Wanderung mit militärischer Begleitung durchs Bärengebiet

Ich weiß, die Überschrift klingt reißerisch. Aber inhaltlich ist sie nicht verkehrt. Wir befinden uns heute im Nordosten von Norwegen. Genauer gesagt, südlich von Kirkenes, denn die Wanderung soll uns zum Dreiländereck von Norwegen, Finnland und Russland bringen. Das dürfte wohl eines der außergewöhnlichsten Dreiländerecke der Welt zu sein.

Einsamer Waldweg
Einsamer Waldweg

Doch um dorthin zu kommen, müssen wir erst einmal rund 100 Kilometer Autofahrt von Kirkenes aus auf uns nehmen – und zwar in eine Sackgasse hinein. Das Dreiländereck ist nämlich nur von der norwegischen Seite aus erreichbar und befindet sich am Ende eines verhältnismäßig schmalen Korridors zwischen Finnland und Russland. Schon sehr früh wird man mehrsprachig darauf hingewiesen, dass man sich im Grenzgebiet aufhalte und so seien Teleobjektive mit einer Brennweite von mehr als 200 mm nicht erlaubt. Das wird aber schwierig mit unserem 300er. Aber warten wir erstmal ab.

Grenzgebiet zu Russland
Grenzgebiet zu Russland

Die Straße führt südwärts bis zum Øvre Pasvik Nationalpark und definitiv nicht weiter. Das heißt, man muss die 100 Kilometer nach Kirkenes später auch wieder zurück. Und wer jetzt denkt, das wäre mal eben eine gute Autostunde, der irrt gewaltig, denn trotz Asphalt ist die Strecke in einem schlechten Zustand. Zahlreiche Bodenwellen und Schlaglöcher senken das Tempo an den guten Stellen auf maximal 60 km/h. Und gerade, wenn man glaubt, dass man es bald geschafft hat, mündet die Straße auf den letzten 17 Kilometern in eine ziemlich üble Schotterpiste.

Wanderung-Baerengebiet

Diese Rüttelpiste zwang mich schließlich dazu, mit dem Wohnmobil bloß etwas schneller als Schrittgeschwindgkeit zu fahren. Gelegentlich waren sogar 20 km/h möglich und dann kam das nächste Schlagloch, das einen mit einem gewaltigen Rumsen wieder daran erinnert, Gas weg zu nehmen.

Nachdem nun auch 16 Kilometer dieser Piste vollbracht waren, erschien zum krönenden Abschluss noch ein breites und tiefes Schlammloch. Hier konnte nur ein beherzter Tritt auf das Gaspedal helfen, durchzukommen. Mit einem lauten Knirschen bedankte sich die Anhängerkupplung für den Bodenkontakt – aber besser die gusseiserne Kupplung als der Aufbau des Wohnmobils.

Wanderparkplatz am Dreiländereck
Wanderparkplatz am Dreiländereck

Nun ging es nur noch kurz durch einen Wald, in dem uns der Fahrer eines Quad netterweise vorbei ließ. Der Anblick des Fahrers und seines Beifahrers war im ersten Augenblick etwas erschreckend. Beide waren dick vermummt, uniformiert und trugen jeweils ein Sturmgewehr über der Schulter. So macht Urlaub Spaß: Man ist mutterseelenalleine in einem Wald, rund 100 Kilometer von einer Stadt entfernt, die am Rande Europas liegt und steht zwei schwer bewaffneten Menschen gegenüber.

Dreiländereck zu Russland
Dreiländereck zu Russland

Trotzdem bedankte ich mich nett für das Vorbeilassen und bekam als Antwort das nette Handzeichen, dass wir auf dem richtigen Weg zum Dreiländereck sind. Die beiden rasten auf ihrem Quad davon, während wir nur 300 Meter weiter auf einem leeren Parkplatz den Motor ausmachten.

Ich stieg aus, begab mich zu einer Infomationstafel des Nationalparks und genoss die Stille des Waldes. Die Stille des Waldes, die von einem lauten, missmutigen Brummen unterbrochen wurde. Ungläubig schaute ich in die Richtung, aus der ich das Brummen vernahm, sah aber nur Bäume, Unterholz und Gestrüpp. Gute Güte, hatte ich da gerade wirklich einen Bären gehört? Habe ich ihn vielleicht sogar gestört, als ich mit dem Auto ankam? Alle möglichen Bärengeschichten gingen mir durch den Kopf, aber ich konnte es nicht verhindern, einfach nur da zu stehen und in den Wald hinein zu glotzen. Gerne hätte ich den Bären gesehen – aber irgendwie auch wieder nicht.

Wanderweg auf Holzstegen
Wanderweg auf Holzstegen

Ich stieg wieder ins Auto ein, zog meine Wanderstiefel an und nahm mein Zeug. War das alles aufregend. Erst die Soldaten mit den Sturmgewehren und keine fünf Minuten später grunzte mich ein Bär an. Ist ja spannender als jeder Freizeitpark. Gut verpackt verließen wir nun endgültig das Auto. Gut verpackt deshalb, weil uns eine Tierart hier besonders gern hatte. Und auf die konnte ich erst recht verzichten – Mücken.

