Flugangst

Mit 16 Jahren flog ich das erste Mal in einem Flugzeug. Der Start war in Düsseldorf, zwei Minuten und gefühlte 500 Kilometer später begrüßte uns der Pilot und gab an, dass wir uns über Nürnberg befänden. Ich saß stocksteif da und traute mich nicht, aus dem Fenster zu schauen, geschweige denn, mich zu bewegen. Das Flugzeug könnte ja kippen, wenn ich das Gewicht verlagere oder sogar aufstehen würde. Nach vier Stunden landeten wir in der Türkei. Ich beschloss, dass der Rückflug, der letzte in meinem Leben sein würde.

Dieser Vorsatz hielt ganze drei Jahre, bis ich auf einer Tombola eine einwöchige Reise nach Ibiza gewann. Damals habe ich mich noch breit reden lassen, dass ich die Reise bloß Boeing 737antreten und mir nicht auszahlen lassen solle.

An den Hinflug kann ich mich nicht mehr sonderlich erinnern, wahrscheinlich habe ich die zwei Stunden Flugzeit die gesamte Zeit nur auf meinen Vordersitz gestarrt. Auf dem Rückflug, so kann ich mich erinnern, wurde wegen schlechter Witterung auf Pilotendurchsage der Service durch die Flugbegleiter eingestellt. In diesem Moment war mir klar, dass ich nie wieder ein Flugzeug besteigen würde, wenn ich lebend aus diesem wieder heraus komme. Dass der Service eingestellt wurde, damit nicht einfach nur Kaffee verschüttet wird, darauf kam ich nicht – für mich stand fest: Nie wieder fliegen.

Flugangst, Achterbahn und Fahrstuhl fahren – alles irgendwie gleich.

Im Laufe der Jahre, noch lange vor Entstehung dieser Webseite im Jahr 2000, wuchs in mir der Wunsch, auch Reisen außerhalb Europas unternehmen zu wollen. Ich beschäftigte mich lange mit diesem Thema, besonders weil ich unter dieser Flugangst, auch Aviophobie genannt, leide.

Aber leide ich denn wirklich? Man sagt immer, man solle sich seiner Angst stellen. Ich habe es bei der Flugangst nicht getan. Ich habe viel lieber mein komplettes Leben umgestellt. D.h., ich reise ausschließlich auf dem Landweg. Doch diese Art der Reise verlangt einen erhöhten Zeitaufwand – diese Zeit nehme ich mir. Und ich habe mittlerweile gemerkt, dass es gar nicht so schlecht ist. Man reist langsamer und sieht mehr. Man steigt nicht am Flughafen A in den Flieger und am Flughafen B wieder aus und hat außer ein paar Wolken nichts gesehen. Weitere Ängste in mir betreffen Fahrstühle, U-Boote und Fahrgeschäfte in Freizeitparks. Sind wir ehrlich, warum sollte ich mich diesen Ängsten stellen?

Achterbahn zu fahren ist nun nicht wirklich lebensnotwendig, ich kann gut darauf verzichten und auf einer Kirmes wäre mir der Spaß zu dem noch zu teuer.

Ich kam noch nie in die Verlegenheit mit einem U-Boot fahren zu müssen und hege leise Zweifel, ob dies jemals passieren wird. Also lassen wir das mal außer Acht.

Und was die Fahrstühle angeht: Jeder Arzt empfiehlt, lieber mal das Treppenhaus zu benutzen anstatt einen Lift. Warum soll ich also hier gegen eine Angst ankämpfen, die eigentlich gut für meine Gesundheit ist? Im Übrigen hatte das den positiven Nebeneffekt, dass ich im Jahr 2009 das erste Mal an einem Treppenhauslauf teilnehmen konnte.

Die beste Statistik ist die, die man sich selber schön redet

Doch kommen wir zurück zur Flugangst. Sie ist geblieben und im Gegensatz zu den Anfängen, werde ich mit ihr leben. Eigentlich sollte ich ihr sogar dankbar sein, denn dadurch habe ich erst zu diesem Leben gefunden, in dem ich langsam verreisen kann. Ohne diese Flugangst hätte ich niemals eine solche tolle Schifffahrt mit einem Frachtschiff gemacht. Warum also bekämpfen?

Am Anfang habe ich mir noch Gedanken gemacht und mir Informationen geholt, was ich gegen die Angst machen kann. Ich habe mich bei der Lufthansa informiert, die Seminare gegen Flugangst durchführen. Doch ich habe nie daran teilgenommen. Einerseits aus Kostengründen und andererseits bin ich der festen Ansicht, dass man eine Angst nicht weg reden kann. Flugzeuge können abstürzen und Flugzeuge stürzen ab. Das braucht mir keiner auszureden, vergebliche Liebesmüh‘.

