Wieder war es einmal soweit. Einer der höchsten Berge eines Landes stand auf dem Programm und wollte erklommen werden. Ich hätte auch gerne geschrieben, einer der höchsten Berge eines Landes erhob sich vor uns. Doch anders als beim irischen Carauntuohil oder dem Ben Nevis in Schottland bzw. dem Scafell Pike in England kann man den Galdhøppigen gar nicht sehen, wenn man sich aufmacht, ihn zu besteigen.
Ganz im Gegenteil, man sieht den Gipfel sogar sehr, sehr spät. Und wenn man ihn dann vor Augen hat, dann will man vor Schreck fast umkehren. So war es zumindest bei mir. Doch ich bin froh, durchgehalten und den höchsten Berg von Norwegen bezwungen zu haben. Doch der Reihe nach, jede Besteigung beginnt am Fuße des Berges.
Fahrt zu Spiterstulen
Ausgangspunkt für die Wanderung auf den Galdhøppigen ist die Ortschaft Lom. Von dort zweigt die Straße 55 in südwestliche Richtung ab und bringt einen in das Sognefjell. Doch soweit wollen wir gar nicht. Schon wenige Kilometer hinter dem Ort gibt es eine kleine Straße, die zur Spiterstulen Turisthytte führt. Sie soll unser Ausgangspunkt sein. Würde man der Straße 55 noch ein Stück folgen, so käme man zum Abzweig zur Juvasshytta. Auch von dort kann man auf den Berg wandern, sogar mit weniger Höhenmetern. Doch ab der Juvasshytta darf man nur in einer geführten Tour zum Gipfel, weil dieser Weg über einen Gletscher verläuft. Darauf hatten wir keine Lust, daher nahmen wir den etwas längeren Weg ab Spiterstulen.
Schon alleine die Fahrt ab der 55 bis zu Spiterstulen ist ein wenig aufregend, denn die aufwärts führende Straße ist sehr schmal und führt ein paar Mal über enge und morsch wirkende Holzbrücken. Daher ist die Strecke mit größeren Wohnmobilen auch eigentlich nicht erlaubt. Manche machen es trotzdem, wie wir bei unserer Ankunft an der Turisthytte gesehen haben. Und im Grunde passt es auch, immerhin fährt auch ein Linienbus ab Lom jeden Tag den Berg hinauf – was dann doch wiederum ein wenig überraschend war.
Rund 600 Höhenmeter überwindet man auf der Straße bis man bei Spiterstulen auf rund 1.100 Metern steht. Zum Vergleich: Die Juvasshytta steht in über 1.800 Metern Höhe. Und der Galdhøppigen ist 2.469 Meter hoch. Die Straße zu Spiterstulen gilt als Mautstraße, zumindest der obere Teil. Er ist Teil der Turisthytte, die schon seit vielen Jahrzehnten in Familienbesitz ist und einen wirklich schönen Ausgangspunkt bietet. Man kann hier in der Hütte übernachten und essen, oder man schlägt sein Zelt auf der anderen Seite des Flusses auf. Auch mit dem Wohnmobil darf man hier stehen und es gibt sogar Stromanschlüsse. Man bezahlt ganz einfach die Gebühr für die Übernachtung und für die Maut an der Rezeption.
Aufstieg bei klarer Sicht
Nach einer geruhsamen Nacht machten wir uns dann auf den Weg nach oben. Pingu war im Rucksack verstaut, was vom Gewicht her natürlich ein wenig beschwerlich ist. Aber wir hatten ja Zeit. Zunächst überquert man auf einer wackeligen Brücke den Fluss, passiert die Zelte und dann geht es zwischen ein paar Birken auch schon steil hinauf. Weil unser Wohnmobil noch im Schatten parkte und manche Autos gefrorene Scheiben hatten (Ende August!) waren wir mit Mütze, Handschuhe und dicker Kleidung ziemlich warm eingepackt.
