Wanderunfall in Irland
Erfahrungen mit dem irischen Gesundheitssystem
Moin tosamen —
da es nicht schadet zu wissen, wie ‘die Sache’ bei einem Unfall mit Krankenhausaufenthalt im Ausland abläuft und woran in einem solchen Fall zu denken ist, berichte ich hier von unserem wenig schönen Erlebnis im vergangenen Juni.
Der Unfall und die Ambulanz
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert sind wir in jedem Juni in Irland unterwegs und schon oft einen bekannten Weg zu einer Pilgerstätte auf dem Scheitel des Mamean-Passes in Connemara gegangen, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf das Inagh Valley mit dem Lough Inagh im Westen und das Joyce’s Country auf der anderen Seite der Bergkette hat. Kein gefährlicher Weg, allerdings an einigen Stellen etwas geröllig. Und kurz vor dem Erreichen des Scheitels rutschte ‘mien Deern’ an einer solchen Geröllstelle weg, verdrehte sich den linken Fuß, und konnte keinen Schritt mehr gehen.
Zum Glück gab es Handyempfang, und wir kontaktierten die Nummer der Feuerwehr in einer etwa zehn Kilometer entfernten Kleinstadt. Dort sprach man sehr beruhigend auf uns ein, fragte (für uns als Ausländer langsam sprechend), was passiert war. Da es sich um einen in der gesamten Region bekannten Weg handelte, war es leicht, den Unfallort zu beschreiben. Wir hatten eine gute Sicht ins Tal, und sahen nach nicht einmal einer Stunde einen Trupp Männer, dreizehn an der Zahl, den Berg hochkommen. Ein Sanitäter fixierte vorsichtig den Fuß, dann wurde meine Frau auf eine Trage gelegt und es ging bergab, jeweils drei Träger rechts, drei links und voran der ‘Chef’, der das Gelände sondierte und Anweisungen gab, wohin zu treten war. Nach jeweils hundert Meter wechselten sich die Träger mit den sechs anderen bislang müßigen ab. Auf halbem Weg ins Tal kam uns der Arzt der Ambulanz, die mittlerweile im Tal eingetroffen war, entgegen, sah sich den Fuß noch einmal an, bandagierte ihn, und es ging weiter. Unten im Tal wartete der Wagen der Ambulanz, und mit ihr ging es ins 60 Kilometer entfernte Galway University Hospital, ich in unserem Leihwagen hinterher.
In der Universitätsklinik von Galway
Bezüglich der Notaufnahmestationen der irischen Krankenhäuser liest man täglich in den Nachrichten von katastrophalen Zuständen, von (sollte nicht ein eindeutig lebensgefährlicher Zustand vorliegen) Wartezeiten von bis zu 20 Stunden und mehr. Und in der Tat war die Notaufnahme der Universitätsklinik völlig überfüllt: mehr als 50 Personen in einer Art Wartesaal und auf beiden Seiten des Ganges, durch den meine Frau geschoben wurde, Krankentransportwagen mit darauf liegenden Menschen.
Während meine Frau an dem ‘Wartesaal’ vorbeigeschoben wurde, ging unverkennbar ein Aufseufzen durch die Menge. Denn Einlieferungen per Ambulanz werden grundsätzlich bevorzugt behandelt, auch wenn es nicht um Leben und Tod geht. Der Grund liegt darin, dass der Arzt der Ambulanz den Fall seinem Kollegen der Notaufnahme persönlich mit seiner Diagnose übergeben muss, und die Ambulanz somit nicht für andere Fälle einsatzfähig ist, solange das nicht geschehen ist. Formal verlief die Aufnahme ins Krankenhaus völlig unkompliziert; die deutsche Krankenversicherungskarte reichte, und wir mussten weder etwas zahlen noch die Kreditkarte vorweisen. Es kamen in der Folge auch nie irgendwelche Rechnungen.
