Für die Nachwelt: Gletscher im frühen 21. Jahrhundert

Immer wieder wird über die „Jugend von heute“ geschimpft. Aber jetzt muss ich sie mal in Schutz nehmen. Denn die Jugend von heute wird vermutlich eines Tages das nicht erleben können, was ich im letzten Sommer erlebt habe. Deswegen folgender Brief:

Liebe „Jugend von heute“, liebe nachfolgende Generation!
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ja, ich trage eine Mitschuld daran, dass es keine Gletscher mehr gibt. Ihr werdet in der Schule gelernt haben, was zum Rückgang der Gletscher geführt hat. Ihr werdet gelernt haben, wie wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts gelebt haben und dass auch viele von uns bewusst gelebt haben, um euch das hinterlassen zu können, was wir selber vorgefunden haben. Wenn ihr auf diese Zeilen gestoßen seid, dann hat das aber wohl trotzdem nicht ganz geklappt. Das tut mir leid.

Die Gründe, die hierfür in euren Schulbuch-Apps stehen, dürften vermutlich unvollständig sein. Denn es gab einen Gletscher, der in eurer Zeit nicht mehr existieren wird, weil er unter anderem auch touristisch ein wenig ausgeschlachtet wurde. Vermutlich hatte dieser Kommerz nur einen sehr geringen Anteil, aber ich bin mir sicher, ganz ohne Folgen war das sicherlich nicht. Und vor allen Dingen war es unnötig, da wir eigentlich wussten, dass Gletscher ein aussterbendes Naturphänomen sind.

Ich rede vom Rhône-Gletscher in den Alpen. Ich habe keine Ahnung, wie es dort aussieht, wenn ihr diesen Beitrag lest. Vielleicht befindet sich dann in wunderschöner Berglandschaft eine gefasste Quelle, aus der die Rhône entspringt. Im Jahr 2014 war da aber noch Eis. Und ich steckte mittendrin und darum geht’s:

Der Rhônegletscher war zu meiner Zeit ein acht Kilometer langer Gletscher in den Alpen. Klingt beachtlich, aber nur hundert Jahre zuvor war er deutlich länger und reichte sogar bis weit in das Tal hinab. Dort, wo die Gletscherzunge zur Zeit endet, befindet sich etwas unterhalb des Furkapasses ein Hotel mit Parkplatz und Souvenirladen. Dieser Andenkenladen verströmt eine Atmosphäre wie aus den 1960er-Jahren. Nein, das ist nicht romantisch, sondern wirkt total altbacken und bieder. Die dort arbeitenden Damen waren zudem total überfordert, als ich mit Karte bezahlen wollte. Aber das nur nebenbei.

Das Bezahlen hätte ich mir aber ohnehin lieber sparen sollen, denn ich erwarb ein Ticket, um den dahinter liegenden Gletscher von innen zu betreten. Jahr für Jahr wird ein kleiner Tunnel in den Gletscher getrieben. Diese Arbeit ist hart und aufwändig, das gebe ich gerne zu. Aber sie ist auch genauso überflüssig. Das wurde mir aber erst bewusst, als ich hinter dem Souvenirladen über einen schmalen Geröllpfad zum Einstieg in den Tunnel stapfte. Die untertunnelte Fläche des Gletschers wurde zum Schutz großflächig mit einer Plane ausgelegt, was dem Anblick des Gletschers nicht gerade zu Gesicht steht. Tja, und dann geht man auf Holzbohlen in den Tunnel hinein, wandert vielleicht 20 Meter durch das Eis und gelangt zu einem ausgehöhlten Raum. Hier kann man sich dann einmal umdrehen und wieder zurückgehen. Das war’s.

Mit jedem Meter, den ich in die Sackgasse hinein ging, ärgerte ich mich über mich selbst, dass ich dafür auch noch Geld ausgegeben habe. Natürlich ist es nett, das Eis mal aus dieser Perspektive zu sehen. Aber muss ich das haben? Muss dafür der Gletscher massiv beschädigt werden? Es ist ja nicht nur der Tunnel an sich. Hinzu kommt ja auch noch die Wärme, die von den Besuchern und von der Beleuchtung ausgeht. Besonders letzteres war gut daran zu erkennen, dass das Eis rund um die Leuchtstoffröhren schön gleichmäßig geschmolzen wurde.
Keine zehn Minuten dauerte der zweifelhafte Spaß und ich bereute es schon, bevor ich den Gletscher wieder verlassen hatte.
Nein, einen alternden Gletscher sollte man in Würde sterben lassen. Man muss nicht noch in der Wunde bohren, um es mal überspitzt auszudrücken. Das bringt keinem was.

Auf dem Rückweg habe ich an der Außenwand vom Souvenirladen uralte Bilder gesehen. Diese zeigten den Gletscher, wie er einst stolz und mächtig in das Tal floss und sich dabei unmittelbar neben dem Hotel erhob. Im Jahr 2014 muss man schon alleine zehn Minuten von genau diesem Haus aus zu laufen, um den deutlich kleineren Gletscher nun zu erreichen.

Liebe nachfolgende Generation. So war das damals bei uns. Einige wollten Geld verdienen und andere fielen darauf rein. Ihr habt nicht mehr die Möglichkeit, einen Gletscher von innen zu besichtigen. Es wird euch kein großer Trost sein, aber mit einigen Bildern, die ich von anderen Gletschern gemacht habe, will ich euch zeigen, dass man woanders verantwortungsvoller mit den Eismassen umgegangen ist. Und ich verspreche euch eins: Ich werde einen Gletscher nie wieder von innen betreten und meine Mitmenschen versuchen zu bewegen, es mir gleich zu tun. Denn dieser Wiki-Artikel zum Thema Gletscherschwund ist traurig genug.

1 Kommentar zu „Für die Nachwelt: Gletscher im frühen 21. Jahrhundert“

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