Und nicht nur wir, auch die vielen anderen Mitwanderer hielten schon nach wenigen Höhenmetern an und entledigten sich von so manchen Kleidungsstücken. Kein Wunder, die Sonne prallte nämlich genau auf den Berghang, den wir hinaufkraxeln mussten. Steil ging es hinauf, an einigen wenigen Stellen mussten wir alle viere benutzen. Das war aber eher dem Umstand geschuldet, dass die Felsen, die genau vor uns lagen, recht hoch waren und ich mich mit dem großen Rucksack ein wenig abmühte.
Definitv war es aber sehr voll und man wanderte nur selten alleine. Ständig wurde man überholt oder man überholte selber. Manche liefen mit nackten Oberkörper, weil es doch recht warm wurde – und das in einer Höhe von fast 2.000 Metern. Aber das Wetter war einfach traumhaft, blauer Himmel so weit das Auge reichte und kein einziges Wölkchen bis zum Horizont.
Immer wieder fiel der Blick zurück in das Tal, bis dann irgendwann die ersten Eisfelder vor uns auftauchten. Hier hatte man nun die Wahl, ob man auf dem rutschigen Eis nach oben wandert oder lieber einen großen Bogen macht, um dann auf riesigen Felsbrocken durch das Gelände zu klettern. Wir entschieden das bei jedem Eisfeld anders, anstrengend blieb es in beiden Fällen.
Nach mehreren Eis- und Schneefeldern erhob sich vor uns der Gipfel des Svellnose. Dieser ist immerhin 2.272 Meter hoch, aber es ist trotzdem der falsche Gipfel. Und das kann deprimierend sein. Da sieht man einen Gipfel, der ohnehin noch sehr weit entfernt zu sein scheint und dann ist es noch nicht einmal der richtige. Wir wussten, dass der Galdhøppigen noch dahinter liegt, wir danach ein Stück abwärts gehen müssten, um dann nach einem weiteren Gipfel endlich das ersehnte Ziel erreichen zu können.
Über Eisfelder zum Gletscher Styggebreen
Aber zumindest muss man nicht auf den Svellnose hinauf, sondern man passiert den Gipfel etwas unterhalb. Dabei kommt man an einer Abbruchkante vorbei, an der man einen wunderbaren Ausblick auf den Gletscher namens Styggebreen hat. Geht man etwas weiter rauf, so kann man auf der rechten Seite in der Entfernung deutlich die Juvasshytte sehen und je nach Uhrzeit erkennt man sogar eine lange Kette an Wanderern, die angeseilt den Gletscher überqueren.
Auch wir wandern weiter und haben wenig später den Gipfel des Keilhaus Topp vor uns. Wieder mal so ein Punkt, der frustrierend sein kann. Denn der Galdhøppigen ist immer noch nicht zu sehen. Dabei ist er mittlerweile gar nicht mehr so weit entfernt. Wir überqueren ein weiteres Schneefeld, das ganz offensichtlich aber auch zu dem Gletscher gehört und steigen hinauf auf den Keilhaus Topp. Was so einfach klingt, kann echt anstrengend werden. Denn der Aufstieg ist völlig vereist und man muss schon gehörig aufpassen, wo man hintritt.
Was mir vielmehr Sorge machte, war aber der Gedanke an den Abstieg. Steil und rutschig schien mir das nicht so einfach zu sein. Aber wir hatten mittlerweile die Erklärung dafür, warum mancher Norweger einen kleinen Plastiksitz mit sich führte. Er wurde als Schlitten benutzt und so manch einer, der uns entgegenkam, rutschte damit über das Schneefeld hinab. An einer Stelle bildete sich schon eine tiefe Rille, in der die Leute mit lautem Gejohle hinab sausten. Na, da kommt ja noch was auf uns zu.
Nachdem wir dann dieses Eisfeld passiert hatten, standen wir auf dem Keilhaus Topp und konnten uns darüber freuen, zum ersten Mal den Galdhøppigen zu sehen. Direkt vor uns erhob er sich, nicht mehr viel höher als wir jetzt auch schon sind. Doch zunächst muss man wieder ein Stück hinab und dann kommt nur noch eine weiße Schneewand. An diesem Punkt habe ich wirklich gedacht, dass ich das nicht mehr schaffen würde. Ich fragte mich, wie wir nachher wieder runterkommen sollten und ob ich wirklich noch so eine steile weiße Schnee- und Eiswand bewältigen könnte.
