat keine Tankstelle gibt, gehen wir auch schon mal in den 3,5 km entfernen Nachbarort um mal eben einen halben Liter Benzin zu kaufen.
Gelegentlich radeln wir aber auch. Nach Fécamp, das erreicht man nach 17 km über die D940 oder nach 20 km über den Radweg oder nach 20 km aus einer Kombination von Radweg und kleinen Küstenstraßen. Wir kennen alle Variationen; Zwei Gründe ziehen uns nach Fécamp. Der eine liegt dort im Nachbardorf Saint Leonard, heißt Lidl und vergünstigt unsere Lebensmitteleinkäufe enorm. Wir gehen nachher soweit, dass wir den Inhalt von zwei Packtaschen ins Zelt entleeren und diese Taschen bei Lidl mit Lebensmitteln füllen, weil es in Étretat wesentlich teurer ist. Zudem gibt es dort leckere weiße Schokolade mit Erdbeergeschmack.
Der zweite Grund für unsere Fécamp-Touren befindet sich in einem Sozialzentrum, was mich bei jedem Besuch an meinen früheren Arbeitgeber erinnert. Doch dort gibt es ein Internetcafé. Allerdings haben wir irgendwann herausgefunden, dass wenigstens das Lesen und kurze Beantworten von Mails auch in Étretat möglich ist. Dort gibt es im Touristenbüro einen Terminal, den man sich aber wie einen Spielautomaten vorstellen muss. Das bedeutet, ein Trackball statt Maus und die Tastatur besteht aus metallenen Knöpfen wie an einem Geldautomaten. Zudem bilden sich gerne lange Schlangen von Touristen hinter einem und warten darauf, dass man fertig wird. Gerne versuchen einige dabei die Mails mitzulesen. Man merkt, Étretat hat kein Internetcafé, keine Tankstelle und 1600 Einwohner. Für die vielfachen Touristen gibt es aber Baguetterie, Boulangerie, Bouchetterie, Creperie und demnächst vielleicht auch eine Tüterie. Es ist zwar noch nicht ganz eindeutig geklärt, was in so einer Tüterie passieren wird, aber Geschäftsführerin Moni wird sich wohl was einfallen lassen. Wenn es um Tüten geht, bevorzugt aus Plastik, dann ist Moni einfach unschlagbar. Ich habe mittlerweile das Gefühl, mein ganzes Leben befindet sich in einer Tüte. Gehen wir EIN Brot kaufen, dann verlassen wir den Laden (das geht schon seit Holland so) mit drei Plastiktüten; Auf meinen fragenden Blick kam am Anfang meist noch eine Unschuldsmiene von Moni mit dem Kommentar, dass man sie ja noch gebrauchen kann. Und so ist mittlerweile alles eingetütet. Ob nun das Tagebuch, das Besteck, das Handtuch, ja sogar Tüten befinden sich in Tüten. Öffne ich eine Packtasche, so springen mir erst einmal Tüten entgegen. Und wehe, ich packe gewisse Dinge in die falsche Tüte. Nein, jede Tüte hat ihren eigenen Bestimmungszweck und sollte sie aus Qualitätsgründen mal ausgetauscht werden, dann dient sie immerhin noch als Mülltüte.
Apropos Müll: Eine ganz merkwürdige Erscheinung befindet sich auf halben Weg zwischen Campingplatz und Étretat-City. Jeder kennt ja diese Mülltonnen mit den vier Rollen unten drunter, also diese großen Hausmülltonnen. Vor der Hausnummer 39, direkt neben der Feuerwache, steht so eine Tonne. Meistens ist sie geöffnet und meine neugierigen Blicke stellen irgendwann mal fest, dass sich jeden Tag ein neuer Müllbeutel in der Tonne befindet. Nicht falsch verstehen, nicht ein neuer Beutel zusätzlich, sondern nur einer. Montags ein blauer, dienstags eine Lidl-Tüte, mittwochs eine zerrissene grüne usw. Das heißt, irgendjemand leert anscheinend täglich diesen großen Container mit nur einem Beutel Inhalt? Merkwürdige Sache.
Manche Container dieser Art machen sich aber auch selbstständig. So spazieren wir eines Tages durch die Weltmetropole Étretat, als sich plötzlich eine Mülltonne durch den Wind in Bewegung setzte, den Bordstein runter poltert und uns vor die Füße fällt. Glücklicherweise ist dieser aber leer, was uns auf Grund des anderen Containers ja nicht wundert. Nett und freundlich wie wir nun mal sind, heben wir den gestürzten Container auf, schieben ihn an die richtige Stelle, machen den Deckel zu und gehen weiter. Allerdings nur fünf Meter, als plötzlich eine wütende Stimme aus einem Vorgarten ertönt. Der Besitzer dieser Tonne schimpft in unsere Richtung irgendetwas Unverständliches auf Französisch und hält uns wohl für potenzielle Mülltonnenterroristen. Gut, dass uns ein paar Augenzeugen dieses harmlosen Vorfalls in Schutz nehmen und erklären, dass wir bloß geholfen haben. Geschimpft hat er zwar weiter, aber die Anklage wegen boshaften Rumschubsen eines wehrlosen Müllcontainers kann fallen gelassen werden.
Anklagen müsste man aber mal andere. Nämlich die Leute, die meinen, sie müssen mit Brot die Möwen an der Strandpromenade anlocken und dann als Dankeschön mit einer Erbsenpistole abschießen und die Tiere so quälen.
