20 Jahre Pingu

Jeder Leser meines Blogs weiß, dass ich viel herumkomme. Aber nicht jeder weiß, dass ich auf meinen Reisen auch noch ganz nebenbei etwas eher ungewöhnliches mache. Und zwar habe ich eine Stoffpinguin dabei, den ich vor Sehenswürdigkeiten und Landschaften fotografiere. Zugegeben, dank Instagram ist das heutzutage keine große Besonderheit mehr. Das ungewöhnliche dabei ist, dass der Stoffpinguin mehr als ein Kilo wiegt und über 60 cm hoch ist. Keine Leichtigkeit, insbesondere, wenn man bedenkt, dass der Stoffpinguin schon auf so manchem Berggipfel stand und bei einer mehrmonatigen Fahrradreise anwesend war.

Doch wie kam es eigentlich dazu? Es trug sich zu im Jahre 1994, als ich durch die Gänge von Karstadt schlurfte und auf einem Tisch diesen riesig wirkenden Stoffpinguin entdeckte. 50 Deutsche Mark sollte er kosten. Und kostete er mich auch. Denn aus der Laune heraus kaufte ich ihn einfach mal. In den ersten Jahren diente er als Türstopper in meiner Wohnung. Denn die Wohnzimmertür war irgendwie schief und ging immer von alleine zu. Das sollte sie aber nicht. Also stellte ich den Pinguin vor die Tür. Die blieb dann auf und dekorativ war das dann auch noch.

Genau zehn Jahre nach unserem Kennenlernen bei Karstadt hatte sich mein Leben und mein Alltag komplett gewandelt. Ich war Reisender, hatte mich kurz zuvor selbstständig gemacht und lebte in einem Wohnmobil. Eine Wohnzimmertür hatte ich mehrere Jahre nicht mehr, doch von dem Stoffpinguin wollte ich mich nicht trennen. Das wäre irgendwie zu schade gewesen. So dekorierte das Stofftier die Sitzbank des Wohnmobils und nahm dort sehr viel Platz ein.

Als ich für einen Reiseführer über Ungarn im Land recherchierte und Bilder machte, überkam mich die Idee, dass ich irgendwo dort auch ein Erinnerungsfoto für mich machte. Allerdings wollte ich mich nicht selbst fotografieren. Smartphones gab es 2004 noch nicht und Selfies mit der analogen Spiegelreflexkamera waren mehr als kompliziert. Also setzte ich den Stoffpinguin in den Garten von Schloss Esterházy in Fertöd und lichtete ihn ab. Gleichzeitig gab ich dem Stoffpinguin dann auch endlich einen Namen: Pingu.

Die Namenswahl war zugegebenermaßen nicht sehr kreativ, aber so hieß er jetzt nun einmal. Es folgten noch jede Menge weitere Bilder, die ich damals mit der Spiegelreflexkamera auf Dia machte. Da die Dias nicht besonders gut eingescannt sind, ist die Bildqualität auch entsprechend schlecht.

Das änderte sich erst mit der Nutzung einer Digitalkamera. Wobei bei mir Aufkommen von kompakten Digitalkameras schnell klar war, dass man diese Pixelbilder sehr einfach manipulieren könnte. Daher hatte ich in einer langen Übergangszeit immer zwei Aufnahmen von Pingu gemacht: Eine digital und eine als Dia mit der Spiegelreflex, um beweisen zu können, dass ich Pingu wirklich dorthin trug, wo ich das Foto machte. Letzteres wurde mir nachher zu blöd. Wem haben Pingu und ich etwas zu beweisen? Ich habe einfach die Pingu-Fotos gemacht. Da, wo es mir gerade gefiel und wo ich es passend fand.

Schon nach drei Jahren war mir Pingu und die Bilder so sehr ans Herz gewachsen, dass ich in aus Sicherheitsgründen einer Operation unterwarf. Denn im Jahr 2007 radelten meine Frau und ich mit dem Fahrrad zunächst durch Europa, um dann mit einem Frachtschiff nach Südamerika zu gelangen. Uns war klar, dass wir in den südamerikanischen Ländern so einige Grenzen überqueren würden und dass wir dort gründlich untersucht würden. Wir befürchteten, dass verdutzte Grenzbeamte im Amazonasgebiet vielleicht annehmen könnten, wir würden den Stoffpinguin zum Schmuggeln von Drogen benutzen. Daher gingen wir im Vorfeld der Reise zu einem Schneider und baten ihn, im Unterkörper von Pingu einen Reißverschluss einzunähen. Bevor also jemand mit dem Messer auf Drogensuche gehen würde, könnte man einfach den Reißverschluss öffnen und sehen, dass sich nur Füllmaterial im Inneren von Pingu befindet.

