2007 – (1) Mit dem Fahrrad zum Frachtschiff


 

Frachtschiffreise Teil 1 – Radeln durch Europa

Zwei Fahrräder in einem Mietwagen

Nett, sollen wir durch das Fenster einfliegen? Na ja, schlimmer ist aber der Platz. Erst denken wir, so sehen Campingplätze bestenfalls in der Ukraine aus. Aber als ich den Wasserhahn öffne, wird mir klar, dass das nicht sein kann. In Tschernobyl sieht das Wasser wahrscheinlich sauber aus, hier nicht… Nein, der ganze Platz erinnert an einen Slum, ohne zu übertreiben. Bellende Hunde kommen einem entgegen, verfallende Wohnhäuschen, verfallene Gebäude, die vor langer Zeit einmal zum Duschen genutzt wurden….einfach nur schlimm.

Wir bauen unser Zelt etwas weiter oberhalb auf und legen uns schlafen – bis halb 12 in der Nacht. Denn zu diesem Zeitpunkt bekomme ich das Zeltdach ins Gesicht geklatscht. Nur zur Erinnerung: Ich schlafe normalerweise im Liegen und das Dach ist wesentlich weiter über mir. Doch der Wind ist zu heftig und drückt das gesamte Zelt nach unten – in mein Gesicht. Wir beschließen trotz Sturm, das Zelt abzubauen und neben einem nahe liegenden Gefechtsstand der Wehrmacht wieder aufzubauen…

Also bauen wir im Dunkeln mit einer Stirnlampe bestückt und im regnerischen Sturm alles ab und neben dem Bunker wieder auf. So bekommt die Bezeichnung Luftschutzbunker eine ganz neue Bedeutung – allerdings nur für eine kurze Zeit. Gegen halb 2 in der Nacht dreht der Wind und es beginnt wieder von vorne. Also bauen wir diesmal alles ab, packen unsere Räder und suchen uns einen ganz anderen Stellplatz irgendwo zwischen diesen Favela-Häuschen, wo wir endlich den Rest der Nacht verbringen können. Am nächsten Morgen kommt der Schadensbericht: die beiden Zeltstangen sind auf Grund des Sturms derart verbogen, dass wir befürchten, neue besorgen zu müssen.

Wir radeln bepackt zur Hauptstraße zurück und fragen einen Einheimischen, wie weit wohl der nächste Ort Le Touquet ist. Er meint, dieser sei nur 10 km entfernt, was uns merkwürdig vorkommt, denn schon auf unserer schlechten Karte aus dem Touristenbüro sieht es nach wesentlich mehr aus. Wir überlegen lange und beschließen auf Grund des starken Windes wieder auf die Bahn umzusteigen. Die Gefahr eines Unfalles ist uns einfach zu groß. Eine einzige plötzliche Windboe würde auf den engen Landstraßen ausreichen uns auf die Straße umzuwerfen. Und wenn dann ein Lkw von hinten kommt…

Also fahren wir nach Boulogne zurück, das erste Mal auf der gesamten Tour ohne Gegenwind, diesmal kommt er nämlich logischerweise sogar von hinten. Der Wind ist so stark, dass ich einen Berg hoch komme ohne in die Pedale treten zu müssen!!! Dummerweise stellt sich mir nur ein Renault Twingo in den Weg. Rückwärts kommt er aus der Ausfahrt ohne zu gucken. Ich stupse mit dem Vorderrad gegen seine Stoßstange und was macht der Fahrer? Er schimpft rum, schaut nach seinem Auto und fährt weiter. Ich also hinterher mit meinem schweren Rad und ihn zum Halten gebracht. Ein Wortgefecht ergibt sich, aber sonst passiert weiter nichts. Kann sich ja wenigstens mal entschuldigen. Na ja, ich rolle daraufhin meine Frankreichflagge ein. Ich habe keine Lust mehr, den Nationalstolz der Franzosen zu unterstützen. Zweimal rief man uns bisher wegen der Flagge “Vive le France” zu.

Am Bahnhof von Boulogne wird es schließlich schwierig. Der Streik hält an und man kann uns nur Züge nennen, die erst nach Paris fahren würden. Diesen riesigen Umweg wollen wir nicht machen. Vor allem würden wir bei dem Preis auch einen Leihwagen bekommen… Einen Leihwagen? Ist da draußen nicht irgendwo ein Avis-Schild? Tja, wahre Radpuristen würden wahrscheinlich spätestens jetzt die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Aber wir wollen ja keine Rekorde brechen, sondern reisen. Und zum Reisen gehören auch Überraschungen dieser Art. Zudem ist ein Fortkommen unter diesen Umständen nicht möglich und wie schon erwähnt, der Druck, dass das Schiff jederzeit einlaufen und ohne uns wieder auslaufen könnte…

Es wird also ein Citroen C3, den wir am nächsten Tag in unserem Zielort Le Havre abgeben müssen. Doch dann wird es lustig: Wir beide mit zwei ausgewachsenen Rädern, acht Packtaschen, drei Seesäcken, einem Zeltsack, zwei Lenkertaschen auf dem Parkplatz vom Bahnhof in Boulogne. Und alles soll in das Auto? Eine Stunde brauchen wir dafür, alles passend klein zu schrauben, doch das Ergebnis kann sich sehen lassen, es passt alles rein…

So fahren wir an der Küste entlang, spüren sogar im Auto den heftigen Wind und sind froh über diese Entscheidung. Zudem haben wir nun Entertainment im Zeltetwas Zeit und schauen uns auch mal etwas an, was so am Wegesrand oder in der Nähe liegt. Im Ort Étretat gefällt es uns sehr gut. Der Reisejournalist würde für diesen Ort wohl den Begriff “pittoresk” verwenden. Einfach nur hübsch. Doch wir müssen zunächst nach Le Havre, dort suchen wir am nächsten Morgen ein billiges Hotel und nutzen die Gelegenheit, mit dem Auto schon mal den Hafen zu inspizieren. Abends lesen wir schließlich im Internetcafé, dass das Schiff rund 8 Tage Küche im Zeltspäter kommen wird, na toll.

