2005 – Mit einem Wohnmobil auf den Balkan


Mittwoch, 4. Mai:
Nach einigen Tagen Sonne ging es heute wieder zurück nach Bulgarien. An der Grenze angekommen, ging ich wieder zum Grenzhäuschen und wer sitzt da? Der Typ, der mir damals zehn Euro abgeknöpft hat. Und auch diesmal wollte er wieder Geld. Er begann ein belangloses Gespräch, als er in den Pass schaute und fragte irgendwann nebenbei, ob ich denn mit der Abfertigung beim Zoll zufrieden waren und ob alles okay sei. Ich ahnte was kommt und tatsächlich, er forderte mal wieder fünf Euro für die „Kaffeekasse“. Weiter ging es nach Melnik und ich krabbelte dort im Sandsteingebirge herum, bevor es abends nach Sandanski ging, wo es einen Campingplatz im Wald gab.

Donnerstag, 5. Mai:
Erst ging es noch mal in das Gebirge und anschließend in das Städtchen Sandanski, das irgendwie anders war, als andere bulgarische Ortschaften. In der Einkaufsstraße gab es zahlreiche Geschäfte, an denen Namen standen wie: Prada, Gucci, Lacoste und so weiter. Und vor den Läden saßen junge Frauen, die sich gekleidet und geschminkt haben, als wollten sie gleich in Paris über den Laufsteg gehen. Irgendwie sah es merkwürdig aus. Und ob es Originalware war, wage ich zu bezweifeln. Ich fuhr weiter bis Predel, kurz vor Razlog, mit einem kleinen Abstecher nach Bansko.

In Predel ging ich auf einen Campingplatz, der etwas abseits lag. Der Besitzer war etwas älter und sprach nur bulgarisch. Der Sohn hingegen war im Teenager-Alter und sprach etwas englisch. Er interessierte sich sehr für das Wohnmobil. Er sah, dass es ein Ford Transit war und wollte alles Mögliche darüber wissen. Vom Preis bis zum Kilometerstand musste ich ihm alles sagen, was mir zugegebenermaßen am Anfang komisch vorkam. Ich erzählte ihm aber auch, dass der Wagen seit Wochen ein sehr merkwürdiges Geräusch von sich gibt und ich nicht orten kann, woher das kommt und es in den letzten Tagen meiner Meinung noch schlimmer wurde. Er schlug plötzlich vor, ich könne morgen ja mal nach Blagoevgrad fahren (40 km entfernt) und dort zu seinem Bruder. Er lebt dort in der Stadt und fährt selber Transit. Gleichzeitig hat er Freunde, die sich alle mit dem Fahrzeugtyp auskennen. Zugegeben, ich war etwas skeptisch, aber ich nahm dieses Angebot erst einmal hin und wartete auf den nächsten Tag.

Wohnmobilreparatur in Bulgarien

Freitag, 6. Mai:
Als ich morgens aufbrechen wollte, kam der Sohn schon zum Auto. Er fragte, ob ich nun zu seinem Bruder wollte. Dieser könne sehr gut englisch und würde bestimmt weiterhelfen. Prompt griff er zu seinem Handy und rief ihn an. Sie unterhielten sich auf Bulgarisch und ich verstand zwischendurch einige Wortfetzen wie Transit, Caravan und ähnlich markante Worte. Plötzlich gab er mir sein Handy und ich solle mal selber mit seinem Bruder telefonieren. Wir sprachen also auf Englisch und vereinbarten, dass ich nach Blagoevgrad fahren solle und dort beim Befahren der Stadt einmal kurz anrufen, damit er wir uns dort am Ortseingang treffen. Gleichzeitig bat er darum, dass ich nicht ganz so spät kommen solle, da in Bulgarien heute Feiertag ist und die Geschäfte früher schließen als gewöhnlich, für den Fall, dass ich Ersatzteile benötigen.

Nun gut, ich fuhr also los und erreichte die Stadt. Dort an der OMV-Tankstelle rief ich ihn noch mal an. Ja, er kommt sofort, waren seine Worte. Und tatsächlich, es dauerte keine fünf Minuten, als ein Transit mit Lichthupe kam. Er parkte seinen Lieferwagen gleich hinter meinem Wohnmobil und begrüßte mich, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Sein Name war Toni und ich erklärte ihm also noch mal in Ruhe, dass es nur ein Geräusch ist, ich aber nicht weiß, woher es stammt. Wir rollten uns halbwegs unter das Auto, damit ich es ihm zeigen konnte. Anschließend setzte er sich hinters Steuer, schob mich dezent auf den Beifahrersitz hinüber und startete den Motor. Schon auf den ersten zwei Metern ertönte von unten wieder das bekannte „Klong“ und Toni wusste sofort, was ich meinte. Er fuhr vorsichtig auf die Straße und staunte. Das kannte er noch nicht. Er musste es nicht sagen, ich merkte es an seiner Äußerung: “Mamma Mia!”