Der Weg zum Dreiländereck ist nicht besonders schwer. Er ist flach, führt überwiegend auf Holzbohlen durch das Moor und ist bloß 5 Kilometer lang. Also eher ein Spaziergang. Als Ausschilderung gibt es nur ein einziges Schild direkt am Einstieg. Es zeigt nach Finnland, Norwegen und in die Sowjetunion. Na gut, scheint schon etwas älter zu sein.

Grenze zwischen Norwegen und Russland
Grenze zwischen Norwegen und Russland

Schon nach wenigen Metern sahen wir plötzlich zwei Bebachtungstürme zwischen den Baumwipfeln aufragen, der nächste Hinweis auf die Grenze zwischen Norwegen und Russland. Störte uns nicht, wir kümmerten uns vielmehr um das, was auf dem Boden wuchs: Nämlich die leckeren Moltebeeren, die südlich von Skandinavien nicht wachsen und selbst hier oben im Norden selten anzutreffen sind.

Nur kurze Zeit darauf tauchte plötzlich auf dem Weg vor uns ein Mann auf. Deutlich zu erkennen war der Lauf einer Waffe, die lässig über seiner Schulter hing, vermutlich einer HK416, die in der norwegischen Armee benutzt wird. Na, das wird ja immer besser. Dieser Mann kam uns entgegen, grüßte freundlich und stellte sich auf Englisch vor. Er sei von der Grenzpatrouille und würde uns gerne über den Nationalpark und den Wanderweg zum Dreiländereck aufklären, während er uns ein Stück begleiten würde. Äh, ja? Wie? Okay, gerne.

Dreiländereck Russland, Norwegen und Finnland
Dreiländereck Russland, Norwegen und Finnland

Ich hatte nichts gegen bewaffnete Begleitung, wo wir uns doch mitten im Grenzgebiet aufhielten. Natürlich sprach ich den Grenzsoldaten darauf an, doch er beruhigte, dass die Bären viel zu scheu seien, um sich zu zeigen. Wenn die einen Menschen hören, dann seien die weg. Ich habe es mir verkniffen zu fragen, ob sie sich mit einem Brummen entfernen, denn für mich stand sowieso fest, dass ich kurz zuvor einem Bären begegnet bin. Und jetzt wollte ich auch nicht mehr desillusioniert werden.

Über die Braunbären kamen wir zum Thema Moltebeeren, ließen uns einige zeigen und schon verschwand der Soldat auch wieder. Auf einem schmalen Pfad würde er jetzt wieder zu seinem Grenzturm gehen. Er gab uns noch einmal mit auf den Weg, dass wir auf keinen Fall die Grenze überqueren und den Stein am Dreiländereck auch nicht umrunden dürften. Aber da wären ohnehin ein paar Kollegen, die gerade ein Picknick machen.

Na, was für ein Job. Mitten in der Wildnis mit einem Quad herumdüsen, Touristen den Weg erklären und ein wenig nach Russland rüberschielen. Und wenn wenig zu tun ist, wird gepicknickt.

Dreiländereck Russland, Norwegen und Finnland
Dreiländereck Russland, Norwegen und Finnland

Wir folgten also dem gut erkennbaren Weg und von links kam der Grenzzaun zu Russland immer näher, so dass wir ihn beim Wandern berühren konnten. Ist aber nicht schlimm, denn die eigentliche Grenze beginnt erst 10 Meter hinter dem Zaun. Immer wieder wiesen Schilder darauf hin, man konnte also nichts falsch machen.

Am Ende der 5 Kilometer mussten wir durch den Schutzzaun hindurch und standen unvermittelt vor einer kleinen Steinpyramide. Erst hier erkannten wir, dass die Grenze zwischen Russland und Norwegen eine scheinbar unendlich lange Schneise im Wald ist. Es erinnert an alte Bilder der ehemaligen innerdeutschen Grenze, nur mit dem Unterschied, dass man hier einfach über den Grenzstreifen gehen könnte.

Gästebuch am Dreiländereck
Gästebuch am Dreiländereck

Doch davon war tunlichst abzuraten, da nicht nur alles videoüberwacht ist, sondern tatsächlich ein Picknick stattfand. Wir grüßten die Grenzsoldaten freundlich, und fragten sicherheitshalber, ob wir fotografieren dürften. Immerhin habe ich ja Pingu hierhin getragen, wofür ich gewohntermaßen ungläubige Blicke ernte. Grundsätzlich sei das kein Problem, doch bitte bloß nicht um die Pyramide herum gehen und auch ja nicht den obersten Stein berühren.

