Wandern zu Trolltunga

Eine Felsnase, die hoch über einem Tal mit einem kristallblauen See zu hängen scheint? Und dann ist sie auch noch begehbar und lässt ein spektakuläres Foto zu? Das konnte ich mir doch nicht entgehen lassen. Die Rede ist von Trolltunga in Norwegen. Trolltunga ist Norwegisch und bedeutet so viel wie Trollzunge. Und wie eine Zunge sieht diese Felsformation in der Tat aus. Gelegen ist Trolltunga in der Nähe der südnorwegischen Stadt Odda, die südöstlich von Bergen liegt.

Odda erstreckt sich am Ende eines Fjords und liegt damit auf Meereshöhe. Trolltunga jedoch befindet sich auf einer Höhe von 1.200 Metern über dem Meer. Eine schnelle Nachfrage in der Touristeninformation ergab, dass der Weg dorthin am Anfang sehr steil ist, danach aber verhältnismäßig flach sein soll. Die Angaben über die Länge schwanken je nach Auskunft und Hinweisschild zwischen 11 und 12 Kilometer – je Strecke natürlich. Na gut, dann mal los.

Frühmorgens stehen wir auf, frühstücken auf dem Wohnmobilstellplatz in Odda und fahren in das benachbarte Tyssedal, wo die ersten 423 Höhenmeter mit dem Auto auf einer schmalen Bergstraße zu bewältigen sind. Wenig später parken wir den Wagen und sind erstaunt, wie viele Menschen sich anscheinend auf den Weg zur Felsnadel machen wollen. Dass wir hier noch nicht mitten in der Wildnis sind, wussten wir eh schon länger und auf Grund anderer Parkplätze wundert es uns nicht, dass wir einen Parkschein ziehen müssen. Wir sind nun schon einige Tage in Norwegen und haben immer noch keine einzige Norwegische Krone in der Hand gehabt. Schon praktisch, wenn man überall mit Karte zahlen kann. Auch hier am Ticketautomaten ziehen wir schnell die Kreditkarte durch und erhalten für 100 NOK einen Parkschein. Das sind rund 13,50 €. Ganz schön happig aber der Standardpreis für Parkplätze dieser Art. Dafür dürfen wir 12 Stunden parken. Es ist kurz nach 10 Uhr morgens und das sollte doch wohl ausreichen, oder?

Wir packen unsere Wertsachen in den Trekkingrucksack und schleppen auch das Netbook mit, denn um Wertsachen im Auto zu lassen, ist der Parkplatz vielleicht doch nicht so geeignet. Obendrauf kommen dann noch ein paar Schokoriegel, etwas zu trinken und natürlich Pingu – schwupps, schon ist der Rucksack voll. Es nieselt ein wenig, also klemme ich mich auch noch in meine ungeliebte Regenjacke, bei der ich weiß, dass ich nach wenigen Metern ins Schwitzen kommen werde, hänge mir die Kamera um den Hals und dann geht es los.

Der Parkplatz befindet sich unterhalb der ehemaligen Talstation der Mågeliban, einer alten Standseilbahn, die schon seit Jahren nicht mehr in Betrieb ist.. Doch das Holzgerüst führt noch steil bergauf und auf diesem Holzgerüst befindet sich eine Art Nottreppe. Schon von unten sehen wir, wie sich die meisten Wanderer für diese Nottreppe entscheiden, allerdings erst, nachdem sie die ersten Höhenmeter auf dem Wanderweg unterwegs waren. Denn das Besteigen des Holzgerüstes ist verboten und an der Talstation wacht sogar eine junge Dame darüber. Aber irgendwie ist es lächerlich, denn sie weiß ganz genau und sieht es ja auch, dass die Leute schon nach kurzer Zeit den scheinbar einfacheren aber gefährlicheren Weg wählen.

