2009 – Mit dem Zug nach Moskau

 

Mit dem Zug nach Moskau und zurück

Rückfahrt mit dem Zug von Moskau nach Deutschland

Tatsächlich, ich bin falsch, aber einfach nur, weil ich noch eine Etage höher gehen muss. Also humpel ich die Treppen hoch und sehe dort vor mir vier Schalter, die nur wenig besucht sind. Das lässt hoffen. Ich entscheide mich für den Schalter ganz rechts, wo nur ein einzelner Mann steht. Nach mehreren Minuten Wartezeit weiß ich, dass dieser Mann eine ganze Menge Fragen hat. Allerdings geht es an den anderen Schaltern nicht schneller voran. Währenddessen kommt eine ältere, dickliche Frau, also eine echte Babuschka wie man sie sich vorstellt und bequemt sich zwischen den Mann und mir. Na klasse, das habe ich davon, dass ich dummer Deutscher aus Diskretionsgründen einen Meter Platz lasse, macht hier doch sonst sowieso keiner.

 

Mein Räuspern wird ignoriert und mich beschleicht das Gefühl, dass sie aus Rachegründen von der ersten Schalterhalle, wo ich mich ein wenig vorgedrängelt habe, zu mir geschickt wurde. Also tippe ich ihr auf die Schulter , sie dreht sich um und sagt auf Russisch, dass sie doch nur eine kurze Frage hätte. Ja, sage ich, das habe ich auch, denn ein Ticket habe ich ja schon. Irgendwie merkwürdig, sie spricht Russisch, ich rede Deutsch und dennoch verstehen wir uns – oder auch nicht, denn sie steht ja immer noch vor mir. Irgendwann mischt sich die Schalterbeamtin ein und fragt, was sie denn für eine Frage hätte.

 

Die dicke Babuschka will nach Berlin. Auch das noch, wahrscheinlich kauft sie mir die letzte Bettreservierung weg. Und aus der angeblich nur kurzen Frage wird dann doch ein längerer Kauf und so muss die Angestellte nun nicht mehr nur den Mann bedienen, sondern auch die Babuschka – selber Schuld. Irgendwann wird es mir zu blöd und ich wechsel doch den Schalter. Und siehe da, ich komme dort eher dran, als die Frau Berlinie sagen kann.

 

Die nette Frau am Bahnschalter teilt mir den Preis für die Reservierung mit und fragt, für wann es denn sein soll. Ich schreibe ihr das heutige Datum auf und sorge damit bei ihr für ein skeptischen und überraschten Gesichtsausdruck. Doch sie schaut in ihren PC und sagt „Da“, was in Russisch ein „Ja“ ist. Wunderbar, wenige Augenblicke später wechseln Rubel und Bettkarte die Schalterseite und ich kann mich beruhigt darüber freuen, dass ich nach Hause komme. Andererseits finde ich es auch schade, weil ich die Reise damit früher als geplant beenden musste, doch das kann auch schon mal passieren, wenn man so wie ich, oft unterwegs ist. Ist zwar blöd gelaufen, aber lässt sich halt nicht ändern und die Gesundheit geht in jedem Fall vor.

 

Also steige ich abends in den Zug gen Westen und lerne Valentin kennen. Er streckt mir die Hand entgegen und sagt, dass er nach Essen wolle, seine Tochter besuchen. Er hat das untere Bett, während ich eine Reservierung für das mittlere habe. Ich habe noch die Jacke an und stehe in der Tür, als er mir schon stolz eine Flasche Wein zeigt. Wenig später erscheint der dritte Fahrgast aus unserem Abteil, ein Weißrusse, dessen Namen ich nicht verstanden habe. Ich weiß nur, dass er nach Brest fahren wird. Der Weißrusse ist mir nicht sonderlich sympathisch, er hat eine merkwürdige Art zu lachen. Es wirkt ein wenig falsch und scheint sagen zu wollen: „Jetzt lach bloß gefälligst mit“. Aber Valentin kann ja mit ihm reden, während ich bei der Abfahrt noch einige Bilder von Moskau mache.