Er schlug vor, erst einmal zu Freunden zu fahren, die eine Rampe haben, damit man mal in Ruhe drunter schauen kann. Gesagt getan, befanden wir uns wenige Minuten später auf einem Lkw-Hof. Toni organisierte, dass wir auf eine Rampe fahren durften und ein älterer Herr krabbelte unter das Auto. Diagnose: Kardanwelle, Kugellager und irgendetwas weiteres. Toni erklärte, dass ich die Möglichkeit hätte, weiter zu fahren, allerdings vorsichtig oder ich kaufe eine neue Kardanwelle. Doch diese würde sogar hier in Bulgarien rund 400 Euro kosten und wäre wahrscheinlich auch nur in Sofia erhältlich. Doch er machte noch einen anderen Vorschlag. Wir fahren zu Freunden von ihm und sie bauen die Kardanwelle aus und probieren, sie zu reparieren. Es wäre zwar nur ein Versuch, aber nicht unmöglich. Okay, darauf einigten wir uns. Also brachte er den Wagen zu einer Hinterhofwerkstatt, wo sich zahlreiche Leute über die verschiedensten Autos hermachten.

Sie als Werkstatt zu bezeichnen, ist vielleicht schon sehr viel. Es war eher ein kleiner Garagenhof, auf dem die Garagen zu kleinen Werkshallen umfunktioniert wurden. Dementsprechend passte das Wohnmobil auch nur gerade eben so rein. Auf dem Weg dorthin sagte Toni, dass man in Bulgarien Freunde haben muss, sonst ist man verloren. Und eben diese machten sich daran, die Kardanwelle auszubauen. Sie stellten die gleiche Diagnose wie oben beschildert und erklärten Toni, dem Sportlehrer alles, damit er übersetzen konnte. Sein Vorschlag: Wir fahren nun mit dem Taxi zur OMV-Tankstelle um sein Auto zu holen. Dann hole ich am Geldautomaten Geld und wir kaufen ein Ersatzteil. So machten wir es auch. Das Taxi hat Toni vorgestreckt, da ich noch kein Bargeld hatte. Er bezahlte also so lange, während ich an der Tankstelle Geld abhob. Dann fuhren wir zum Zubehörgeschäft. Toni bat mich, im Auto zu bleiben. Als er freudestrahlend zurückkam, hielt er das notwendige Ersatzteil in den Händen. 18 Euro habe er bezahlt. Wäre ich dabei gewesen, hätte ich wahrscheinlich 25 Euro bezahlt. Ausländerzuschlag! Doch ich betrachtete dieses Teil und schätzte den Wert in Deutschland auf über 60 Euro. Ich war erstaunt. Toni erklärte auch, dass der Besitzer von der Werkstatt einen Festpreis für die Reparatur sagte. Ich müsse ihm 25 Euro geben und dann wäre alles bezahlt. Ich fand das nicht nur fair sondern unverschämt günstig. Immerhin waren die Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt schon über eine halbe Stunde nur mit dem Ausbau der Kardanwelle beschäftigt gewesen. Doch Toni hat noch einen drauf gesetzt. Seine Worte waren, dass er eigentlich nur 20 Euro hätte bezahlen müssen, doch als der Werkstattbesitzer das deutsche Kennzeichen sah, schlug er noch mal fünf Euro drauf. Aber Toni und ich schauten uns an, lachten und sagten beide gleichzeitig, dass die Reparatur in Deutschland ein Vielfaches kosten würde. Er kannte sich gut aus, denn er handelt seit Jahren mit Autos aus Deutschland und anderen Staaten, die er nach Bulgarien importiert. So war sein Transit beispielsweise aus Italien.

Er erzählte mir auch eine Geschichte, die ihm im letzten Jahr passierte, als er drei französische Wohnmobilfahrer in Blagoevgrad sah und sie anscheinend ein kleines Problem mit ihrer CB-Funkantenne hatten. Er sprach sie darauf an und diese lehnten erst einmal skeptisch Hilfe ab. Doch Toni versprach, dass er nichts Böses wolle, sondern möglicherweise helfen kann. Und so war es schließlich auch. Er konnte keine neue Antenne besorgen, doch bulgarisches Improvisationstalent machte es möglich, dass zumindest für diese Reise alles wieder in Ordnung war.

Als wir an der Werkstatt ankamen, gab es schlechte Nachricht. Das Kugellager von der Kardanwelle war ziemlich defekt. Auch das müsste erneuert werden. Sie zeigten es mir und auch ich als Laie konnte es gut erkennen. Also fuhren Toni und ich erneut los. Leider brachte diese Fahrt nichts, da dieses Ersatzteil nicht zu besorgen war. Doch Toni tröstete mich. Er sagte, das kaputte Teil wäre immer noch gute Qualität, weil es ein deutsches Originalprodukt ist. Hier in Blagoevgrad würde man nur ein Plagiat aus türkischer Produktion erhalten. Es würde sich in etwa gleich bleiben. Und wenn ich vorsichtig weiter fahre, hält auch noch erst einmal das abgenutzte Originalteil.