Auch ich versuche mein Glück auf dem verbotenen Weg. Am Einstieg hieve ich mich mit dem schweren Rucksack hinauf, versuche die Balance zu finden und setze vorsichtig einen Fuß vor den nächsten, die Holzbohlen dabei immer fest im Blick. Schon nach wenigen Metern ist mir klar, dass ich das keine 2.500 Mal machen werden. So viele Stufen sind es nämlich bis zur Bergstation. Das Besteigen dieser Holztreppe setzt nämlich voraus, dass man immer exakt den selben Schritt macht. Man darf keinen Zentimeter falsch setzen, sonst hängt man zwischen den Stufen oder fällt eben zur Seite. Ganz davon abgesehen, sehe ich durch die Stufen hindurch, dass das Holz des Gerüstes teilweise morsch ist und sich alles nicht mehr im Originalzustand befindet. Kein Wunder, dass der norwegische TÜV diese Bahn stillgelegt hat. Ich beschließe, an der nächsten Möglichkeit, auf dem normalen Wanderweg weiter zu gehen.

Gesagt, getan. Doch auch diese blöde Regenjacke hat wieder genau das gemacht, was sie immer macht: Sie brachte mich zum Schwitzen. Also, trotz Nieselwetter ziehe ich mir die Jacke aus, klemme sie mir an den Rucksack und wandere nur im T-Shirt, das bereits nass ist. Na toll, und dabei haben wir vielleicht gerade mal 100 Höhenmeter gemacht. 300 weitere Höhenmeter stehen noch bevor – und dann sind wir erst mal nur an der Bergstation. Aber laut Auskunft soll es ja ab dort relativ flach weiter gehen. Also kämpfen wir uns den steilen Waldweg hinauf, werden von Leuten mit weitaus weniger Gepäck überholt und wundern uns, dass wir auch irgendwann jemanden überholen. Die letzten 50 Höhenmeter stapfen wir durch tiefen Matsch, freuen uns über die Wasserdichtigkeit der Schuhe und erreichen endlich die Bergstation. Und tatsächlich, von nun an geht es flach weiter – für rund einen Kilometer. Über ein Hochplateau gehen wir schnurstracks auf einen Höhenzug zu und unser GPS verrät, dass sich Trolltunga dahinter befindet.

Den Wald haben wir mittlerweile hinter uns, der Aufstieg geht nun über Stock und Stein, ist allerdings bei Weitem nicht mit dem ersten zu vergleichen. Allerdings steckt der erste Aufstieg noch in den Knochen und mein T-Shirt müsste mal gewechselt werden. In rund 1.000 Metern Höhe krame ich bei eisigem Wind also ein Hemd hervor, wechsle die Kleidung und wir wandern weiter. So früh war das Oberteil-Wechseln eigentlich noch nicht geplant.

Dieser zweite Höhenzug, man könnte auch schon fast Pass dazu sagen, ist schnell erklommen und laut GPS befinden wir uns bereits in 1.100 Metern Höhe. Es kann also gar nicht mehr so schlimm sein. Und das ist es auch nicht, aber eben noch sehr weit. Es folgt eine grandiose Fjelllandschaft, ein paar Eisfelder, die durchquert werden wollen und sogar die Wolken machen gelegentlich der Sonne Platz.

Irgendwann taucht auf der rechten Seite der See Ringedalsvatnet auf, der sich in verschiedenen Farben, je nach Lichteinfall präsentiert und von hohen, steilen Wänden umgeben ist. Der Gedanke, dass wir uns auf einem dieser steilen Wände befinden und Teil dieser grandiosen Landschaft sind, lässt die Anstrengungen am Anfang schnell vergessen. Weiter geht es immer im leichten Auf und Ab. Nach einer Kurve folgt ein kurzer Aufstieg, nach diesem Aufstieg folgt eine Kurve und dann wieder ein kurzer Abstieg. Es sind einige Höhenmeter, die wir immer wieder bewältigen. Aber es stimmt: Global betrachtet ist die Wanderung nun verhältnismäßig eben. 😉

Wir gehen zügigen Schrittes und gönnen uns keine einzige Pause, die diesen Namen verdient hätte. Und dennoch ist es irgendwann nach 16 Uhr, als wir immer noch nicht am Ziel angekommen sind. Rein rechnerisch bekommen wir also tatsächlich Schwierigkeiten, das Parkticket einzuhalten. Die Hälfte der Zeit ist um und wir sind immer noch auf dem Hinweg. Meine Güte, mitten in Norwegen, auf einem Wanderweg in der (gefühlten) Einsamkeit muss man sich Gedanken machen, ob das Parkticket nicht abläuft. Und das Schlimme ist: Wir haben Fahrzeuge auf dem Parkplatz stehen gesehen, die tatsächlich ein Knöllchen hatten.