Interessant wurde es ab Herbst 2001. Wenn ich damals irgendwo beiläufig erwähnte, dass ich grundsätzlich nicht fliege, musste ich noch den Halbsatz hinzufügen, dass es nichts mit dem 11. September zu tun hat. Meine GesprächspartneKleinflugzeugr gingen immer davon aus, dass daher meine Angst komme. Irgendwann beruhigte sich das wieder und die Fragen zu diesem Thema gehen wieder in die Richtung, ob ich denn mal ein schlimmes Erlebnis gehabt hätte. Kein Mensch kann scheinbar verstehen, dass ich einfach nur Angst habe, dass ich einfach dem menschlichen Instinkt nachgebe, dass Fliegen unnatürlich ist.

Interessant wird es beim Argument, dass das Fahren mit dem Pkw zum Flughafen das gefährlichste am Fliegen sei. Da fange ich dann immer gerne an zu diskutieren, obwohl ich gar nicht weiß, ob ich Recht habe.

Gehen wir mal folgendes durch:

In Deutschland gibt es laut Kraftfahrtbundesamt 49 Mio Pkw., im Schnitt fährt ein Pkw 13.500 Kilometer im Jahr (2003, Deutsches Institut für Wirtschaftsförderung). Das bedeutet, dass ein Fahrzeug am Tag 37 Kilometer zurück legt und insgesamt 1,8 Milliarden Kilometer täglich in Deutschland gefahren werden.

Laut Statistischen Bundesamt starben im Jahr 2007 exakt 2.625 Pkw-Insassen bei Verkehrsunfällen, das sind sieben Tote täglich. Somit kommt ein Toter auf 257 Mio. Kilometer Fahrleistung.

Gemäß der deutschen Flugsicherheit gibt es 3 Mio. Flüge über Deutschland, also 8.219 Flüge täglich. Gehen wir davon aus, dass jeder Flug im Schnitt 4.000 Kilometer lang ist (50 % aller Flüge bleiben in der EU, ein Drittel bleibt innerhalb Deutschlands, so sind es wahrscheinlich noch weniger als die vorgeschlagenen 4.000 km), so kommen wir auf 32 Mio. Kilometer Flugleistung täglich. Zur Erinnerung: Diese Flüge Russische Bahngehen auch ins Ausland, während wir bei den Kilometerangaben der Pkw sogar nur den innerdeutschen Verkehr berücksichtigt haben. Um also auf die Kilometerleistung des Pkw zu kommen, müsste der Flugverkehr um das achtfache zunehmen. Ob dann aber immer noch die Flugsicherheit, gerade im dichtbesiedelten Deutschland/Europa so sichergestellt ist, dass es kaum zu Flugverkehrstoten kommt?

Wie gesagt, ob ich mit dieser Statistik richtig liege, weiß ich nicht. Die beste Statistik ist ja immer die, die man selber erstellt. Tatsache ist aber, dass ich mit der Aviophobie sehr gut leben kann und sie mir keine Behinderung ist.

Mit Flugangst auf andere Kontinente reisen

Für Fernreisen gibt es immer noch Züge und Schiffe. Von Dortmund fährt ein Zug nach Moskau und von dort wiederum ein Zug nach Wladiwostok oder Peking. In Wladiwostok gibt es eine Fähre nach Japan und in Peking gibt es Züge nach Hanoi in Vietnam und nach Lhasa in Tibet. Mit einem Frachtschiff kommt man auf die anderen Kontinente, so wie ich es 2007 getan habe, als ich Südamerika bereiste und ganz nebenbei noch einen Zwischenstopp in Senegal machen konnte. Dabei ist die Fahrt mit der Bahn oder dem Schiff schon Erlebnis genug, denn wie heißt es so schön? Der Weg ist das Ziel.

Wer also Fragen zur Nichtbekämpfung von Flugangst hat oder zum Umgang mit Aviophobie und der Angst vor Fahrstühlen, der kann mir gerne schreiben. Und wer wissen will, wie man die Weltmeere überquert, ohne ein Flugzeug zu benutzen, der sollte bei Frachtschiffreisen weiter lesen.

6 Kommentare zu „Flugangst“

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  5. Das Phänomen kommt mir sehr bekannt vor. Bis zum 40.sten Lebensjahr hatte ich nach ähnlichen Flugerfahrungen (als Jugendlicher und sehr junger Mann) die Welt per Schiff, Bahn oder Auto erkundet. Diese Langsamkeit hat absolut ihre Vorteile. – Durch eine Fernbeziehung musste ich, um diese nicht zu gefährden, fliegen. Nach Hypnosesitzungen folgte noch ein Flugangsttraining bei einer Airline. Seither bin ich recht häufig geflogen, wenn auch immer mit einem etwas mulmigen Gefühl. Die Beziehung hat die Jahre nicht überdauert, und Riesenräder wie auch Achterbahnen meide ich weiterhin. Trotzdem, es hat meinen Radius enorm erweitert, und auch in der Ferne habe ich mich weiter mit Schiff, Bahn und per Auto weiterbewegt.

    1. Das tut mir leid, dass die Beziehung gescheitert ist, obwohl man so viel investiert hat und über den eigenen Schatten gesprungen ist. Ein Flugangsttraining habe ich allerdings weiterhin für mich ausgeschlossen.

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