Wir kamen wieder zurück zur Werkstatt und wurden von vier Leuten diesmal strahlender begrüßt. Sie haben improvisiert. Irgendein Ford Scorpio, der dort rum gestanden haben muss, hat nun ein Kugellager weniger. Es passte tatsächlich auf die Kardanwelle.

Toni machte nun folgenden Vorschlag: Er müsse nun mal wieder zu seiner Frau, die krank im Bett liegt (immerhin hat er sich schon zwei Stunden mit meinem Problem beschäftigt), aber wenn die Kardanwelle wieder eingebaut ist und ich bezahlt habe, dann solle ich ihn noch mal anrufen. Ich hatte ihm zwischendurch von der Reifenpanne erzählt und er konnte nicht verstehen, warum ich noch keinen neuen Reifen gekauft habe. So kam ich in Bulgarien zu meinem dortigen Spitznamen Risk-Man. Also wollte er noch mit mir zu einem Reifenhändler. Natürlich mal wieder ein Freund von ihm 😉

Gesagt, getan. Der Einbau dauerte noch mal eine halbe Stunde, ich bezahlte die vereinbarten 25 Euro (!) und rief Toni an. Und er kam, fuhr vor mir her, bis wir an einem kleinen Laden ankamen, wo man tatsächlich Reifen kaufen kann. Dieser Laden war nicht größer als ein Kiosk in Deutschland. Ich rollte den kaputten Ersatzreifen hin und der Händler untersuchte ihn. Es war ein Nagel, der im Gummi steckte. Der Händler zog ihn raus, dichtete das Loch ab, füllte den Reifen mit Luft und hat auf der Straße im Nieselregen noch den Reifen wieder gewechselt, damit ich nicht mehr mit diesem uralten Ersatzrad durch die Gegend gondeln muss. Kostenpunkt für diese ganze Aktion: 5 Euro!

Mittlerweile hatte ich schon ein ganz schlechtes Gewissen, weil sich Toni so sehr kümmerte und sich so viel Zeit für mich nahm. Als Dankeschön wollte ich in der kommenden Nacht mindestens nochmal bei seinem Vater auf dem Campingplatz schlagen. Aber Toni gab mir auch noch eine andere Brücke, damit ich Danke sagen konnte. Er fragte, ob ich Hunger hätte. Er würde mir mal typisch bulgarische Küche zeigen. Ich war ihm dankbar, weil ich mich auf diese Art nochmals bei ihm revanchieren konnte. Also fuhren wir mit den beiden Autos zu einem Straßenimbiss und bestellten Kebabce. Es waren insgesamt 7 Frikadellen, drei Pommes Frites, Brot und für Toni ein Bier. Alles zusammen kostete es gerade mal 4 Euro! Hinzu kam, dass es sehr gut schmeckte und wir satt waren.

Ich erklärte Toni, dass ich noch kurz ein Internetcafe benötige und in die Innenstadt fahren werden, weil ich dort ja schon eines kannte. Doch er verneinte und meinte, ich solle einfach nach nebenan gehen. Dort ist auch ein Internetcafe! Also ging ich dorthinein und wollte bloß eine kurze Mail versenden, die ich bereits auf Diskette hatte. Der Ladeninhaber saß an dem einzigen PC in dem Raum und an der Wand flimmerte ein Fernseher. Toni unterhielt sich draußen, während ich die Mail verschickte. Der Inhaber drückte auf der Fernbedienung herum und war ganz stolz als er extra für mich einen deutschen Sender einschaltete. Ich war erstaunt, plötzlich eine deutsche Nachrichtenstimme zu hören aber zugleich auch gerührt. Als ich fertig war, wollte ich ihm Geld geben, doch er lehnte partout ab. Ich fragte Toni und er meinte, ich solle ihm einfach 1 Leba (50 ct) in die Hand drücken, was ich dann auch tat. Anschließend tauschten wir noch Mailadressen aus und ich fuhr zu seinem Vater auf den Campingplatz. An dieser Stelle möchte ich noch einmal zusammenfassen: 2 Ersatzteile, eine zweistündige Reparatur, eine Taxifahrt und ein umfassendes Essen. Alles zusammen für rund 65 Euro. In Deutschland hätte ich mindestens 400 bezahlt. Aber mehr noch als über das gesparte Geld bin ich dankbar, dass Toni, der mich überhaupt nicht kannte, sich so sehr kümmerte. Danke Toni!!!

1 Kommentar zu „2005 – Mit einem Wohnmobil auf den Balkan“

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