2009 – Mit dem Zug nach Moskau

 

Mit dem Zug nach Moskau und zurück

Metro in Moskau

Es ist ein unglaubliches Gewühl an Menschen, die alle nach unten zur Metro wollen. Wir gehen auf zwei lange Menschenschlangen zu, die sich vor Fahrkartenschaltern gebildet haben. Für 22 Rubel (rund 50 Cent) erhalte ich ein Ticket in der Form einer Kreditkarte, mit der ich durch eine von unzähligen Schleusen gehen darf. Zahlreiche Menschen links und rechts strömen hastig durch die Halle Richtung Rolltreppe. So verwundert es nicht, dass es vor der Treppe zu einem Menschenauflauf kommt, man könnte auch Stau sagen.

 

Solch eine schnelle Rolltreppe habe ich sonst noch nirgendwo gesehen. Die einzelnen Stufen kommen aus dem Boden geschossen und man muss ganz schön aufpassen, wo man hintritt, damit man die richtige Treppe erwischt. Auffällig ist auch, dass alle Menschen rechts stehen, die linke Seite der Rolltreppe wird denen überlassen, denen die Rolltreppe noch zu langsam ist. Erst als ich sicher stehe mit meinem Koffer in der Hand, sehe ich erst einmal, wie lang die Rolltreppe ist. Oder besser gesagt, ich sehe es nicht. Vor lauter Menschen kann ich den unteren Bereich der Treppe gar nicht erkennen, aber er muss verdammt weit weg sein.

 

Erst später werde ich sehen, dass es Vorschriften gibt, wie man sich in der Metro zu verhalten hat. So ist mit Aufklebern angezeigt, dass man eben die rechte Seite der Rolltreppe zum Stehen nutzen soll und die Linke zum Gehen gedacht ist. Ebenso ist unterirdisch alles als Einbahnstraße geregelt. Alle Menschen laufen in dieselbe Richtung, was allerdings auch sinnvoll ist. Würden nochmal so viele Menschen entgegen kommen, dann würde wohl das ganze System kollabieren.

 

Mehrfach fahre ich an dem Tag mit der Metro, von Dimitri und seiner Mutter habe ich mich längst verabschiedet. Und spätestens beim zweiten Mal habe ich das System durchschaut. Ein „Adin Passajerski na adin baggage“, erzähle ich der Kassenfrau hinter der Glasscheibe. Und tatsächlich, es wirkt. Ich bekomme zwei Tickets, eines für mich und eines für das Gepäck. Dass ich so gute Russischkenntnisse habe, wusste ich bis dato noch gar nicht. Dabei habe ich immer die DDR-Bürger bewundert, wenn sie angeben, noch etwas Russisch sprechen zu können. So schwer ist das ja nun auch nicht.

 

Auch das Lesen der kyrillischen Buchstaben ist recht einfach. Mit einem kleinen Metrofahrplan, den ich am Bahnhof erhalten habe, kann ich die einzelnen Buchstaben miteinander vergleichen. Und da ich weiß, dass ein kyrillisches c eigentlich ein s ist und ein P eher ein R, das H steht für ein N und das umgekehrte N ist ein i, ist es sogar einigermaßen lesbar. Nach der dritten Metrofahrt stelle ich sogar fest, dass ich die Ansagen der Lautsprecherdurchsagen teilweise verstehe – unglaublich, ich kann Russisch. Na, das ging ja schnell.

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Allerdings ist es immer wieder angenehm, die großen und imposanten Hallen der Metrostationen zu verlassen und wieder an die Oberfläche zurück zu kehren. Habe ich am Morgen noch gedacht, dass die Straßen von Moskau laut und hektisch sind, so ist es nach einem Aufenthalt in den Katakomben der U-Bahn geradezu erfrischend und erholsam, sich an der frischen Luft zu bewegen.

 

Aber immer wieder ist es überraschend, wo man auskommt. Ich habe die Haltestelle am Roten Platz dreimal verlassen und bin dreimal an ganz anderen Orten wieder an die Oberfläche gekommen. Beim ersten Mal musste ich mich noch durchfragen, wo denn der Rote Platz ist. Hierbei benutze ich meistens einen der zahlreichen Uniformierten, die in Moskau herum laufen. Uniform gleich Wichtig und kompetent, denke ich mir. Ob das nun ein Soldat, ein Polizist oder ein Angestellter der Metro ist, es ist mir egal, Hauptsache Uniform. Man schickt mich also beim ersten Mal über die Straße und dann solle ich eine Ecke weiter vor dem Kreml stehen. Gesagt, getan und schon stehe ich vor der roten Wand des Kreml, geschafft.

 

Ich gehe nach links und komme am Grabmal des unbekannten Soldaten vorbei. Kurz dahinter geht es rechts, leicht bergauf und die Kathedrale am Roten Platz kommt in Sicht. Und schwupps, schon steht man auf dem Kopfsteinpflaster des berühmten Platzes. Rechterhand erhebt sich der Kreml mit dem Lenin-Mausoleum, vorne die Kathedrale mit ihren bunten Zwiebeltürmchen und links das Kaufhaus GUM. Nur eines bleibt aus: Der Aha-Effekt.