 

Der Tag geht dem Ende zu und der 69jährige Valentin holt drei Gläser vom Schaffner um uns seinen Wein anzubieten. Er gießt mir zuerst ein und ich sage ihm nach einem Zentimeter Stoi (Stop), für sich und dem Lukaschenko-Verschnitt gibt es die vierfache Menge. Ich habe mich auch nur für den Wein bereit erklärt, weil ich annahm, dass nur Menschen mit Niveau Wein trinken und dieser nicht zum Betrinken gedacht sei. Dass ich mich irrte, wird mir klar, als ich sehe, dass beide ihre Gläser in einem Schluck leeren. Ich nippel meinen Wein zu Ende und klinke mich dann aus der Runde aus, da ich grundsätzlich sehr selten Alkohol trinke. Ich biete Lukaschenko an, dass ich das obere Bett nehme, damit er nicht so hoch klettern muss. Er ist zum Glück einverstanden, was bedeutet, dass ich dort oben in zwei Meter Höhe mehr Ruhe habe. Sie machen innerhalb einer Stunde zwei Flaschen Wein leer und gehen dann schnarchend in die Betten unter mir.

 

Mir fällt es zunächst schwer, einzuschlafen, aber als mich der Schlaf packt, halte ich durch bis wir an der weißrussischen Hauptstadt vorbei sind – also wieder mal Minsk verpasst. Am Vormittag sind wir in Brest, wo der Weißrusse aussteigen muss und Valentin und mich alleine lässt. Wenig später geht es wieder in die Montagehalle und wir kriegen Besuch von zwei Hühnchen- und Wodkaverkaufenden Frauen. Valentin macht einen Großeinkauf und nimmt nicht nur Hühnchen und Kartoffelpuffer, sondern auch eine Flasche Wodka. Die beiden Frauen bleiben während des Fahrgestellumbaus neben Valentin sitzen und teilen mit ihm die Flasche Wodka.

 

Ich bevorzuge es, die Szenerie von oben zu beobachten. Ein wenig scheint mir, dass der Verkauf der Waren illegal ist, da sich die Babuschka immer ängstlich umschaut und auch die Kabinentür verschlossen hat. Nach einigen Gläsern Wodka fangen die drei an zu singen, was sich einerseits schön anhört, andererseits aber deutlich zeigt, was der Alkohol bewirkt. Dabei haben wir erst halb 10 am Morgen. Okay, in Weißrussland ist es bereits eine Stunde später.

 

Und immer wieder versuchen die Frauen, mir auch Wodka und Hühnchen anzubieten. Letzteres sieht jedoch sehr fettig aus und außerdem ist mir momentan überhaupt nicht nach Essen. Also verneine ich jedes Mal brav mit: „Njet, Spasiba. (Nein, danke)“. Nach dem x-ten Mal gibt sie es auf und sagt über mich lachend zu Valentin „Njet normalny, njet russkie“.

 

Auf der weiteren Fahrt unterhalten Valentin und ich uns so gut es geht. Die Gespräche wandern von Borusssia Dortmund bis Spartak Moskau, wovon ich nur wenig Ahnung habe und über Gerhard Schröder zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr (gefährliches Thema!). Lachend streckt er mir aber irgendwo in Polen die Hand entgegen und sagt: „Russland gut, Deutschland gut – kein Krieg, nicht mehr Krieg!“ In diesem Moment fühlte ich mich als Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland und beschloss im Alleingang das Friedensangebot Russlands anzunehmen.

 

Später plaudern wir noch über Mozart, Beethoven und Co und ganz zufälligerweise hatte ich die Mondscheinsonate in meinem mp3-Player, so dass wir nur wenige Augenblicke später wie Teenager auf seinem Bett sitzen, jeder einen Stöpsel im Ohr und Musik hören.

 

Mit der Vorstellung, dass es in etwa so in der Transsibirischen Eisenbahn zugehen muss, wandert mein Blick über die grün leuchtende Landschaft Polens. Der Zug bewegt sich stetig weiter gen Westen und erreicht am nächsten Morgen in der Früh Dortmund.

 

-ENDE-

Übrigens: Aus dieser Reise entstand einer dieser Zeitschriftenartikel.

1 Kommentar zu „2009 – Mit dem Zug nach Moskau“

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