Ich kürze nun etwas ab. Es wurde ein dreifacher Bruch im linken Fußgelenk festgestellt, der, da die Knochen verrutscht waren, zunächst einmal gerichtet werden musste. Dies gelang im dritten Versuch kurz nach Mitternacht. Am folgenden Vormittag wurde der Fuß dann vom Chefarzt der orthopädischen Abteilung operiert und dabei drei Metallplatten und 12 Schrauben ‘eingebaut’. Bis zur Operation lag meine Frau auf dem Gang oder in einem der Nebenräume der Notaufnahme, wobei sie immer wieder hin und her geschoben wurde, wenn ein andere Fall behandelt oder vorbeigeschoben wurde.
Nach der Operation kam sie in ein Fünfbettzimmer. Das klingt vielleicht schrecklich, war es aber nicht, denn es war hell und freundlich mit mehr Platz pro Patient als in einem deutschen Zweibettzimmer, und um den Bereich für jeden einzelnen Patienten ließ sich zur Wahrung der Intimsphäre ein Vorhang ziehen. Schon einen Tag später wurde sie mit einer CD mit den Röntgenbildern und einem Bericht für die Weiterbehandlung in Deutschland entlassen, wobei der Fuß sechs Wochen lang in keiner Weise belastet werden durfte. Dazu gab es zwei Krücken und eine Art Gehgestell; beides musste nicht zurückgegeben werden.
Zurück in Deutschland
Am Donnerstag war die Entlassung aus dem Krankenhaus, am Sonnabend ging der reguläre Flug zurück, so dass wir noch zwei Tage in unserem gemieteten Ferienhaus blieben, derweil wir telefonisch noch einiges mit der Leihwagenfirma und der Fluggesellschaft arrangieren mussten. Falls gewünscht, kann ich auch dazu noch etwas schreiben. Zurück in Deutschland stellten wir fest, dass wir bei der Entlassung aus dem Krankenhaus noch zwei weitere Sachen hätten einfordern sollen:
Das eine betrifft die deutsche Krankenkasse, hier war es die Techniker. Diese wollte die Zeit vom Unfall bis zum ersten Erscheinen beim deutschen Arzt nicht als Krankheit anerkennen, was bedeutet hätte, dass es nach der Beendigung der Lohnfortzahlung eine Woche lang kein Krankengeld gegeben hätte. Der Bericht des Krankenhauses über die Operation, die Schwere der Verletzung und der Nachweis des Krankenhausaufenthalts sei keine gültige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, hieß es, womit die Arbeitsunfähigkeit erst vom Zeitpunkt des Erscheinen beim deutschen Arzt an gelte, also eine Woche nach dem Umfall beginne. Wenn man in Irland solche Bescheinigungen nicht kenne, sei das nicht das Problem der Techniker Krankenkasse. Als verfassten wir selbst in englischer Sprache einen Text, “that … was not able to work from Monday … to Monday …”, und schickten ihn nach Irland an die Ärztin, die das Entlassschreiben unterzeichnet hatte. Nach zwei Wochen bekamen wir ein entsprechendes Schreiben zurück, und die Krankenkasse gab sich geschlagen und erkannte es an.
Das zweite betraf das in den Fuß eingebaute ‘heavy metal’, das nach 15 bis 18 Monaten wieder heraus soll. Solche Platten und Schrauben gibt es, sagte der Unfallchirurg in Deutschland, von verschiedenen Herstellern. Nicht jedes Krankenhaus habe die ‘Werkzeuge’ zur Entfernung der Produkte aller Hersteller, und es sei natürlich dumm, wenn man erst bei der Operation sehe, dass man das entsprechende noch besorgen muss. Also schrieben wir noch einmal an die Uniklinik Galway und bekamen nach einmaligem Anmahnen die Spezifikationen der Platten und Schrauben, wobei sich herausstellte, dass Hersteller auch in Deutschland zwei Niederlassungen hat. Womit dann wohl keine Probleme zu erwarten sind, wenn das Metall im kommenden Herbst rauskommt.
So long, ich hoffe, ich habe mit diesem langen Sermon nun keinen genervt. In der Hoffnung, dass niemand hier von diesen Erfahrungen profitieren muss, wünsche ich allen noch einen schönen Nachmittag.
Jürgen