 

Ich komme an einem Touristenpaar aus Deutschland vorbei, bei dem der Mann zu seiner Frau sagt: „Ist aber ganz schön groß, der Platz, was?“ Ja, denke ich. Groß ist der Platz schon, aber bei Weitem nicht beeindruckend. Mir schießt es durch den Kopf, dass sich viele Dinge irgendwie wiederholen und manche Dinge einfach nicht mehr das halten können, was man vielleicht erwartet. So werde ich später noch Plastiktüten von C&A, der METRO und IKEA sehen – wie aufregend. Der gemeine Moskoviter macht also genau das gleiche wie Klara Kämpchen aus Bottrop: Er stellt sich schwedisches, zu Möbeln verarbeitetes Holz in die Wohnung. Und auf den Dächern rund um den Kreml erheben sich riesige Werbebotschaften, die daran erinnern, dass es eine Firma Samsung gibt. Welche Handymarke wohl Medwedew hat? Lässt er sich beim Blick aus seinem Büro von diesen Lettern beeinflussen?

 

Besichtigung des Roten Platzes

Fest steht, Moskau hat mich nicht überrascht. Die U-Bahn ist nach zwei Fahrten durchschaut, der Rote Platz ist gar nicht rot, sondern mit weißen Linien für die Soldatenaufmärsche markiert und ich habe gelernt, dass es in Moskau Geschäfte gibt, die den völlig typisch-russischen Namen Mediamarkt tragen.

 

Langsam schlendere ich an dem Mausoleum vorbei, besichtige die Kathedrale und begebe ich zum Kaufhaus GUM, das heute aber kein Kaufhaus mehr ist, sondern mehr ein Einkaufszentrum. Allerdings eines der edleren Sorte. Hier gibt es kein Saturn, kein McDonald’s und kein Deichmann – zumindest habe ich nichts dergleichen gesehen. Dafür gibt es Schuhe bei Salamander und Kinderbekleidung in einer Boutique namens Kinderhof. Auch der Rest des dreistöckigen Gebäudes mit dem Glasdach und den ellenlangen Gängen ist überwiegend von Boutiquen geprägt.

 

Langsam verlasse ich den Roten Platz wieder und komme an Souvenirständen vorbei, die augenscheinlich alle zusammen gehören und im Großen und Ganzen dasselbe verkaufen. Zu den Rennern gehören anscheinend kommunistische Mützen und Abbildungen von Stalin, Lenin & Co auf Tassen, T-Shirts und den kleinen Holzpuppen namens Matrjoschka.

 

Da der Rote Platz das einzige ist, was ich aus gesundheitlichen Gründen zu besichtigen schaffe und es einfach keinen Sinn mehr macht, weiter zu fahren bzw. länger in der Stadt zu bleiben, beschließe ich, wieder zum Belorusskaja-Bahnhof zu fahren und meine Heimreise zu organisieren.

 

Die Organisation der Heimreise sieht so aus, dass ich zwar ein Ticket für den Zug habe, ich aber auch eine Reservierung für den Schlafwagen benötige, auch Bettkarte genannt. Eine Bettkarte habe ich zwar auch, aber für einen wesentlich späteren Zeitpunkt, so dass ich diese verfallen lassen will und eine für den heutigen Tag kaufen möchte. Am Bahnhof stelle ich mich an die lange Wartereihe an und halte zehn Minuten später mein Ticket hoch um der Kassiererin mitzuteilen, was ich benötige. Genervt zeigt sie nach draußen auf die Bahnsteige. Etwas fragend gehe ich hinaus und schaue, wo dort noch eine Kasse sein könne. Dort ist keine, also gehe ich wieder hinein, stelle mich aber diesmal nicht an, sondern ignoriere die Schlange und halte aus einem Meter Entfernung das Ticket noch einmal hoch mit der Frage: „Wo?“ Zwei Babuschkas hinter mir beginnen zu schimpfen, weil ich mich ja jetzt nicht hinten angestellt habe. Ich ignoriere sie und ignoriere auch, dass sie mir auf die Schulter tippen um ihren Unmut loswerden zu wollen.

 

Genervt zeigt die Frau hinter dem verglasten Schalter wieder nach draußen und ich gebe es auf. Ich stelle mich einfach an eine andere Kasse und hoffe dort auf mehr Servicefreundlichkeit. Vor mir stehen zwei junge Russinnen, denen ich einige Englischkenntnisse zutraue. Und in der Tat, eine von ihnen bringt mich nach draußen und zeigt mir, wo ich hin muss. Nicht nur, dass ich weiß, wo ich hin muss, nein, die Leutchen wissen auch sofort, was ich will. Das baut auf, denn ich habe für meine vorhandene Bettkarte vier Wochen lang jeden Tag bei der Deutschen Bahn anrufen müssen, weil es Probleme bei der Ausstellung gab. Und als es plötzlich möglich war, gab es keine mehr für meinen Wunschtermin – nur noch in der ersten Klasse. So gesehen sind die Chancen also äußerst schlecht, dass ich für den heutigen Abend um 21.09 Uhr noch eine Reservierung erhalte.

 

Ich gehe in die zweite Schalterhalle, die mir die junge Frau gezeigt hat. Dort stelle ich mich an den Schalter, an dem der wenigste Betrieb ist, obwohl ich genau weiß, dass das sicher ein Fehler sein wird. Denn warum stellen sich dort keine anderen Menschen an, das müsste ja einen Grund haben…

 

1 Kommentar zu „2009 – Mit dem Zug nach Moskau“

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