20 Jahre sind nun vergangen, seitdem ich bzw. wir Pingu mit auf Touren nehmen. Wir haben mehr als eintausend Pingu-Fotos gemacht und ich sehe das mittlerweile als eine Art Kunstprojekt. In der Anfangszeit entstanden Pingu-Fotos meist immer in einer Ortschaft, in der ich mich gerade aufhielt. Eben als Erinnerung. Im Laufe der Zeit kamen weit entfernte Orte hinzu, die ich als etwas Besonderes betrachte. Denn – und das sollte man dazu wissen – ich fliege nicht. Generell. Wie ein Pinguin eben. Anders als bei Pinguinen ist es aber Flugangst. Dazu gibt es aber ein eigenes Thema hier im Blog. Und weil ich eben nicht mal eben in die USA oder auf andere Kontinente fliege, sind die dortigen Ziele für mich immer etwas Besonderes. Und das Erreichen dieser Ziele halte ich dann eben mit einem Pingu-Foto fest.

Entstanden sind im Laufe der Zeit aber auch Bilder, für die ich im Vorfeld eine Erlaubnis einholte, um eben auch mal ungewöhnliche Pingu-Fotos machen zu können. Darüber hinaus hat vor vielen Jahren der WDR einen kleinen TV-Beitrag über Pingu erstellt und auch in der Zeitung wurde über Pingu berichtet. Letzteres aber eher aus Gründen einer Ankündigung für einen meiner Vorträge. Dieser fand nämlich im damals noch existierenden Pinguin-Museum in Cuxhaven statt. Und Pingu war natürlich mit dabei.

Außerdem hat Pingu eine eigene Webseite, die unter www.wo-ist-der-pinguin.de zu erreichen ist (man könnte aber auch einfach dieweltenbummler.de/pingu aufrufen. Dort findet man sämtliche Fotos mit dem Stoffpinguin und eine Weltkarte bei GoogleMaps, auf der ziemlich exakt die jeweiligen Aufnahmeorte der Pingu-Fotos verzeichnet sind. Nicht vergessen wollen wir natürlich auch die sozialen Netzwerke, auf denen sich Pingu herumtreibt. Seine Bilder gibt es sowohl bei Facebook als auch bei Instagram.

Praktisch zu jedem einzelnen Bild gibt es natürlich eine Geschichte. Und von denen will ich anlässlich des 20. Jubiläums von Pingu auf Reisen ein paar erzählen:

Beginnen wir mit den Aufnahmen, für die ich zuvor angefragt habe, ob das überhaupt möglich sei und die etwas weniger mit dem Thema Reisen zu tun haben. So entstand das Pingu-Foto in der Schalke Arena zum Beispiel durch freundliche Unterstützung von Schalke 04. Ich bin weder Schalke-Fan noch habe ich groß etwas mit Fußball am Hut. Aber ich fand, das wäre durchaus ein interessantes Motiv. Auch die Polizei in Essen gab mir die Erlaubnis, Pingu mal als Freund Helfer in einen Polizeiwagen zu stecken. Zum Glück nicht als verhafteter Pinguin. Der Zahnarztbesuch war mit meinem damaligen Zahnarzt abgesprochen, kurz bevor es auf die monatelange Südamerikareise ging. Für die Tour gab es natürlich vorher einen Gesundheitscheck, so auch für Pingu. Bei dem Foto, auf dem Pingu als Kapitän eines Frachtschiffes unterwegs ist, benötigte ich keine Genehmigung. Wir waren ja auf eben diesem Schiff nach Südamerika unterwegs und so ergab sich das von ganz alleine. Anders wiederum bei der Kulisse der ehemaligen Fernsehserie Lindenstraße in der ARD. Hier wurden wir wieder auf Anfrage eingeladen und machten auch an anderen Orten des Filmsets Fotos.

Apropos Film: Wie bei Dreharbeiten für einen Film kann es auch bei Fotoarbeiten zu sogenannten Outtakes kommen. Also zu Szenen, die so eigentlich nicht geplant waren. Eine große Rolle spielen dabei Tiere, die einfach mal ins Bild laufen und Interesse an Pingu zeigen. Die Katze in Frankreich war genauso neugierig wie das Pferd in Bulgarien und nicht zuletzt natürlich die Kühe in Dänemark sowie die Chipmunks im Crater Lake Nationalpark in Oregon. An allen vier Orten gab es eigentlich ein anderes Motiv, was die Tiere jedoch nicht interessierte. Nur das Bild mit dem lebenden Pinguin war genau so geplant. In Argentinien traf unser Stoffpinguin endlich mal auf einen Gleichgesinnten in freier Wildbahn.

Als wir durch Argentinien reisten und unter anderem auch die Stadt Posadas am Rio Paraná besuchten, hatten wir eigentlich keine Absicht nach Paraguay zu reisen. Doch der Fluss ist ein Grenzfluss und über eine Brücke gelangt man in die paraguayische Stadt Encarnación. Die Gelegenheit, ein Pingu-Foto in Paraguay machen zu können, wollten wir uns daher nicht entgehen lassen. Wir ließen unsere Ausrüstung im Hotel im argentinischen Posadas, schnappten uns die Kamera und Pingu, um mit dem Linienbus über die Brücke nach Paraguay zu fahren. So reisten wir ganz offiziell aus Argentinien aus und nach Paraguay ein. Und das alles nur, um an der Grenzstation vor der Flagge Paraguays ein Foto von Pingu zu machen. Die ganze Aktion mit Hin- und Rückfahrt sowie mehrmaliger Passkontrolle dauerte mehrere Stunden. Aber das war es uns wert.