Wobei die Möwen auch nicht ohne sind. Einmal will ich Moni fotografieren, wie sie sich an einem Geländer anlehnt während sich von hinten auf demselben Geländer eines dieser Seevögel zu Fuß annähert, dieses plötzlich die Flügel majestätisch ausbreitet und mit einem Male abhebt um das Brötchen in meiner anderen Hand erhaschen zu wollen. Das Mistvieh hat es aber nicht geschafft. Dafür habe ich zwar auch nicht das gewünschte Foto, kann aber wenigstens mein Brötchen behalten. Bei einem dieser langen Baguettes hätte das anders ausgesehen. Und die Chance, dass die Möwe ein Baguette bei uns klaut, ist groß. Wir zählen den Baguetteverbrauch zwar nicht, aber er ist enorm. Jeden Nachmittag kaufen wir das Baguette im Doppelpack um es am nächsten Morgen zu frühstücken. Manchmal kommen aber nur 1,5 Baguette im Zelt an, denn auf dem langen Marsch zum Campingplatz hat Moni schon mehrfach probiert, ob es denn noch gut sei und ob es schmeckt. Immerhin gibt es ja verschiedene Ausführungen; Baguette in Vollkorn, als Rechteck, in breit, in dünn usw. Belegt wird es fast nur mit Nutella. Momentan führen wir unser siebtes Glas Nutella mit uns herum – und das nach nur vier Wochen.
Geschmolzene Butter im Zelt
Moni ist in der Nahrungsaufnahme manchmal etwas kreativer. Bei ihr gibt es auch mal Butter aufs Brot. Und nicht nur da. An einem Nachmittag lassen wir die in Folie eingepackte Butter versehentlich im Innenzelt. Unser Thermometer zeigt uns an, dass während unserer Abwesenheit die Temperatur im Zelt auf 47,7 Grad Celsius klettert. Bei dieser Wärme will die Butter aber auch raus. Aus der Folie schafft sie es ja auch, doch sie verbleibt auf dem Boden des Innenzeltes. Tagelang haben wir den Duft von Buttersäure im Zelt hängen, lecker… Waschmittel, Spülmittel, Salz, Desinfektionsmittel und schließlich eine geriebene Zitrone bringen wieder normalen Duft in unser “Zuhause”. In der Zwischenzeit entwickelt sich der Begriff “Butterflüchtlinge”. Damit sind all jene Dinge gemeint, die man woanders stapeln muss, damit sie nicht in dem butterkontaminierten Bereich des Zeltbodens liegen. Woanders bedeutete in diesem Fall, dass alles neben meiner Isomatte gestapelt wird. Es sind zum Schluss so viele Dinge, dass die Gefahr besteht, dass sämtliche Kleidungsstücke, Handtücher, Baguettes und natürlich Tüten über mir zusammen brechen.
Neben den Baguettes, die bekanntermaßen typisch für Frankreich sind, gibt es noch andere Dinge, die zumindest typisch für die Normandie sind. Das wären die zahlreichen Soldatenfriedhöfe und die Bauwerke deutscher Architektur aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Gemeint sind die Bunker und Gefechtsstände aus dem Zweien Weltkrieg von denen es auch welche in Étretat gibt. Neben der Kirche Notre Dame befindet sich zudem ein kleiner Soldatenfriedhof mit “nur” 600 gefallenen Soldaten, davon 11 deutsche, die etwas abseits begraben liegen. In diesem Zusammenhang seien auch die Andenkenläden des Ortes erwähnt. Zwischen Spielzeugautos, Gummi-Enten, Schwimmringen und Eisständen gibt es natürlich auch viele Stände mit bunten Postkarten. Zwischen eben dieser farbenfrohen Vielfalt stecken schwarz-weiße Postkartendes US-Militärs auf denen heldenhafte Soldaten abgebildet sind und als Befreier gefeiert werden. Irgendwie skurril ist dieses Bild schon, dass direkt daneben kleine schwarz-rot-goldene Deutschland-Fähnchen verkauft werden.
Die letzten Meter in Europa
Wir hingegen haben wieder unser Frankreich-Fähnchen ans Fahrrad angebracht und rollen die 35 km nach Le Havre. Denn eines Tages bekommen wir die Nachricht, dass es soweit ist: Morgen fährt es ab und nimmt uns mit nach Trinidad – unser Schiff. Mehrfach hat sich der Termin verschoben, selbst am letzten Tag noch einmal. Unterwegs zur Hafenstadt zeigen uns zwei Franzosen zustimmend den ausgestreckten Daumen und freuen sich über uns.
In Le Havre angekommen suchen wir als erstes eine Tankstelle um den Reifendruck in den Rädern zu erhöhen. Leider ist es in Frankreich üblich, hierfür einen Betrag von 50 Cent zu bezahlen. Unglaublich, für Luft. Aber während unserer Suche werden wir von einem Mofafahrer angesprochen. Er sei der Präsident des lokalen Radfahrerverbandes und ist sehr an unserer Reise interessiert. Er ist auch derjenige, der uns zwei Säulen nennt, die extra für Radfahrer in der Stadt eingerichtet wurden, damit diese Luft tanken können. Wir haben uns sehr über diesen tollen Service der Stadt bedankt und freuen uns, den netten Herrn getroffen zu haben.
Anschließend geht es wieder in das Hotel zurück, in dem wir schon zwei Wochen zuvor übernachteten. Selbst dasselbe Zimmer erhalten wir. Na ja, und den Anruf der Reederei, dass das Schiff erst am nächsten Tag wird ablegen können. Es soll “auf Reede” liegen, also draußen auf offener See, weil der Liegeplatz im Hafen belegt ist. Und tatsächlich, bei einem Strandspaziergang haben wir einen Blick auf “unser” Schiff. Zwischen vielen anderen können wir es mit Hilfe des Fernglases und dem Zoom der Digitalkamera gut ausmachen. Es liegt unbewegt rund 10 km vor Le Havre. Wollen wir also hoffen, dass das Einschiffen klappen wird.
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