Ein letztes Aufbäumen für den Gipfel
Jetzt waren wir aber hier oben und zurück wollte ich eigentlich nur, wenn es wirklich nicht mehr weiter geht. Also gingen wir erst einmal das Stück bergab, um genau vor der Eiswand zu stehen. Na ja, und dann folgte ein Schritt dem nächsten und langsam aber stetig gingen wir dann in Richtung Gipfel. Dieser letzte Anstieg hatte es noch einmal so richtig in sich. Aber es ging und von nun an war klar, dass es ein Zurück erst dann geben würde, wenn wir ganz oben stehen.
Es dauerte noch eine Zeit, doch irgendwann war es dann tatsächlich geschafft. Wir hatten den Gipfel erklommen. Oben steht eine Hütte, in der wir uns etwas zu trinken kaufen konnten. Das tat gut. Wasser hatten wir ja genug dabei, aber so zwischendurch eine Limo zur Belohnung, warum nicht? Wir hätten auch gerne noch in Ruhe einen Tee getrunken, doch der Laden schloss gerade. Wir hatten es also gerade so eben noch geschafft. Das Wetter lockte zahlreiche Wanderer auf den Gipfel und dementsprechend voll war es oben. Man musste einige Zeit warten, bis man ein Foto vom höchsten Punkt in Norwegen machen konnte. Dabei waren die großen Gruppen, die von der Juvasshütte angeseilt hier waren, schon lange wieder weg. Wie voll mag das erst gewesen sein, als die auch noch dort oben standen?
Abstieg mit Rutschpartie
Danach ging es an den Abstieg. Der Einstieg in den Abstieg war ein wenig schwierig, denn wir standen genau vor einer extrem glatten Eisfläche. Sie war nur ein paar Meter breit, doch einige Unvorsichtige hatten sich an der Stelle schon lang gemacht. Und auf Eis hinfallen, hier oben auf dem Gipfel, das wollten wir nicht gerade. Also gingen wir in die Hocke und arbeiteten uns Meter für Meter hinab bis wir Schnee erreichten, auf dem wir deutlich entspannter hinab gehen konnten. Und dann ging es auch recht flott. Weil man so tief in den Schnee einsinkt, konnten wir mit großen Schritten mühelos an Höhe verlieren.
An der Stelle, an der uns die Norweger mit ihren leichten Schlitten entgegenkamen, blieb auch uns nichts anderes übrig, als uns in die Rinne zu setzen und die Schwerkraft arbeiten zu lassen. Natürlich wurden wir nass, aber es machte zum einen mehr Spaß und zum anderen war diese Art des Abstiegs an der Stelle definitiv die sicherere Wahl.
Anstrengender Abstieg
Trotzdem war auch der Abstieg anstrengend, besonders dann, wenn es über sehr große Felsbrocken wieder zu klettern galt. Junge Wanderer hüpfen von Fels zu Fels und ziehen deutlich schneller an uns vorüber. Aus dem Alter sind wir aber raus und denken lieber an unsere Knie. Da bin ich dann doch eher für Langlebigkeit meiner Gelenke. Daher waren wir auch sehr spät erst wieder unten an der Spiterstulen Turisthytte. Mit rund 12,5 Stunden zählt diese Tour zu einer unsere längsten, konnte unseren persönlichen Rekord aus dem Thüringer Wald jedoch nicht überbieten. Dennoch waren wir deutlich länger unterwegs als der Durchschnitt. Denn in der Touristinformation in Lom sagte man uns, dass man 4 Stunden rauf und 2,5 Stunden hinab brauchen würde. Wir brauchten jedoch sechs Stunden rauf und vier wieder runter. Aber wie gesagt, wir ließen uns auch Zeit. Anschließend konnten wir weiter mit dem Wohnmobil durch Norwegen.
Schön war die Tour allemal und damit reihte sie sich in unsere Norwegenwanderungen ein, wie wir sie mit Preikestolen, Gaustatoppen, Trolltunga und Kjeragbolten schon mehrfach erlebten. Allerdings muss man auch sagen, dass wir mit dem Wetter verdammt viel Glück hatten.
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