Gesagt, getan und schon waren die Aufnahmen gemacht und unsere Namen im Gästebuch hinterlassen. Aber wenigstens auf die finnische Seite hüpften wir herüber und machten uns so unsere Gedanken, welche Bedeutung dieser Grenzstein eigentlich hat. Denn Finnland gehört zur EU, Norwegen zwar nicht, hat aber immerhin das Schengen-Abkommen unterzeichnet und für Russland braucht man immer noch ein Visum. Und außerdem treffen hier drei Zeitzonen aufeinander. Die Mitteleuropäische Zeit von Norwegen plus eine Stunde in Finnland und zwei Stunden in Russland.

Moltebeeren
Moltebeeren

Es ist also schon verrückt, dass es links der Schneise 15 Uhr ist, während rechts im Wald die Uhr schon 17 Uhr anzeigen müsste. Und man selbst steht auf finnischem Boden und hat erst 16 Uhr. Dieses Zeitparadoxon kommt nicht allzuoft auf diesem Planeten vor. Na ja, wir packen unseren Fluxkompensator flugs wieder ein und machen uns auf den Rückweg, denn im Bärengebiet wollen nicht zwingend übernachten.

Wachturm an der russischen Grenze
Wachturm an der russischen Grenze

Dass wir das allerdings doch noch machen werden, wussten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Dazu aber später mehr in Teil 2 (Autopanne im Bärengebiet). Nur schon vorab: Da war doch noch etwas mit einem bereits bekannten Schlammloch… 😉

Hier geht es zum gesamten Bericht der Reise mit dem Wohnmobil zum Nordkap.

10 Kommentare zu „Wanderung mit militärischer Begleitung durchs Bärengebiet“

  1. Pingback: Wanderung zum Dreiländereck Norwegen, Finnland und Schweden | molls-reiseblog.de

  2. Danke für deinen Kommentar in unserem Blog. Ich weiss nicht, ob ihr am gleichen Tag dort ward. Meine Blogeinträge sind oft auch erst Tage danach entstanden (Datum des jeweiligen Posts). Wenn ihr es ward, seid ihr uns ziemlich zu Anfang der Wanderung begegnet.

    Ein toller Bericht soweit. Bin auf de weiteren Teil gespannt. 🙂

    1. Hallo Matze,

      danke für deinen Gegenbesuch. Nein, dann sind wir uns vermutlich nicht begegnet. Die Deutschen, die uns entgegenkamen habe ich an ihrem Autokennzeichen erkannt, denn sie kamen uns auf der Schotterpiste mit dem Wagen entgegen. Während der Wanderung waren wir komplett alleine. Es war schon verhältnismäßig spät und nur der Grenzsoldat war vor Ort. Ich hatte angenommen, dass wir uns begegneten, weil der Tag gepasst hatte und weil es auch bei euch ein Picknick am Dreiländerstein gab.
      Der nächste Teil folgt vielleicht noch heute, spätestens aber morgen 😉

  3. Pingback: Autopanne im Bärengebiet | molls-reiseblog.de

  4. Hallöle ihr Weltenbummler,

    wir sind eben gerade in dieser Ecke unterwegs und unternahmen vorgestern im Pasvik-Nationalpark eine endlose Wanderung in Richtung dieses Dreiländerecks, leider aber von der „falschen“ Seite, sodass wir nach zig Kilometern, nassen Schuhen und immerwiederkehrenden Sumpflandschaften ohne erkennbaren Wegen aufgaben. Nun sind wir beim nachträglichen Kartenstudieren auf euren Bericht gestoßen und haben ihn förmlich verschlungen. Am liebsten würde ich gleich nochmals die 100+x Kilometer zurückfahren, denn nun kennen wir die bessere Zufahrt und 5km auf befestigten Holzbohlen sind schnell zurückgelegt.

    Vielen Dank für den tollen Bericht.

    LG Dana und Markus

    1. Hallo ihr zwei,
      das ist natürlich schade. Habe gerade euren Bericht gelesen. Dann habt ihr das Ziel also tatsächlich nur knapp verpasst, tut mir echt leid. Aber dafür einen Bären gesehen zu haben, ist doch auch etwas wert 😉
      Viele Grüße

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  7. Hallo,

    der Bericht ist wirklich klasse geschrieben!
    Im Juni werde ich mich ebenfalls auf die Reise dorthin machen.
    Ist das auf Bild 3 ein Stück auf dem Weg zum Wanderparkplatz, welches mit dem Auto befahren werden muss oder ist das bereits Teil des Wanderweges?
    Die Holzpfeiler schüren schon etwas Respekt bei mir vor dem Weg..

    Liebe Grüße
    Daniel

    1. Hallo Daniel,

      danke für das Kompliment. Aber keine Sorge, die Holzbohlen sind der Wanderweg. So sieht er natürlich nicht die ganze Zeit aus, aber stellenweise schon – besonders am Anfang. Wobei sich da natürlich auch schon einiges geändert haben kann. Unsere Tour dorthin ist schon einige Jahre her.
      Viel Spaß auf jeden Fall. Würde mich interessieren, wie die Grenze mittlerweile dort aktuell gesichert ist.
      Michael

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