Wie schon eingangs erwähnt, fliegen wir nicht. Daher reisen wir entweder auf dem Seeweg oder mit dem Zug zu anderen Kontinenten oder weit entfernten Inseln. So ergeben sich natürlich weitere interessante Fotomotive mit Pingu. Da wäre zum Beispiel das weiter oben gezeigte Bild auf einem Frachtschiff, aber eben auch Bilder auf Kreuzfahrtschiffen. Das Foto auf der Queen Elizabeth entstand zum Beispiel bei einer Reise nach Island. Das Bild vor dem Schornstein der Queen Anne machten wir auf einer ganz besonderen Reises dieses Schiffs, nämlich auf der Jungfernfahrt der Queen Anne. So ließe sich dieses Foto also vom Motiv her natürlich wiederholen, aber nicht von der Art der Reise. Eine Jungfernfahrt wird die Queen Anne nie wieder machen. Die Reise auf der Disney Dream war übrigens eine Kurzkreuzfahrt, um mal das Schiff kennen zu lernen. Die Bilder auf der Queen Mary 2 entstanden wiederum auf unseren vielen Transatlantiktouren, um nach Nordamerika zu gelangen. Und dann gibt es natürlich noch die Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland, China und der Mongolei, bei der Pingu natürlich nicht fehlen durfte.

Wer genau hinschaut, erkennt auf dem Foto, dass wir Pingu auf den Arm genommen haben. Wir wollten ihn dieses Mal nicht auf den Boden stellen und das hat Gründe, wie man ja schon anhand des Schildes erahnen kann. Denn bei der Trinity Site handelt es sich um den Ort, an dem die erste Atombombe der Welt gezündet wurde und bei den Angaben zur Radioaktivität im sandigen Wüstenboden waren wir ein wenig vorsichtig.

Es sind eben nicht nur die klassischen Reiseziele, die wir mit Pingu besuchen. So fahren wir auch schon mal in den kleinen Ort Rachel in Nevada. Er ist der nächstgelegene Ort zur legendären Area 51, womit auch das Bild mit dem Außerirdischen erklärt ist. Und wo wir gerade beim Leben aus dem All sind: Das Universum hat einen Mittelpunkt und dieser befindet sich in Wallace, Idaho. So sagt man es dort. Markiert ist der Mittelpunkt mit einem Gullydeckel. Wie man anhand der roten Hütchen sieht, wurde dieser Mittelpunkt des Universums gerade frisch gestrichen. Egal, ist eben authentisch und Pingu stand im Zentrum allen Daseins. Immerhin.

Ein weit entfernter Ort ist natürlich relativ zu sehen. New York ist für viele Menschen gar nicht so weit weg. Es sind ja nur sechs Flugstunden. Doch wenn man nicht fliegt und sämtliche Ziele dieser Welt mit dem Schiff und über den Landweg erreicht, dann sieht das schon ganz anders aus. So brauchen wir für einen Besuch von Big Apple mal eben sechs Tage mit dem Schiff – und natürlich auch sechs Tage wieder zurück. Noch mehr Zeit benötigen wir dementsprechend, um mit dem Auto auf dem Landweg ins kanadische Dawson City im Yukon oder gar nach Alaska zu gelangen. Genauso stolz sind wir daher auch, das südliche Gegenstück, nämlich das Ende der Panamericana im argentinischen Feuerland zu erreichen. Und in die ganz andere Richtung der Welt, durfte Pingu auch schon die Chinesische Mauer betreten und legte auf dem Weg dorthin einen Zwischenstopp in Moskau und in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbataar ein.

Zu guter Letzt hat Pingu auch eine Heimat und hier dürfen Pingu-Fotos logischerweise auch nicht fehlen. So stand der weitgereiste Pinguin natürlich auch schon vor dem Schloss Nordkirchen und auch auf unserem Wohnmobilstellplatz Nordkirchen.

Doch nach 20 Jahren des Reisens und Fotografierens bleibt es dabei, dass Pingu an zahlreichen Orten dieser Welt abgelichtet wird. Auf die nächsten 20 Jahre, Pingu!

Michael Moll

Hier schreibt Reisejournalist Michael Moll.

Ich bin Autor von mehr als 100 Reiseführern, unter anderem beim National Geographic, und erstelle Artikel in Fachzeitschriften. Außerdem bin ich Betreiber und Besitzer des Wohnmobilstellplatzes am Barockschloss in Nordkirchen im südlichen Münsterland.

Bundesweit halte ich Multimedia-Präsentationen über verschiedene Reisethemen und zu guter Letzt konnte ich einen Fahrradweltrekord für das Guinnessbuch der Rekorde aufstellen.


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