Wir beschließen, alle unsere Sachen zu packen und uns eine schöne Zeit auf dem Campingplatz in dem wirklich sehr schönen Ort Étretat zu machen. Dort können wir am kommenden Freitag ein Feuerwerk sehen und an einem öffentlichen Ball teilnehmen. Es wird der französische Nationalfeiertag begangen. Wird bestimmt lustig. Wäre nur schön, wenn endlich mal das Wetter besser werden würde. Ich hatte bisher nur einmal kurz Gelegenheit meine Beine in die Nordsee zu stellen. Aber egal, bald kommt die Karibik…

Urlaub in Étretat

Die Tage vergehen und es passiert bei uns nicht viel. Wir sitzen den ganzen Tag auf dem Campingplatz und essen, lesen, spielen Karten etc. Und wenn dann doch mal der Regen aufhört, dann gehen wir spazieren. Die Küste bei Étretat ist wirklich sehr schön.
Irgendwann habe ich auch das Fahrrad repariert und den Benzinkocher gereinigt. Eigentlich hatte ich das für die Zeit auf dem Schiff vorgesehen und einen Tag dafür eingeplant. Das Ganze hat zusammen gerade mal Eseletwas über eine Stunde gedauert, na ja…
Nur die Sache mit dem gebrochenen Gepäckträger ist nicht ganz so glücklich gelaufen. Der Automechaniker, bei dem wir zwischenzeitlich waren, schweißte einfach ohne darauf zu achten, dass es Aluminium ist. Nun, der Schaden ist jetzt etwas größer als vorher, aber noch vertretbar…

 

 

Hier ein bisschen Statistik über unseren bisherigen Reiseverlauf:

gefahrene Kilometer mit dem Rad: 500 km,
bisher höchste Geschwindigkeit: 46,3 km/h
platte Reifen: 0
Speichenbrüche: 0
bisherige Schäden:
Ein Rücklicht – weg,
Ein Kettenschutz – weg,
drei Kugellagerkügelchen – weg,
ein Ständer – weg, aber ersetzt
Knieprobleme: leichte bei mir links (nur gelegentlich)
gegessene Nutellagläser: 3 kleine, ein großes, ein weiteres großes gerade eingekauft…

Über zwei Wochen verbringen wir auf dem, zum Glück, recht günstigen Campingplatz bei Étretat. Der Ort selbst ist sehr beliebt bei Touristen. Kleine Fachwerkhäuser, hübsche Gassen und die großartigen Felsklippen am steinigen Strand locken aus allen möglichen Ländern. Neben den Standardtouristen aus Holland, England, Deutschland sehen wir Autos aus Finnland, Estland, Polen, Tschechien, Russland, Spanien, Italien, Belgien, der Schweiz, Österreich, Dänemark, Schweden, Luxemburg, und eines sogar aus Marokko. Zudem gibt es sogar einen Reisebus mit Touristen aus Belarus/Weißrussland!

Überhaupt sind die Touristenströme interessant zu beobachten. Morgens leert sich der Campingplatz und die Leute lassen uns zurück, doch nachmittags kehrt bei uns Spannung ein, woher denn wohl die neuen Nachbarn kommen werden. Das zeigte sich im Lauf der Zeit soweit, dass der Erste von uns beiden, der aufsteht und seinen Kopf aus dem Zelt hält einen Bericht abgibt:

”Die Holländer von gegenüber sind weg. Die Engländer mit dem Opel Astra auch.”
“Und die Kölner mit dem schreienden Kind?”
“Tut mir leid. Die sind noch da.”

Dabei bestätigt sich sogar manches Klischee. Die genannten Engländer beispielsweise, ein älteres Ehepaar, fallen dadurch auf, dass von ihrer Parzelle eines Morgens Knister- und Brutzelgeräusche zu hören sind. Nachdem ich um die Ecke luge, sehe ich wie der britische Küchenchef Eier in der Pfanne wendet. Leise sage ich zu Moni, dass jetzt nur noch der Schinken fehle, als Frau Küchenchefin aus dem Vorzelt tritt und ihrem Mann genau diesen Schinken zum Anbraten reicht. Guten Appetit…

Lustig sind auch die Holländer, die recht früh kommen und noch eine große Auswahl an Parzellen haben. Nach 15minütiger Besichtigungszeit bleiben drei Parzellen in der engeren Auswahl. Nach weiteren 10 Minuten und der Feststellung, dass keine von ihnen so recht “authentisch” sei, entscheiden sie sich für unsere Nachbarparzelle. Unter unseren streng beaufsichtigenden Blicken bauen sie schließlich ihr Zelt auf, was nochmals doppelt so viel Zeit kostet.

Aber immerhin bauen sie gemeinsam auf. Das junge Paar aus Belgien sorgt einen Tag später für Arbeitsteilung. Er baut pflichtbewusst und fleißig das recht große Zelt auf, während sie daneben im Gras sitzt, Tee trinkt und mit den Füßen wippt. Wir stehen kurz davor, der armen Sau (also ihm), unsere Hilfe anzubieten. Ganz ehrlich? An seiner Stelle würde ich die Frau in die Wüste schicken – oder halt zurück nach Belgien.

Lust auf weitere Reiseinfos oder nette Gespräche?
Ich freue mich über jede Anmeldung in www.molls-reiseforum.de

 

2 Kommentare zu „2007 – (1) Mit dem Fahrrad zum Frachtschiff“

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