Aber ich kehre doch jetzt nicht um, so kurz vor dem Ziel. Gegen halb 5 am Nachmittag erreichen wir es schließlich auch. Rund 20 Wanderer sind dort und genießen die Aussicht, die wirklich fantastisch ist. Einige von ihnen stehen Schlange, um sich alleine auf dieser Felszunge ablichten zu lassen. Und das Schöne ist: Jeder wartet geduldig, denn immerhin möchte ja jeder so ein Foto von sich haben. Ich stelle den Trekkingrucksack hin, hole Pingu hervor und stehe, wie immer in solchen Situationen, plötzlich im Mittelpunkt. Die Landschaft, der See, die Trollzunge – alles scheint den umstehenden Wanderern nun egal zu sein. Denn da ist so ein Irrer, der mitten in der Landschaft plötzlich einen 60 cm großen Stoffpinguin in der Hand hat. Und was macht dieser Irre? Er geht auf die Felsnase, stellt den Pinguin hin, geht zurück und schon ist das Foto im Kasten. Nachdem nun feststeht, dass der Irre bloß ein Bild machen wollte und anscheinend völlig harmlos ist, wird Pingu nun von fremden Leuten (überwiegend weiblich übrigens) gestreichelt. Könnte er doch nur Autogramme geben… 😉

Wir verschnabulieren schnell die Schokoriegel, nehmen einen kräftigen Schluck aus der Flasche und machen uns auf den Rückweg. Wieder rauf, runter, rechts um die Kurve, links um die Kurve und schneller als auf dem Hinweg haben wir die Schneefelder, den Pass und das Fjell hinter uns gelassen, bis nur noch der steile Abstieg ansteht. Auch dieser gelingt uns in vorsichtigen Schritten durch den Wald und nach 11 Stunden und 30 Minuten sind wir wieder am Auto. Pünktlich haben wir diese wirklich tolle Wanderung beendet, fahren wieder hinab nach Odda und legen unsere müden Beine auf dem Wohnmobilstellplatz hoch, um am nächsten Tag auszuschlafen. Insgesamt legten wir 23,8 Kilometer zurück und überwanden eine Gesamtsteigung von 3836 Metern – schön war’s…

Und den Trolltunga-Track gibt es zum Download in molls-reiseforum.de, wo ich mich auch über Infos, Hinweise und Fragen freue.

13 Kommentare zu „Wandern zu Trolltunga“

  1. Keine Korrektur, die Mågliban wurde nicht vom norwegischen TÜV stillgelegt, sondern den Tyssefaldene (Stromerzeuger) hat dies getan sehr zum Verdruss vieler. Dann noch ein Tip die Tour zur Trolltunga ist eine schwere Tour (5. Stiefel) man sollte sie auf keinen Fall spät angehen, ich empfehle um 6 / 7 Uhr spätestens in Skjeggedal zu starten. Wer alles in Ruhe geniessen will, sollte eine Übernachtung dort oben einplanen, denn dann kann man noch zum Preikestolen weiterwandern.

    Gruss Gisela

    1. Danke für die Info. Wieder etwas dazu gelernt.
      Ja, den Preikestolen hatten wir uns ursprünglich auch noch erhofft. Aber weil es schon so spät und es auch recht anstrengend war, haben wir das sein gelassen. Für alle Leser: Gemeint ist nicht DER Preikestolen, der am Lysefjord liegt. Die Wanderung zu diesem Felsen beschreibe ich später noch 😉

  2. Pingback: Sicherheit auf Wanderwegen | molls-reiseblog.de

  3. Guter Tipp Gisela. Dort oben zu Zelten ist sicherlich ein Erlebnis. Kann man das so ohne weiteres machen? Vielleicht mag es lächerlich klingen, aber kann man denn dann auch ein Parkticket für 2 Tage ziehen, wenn man tatsächlich übernachten will? 😉

  4. Hallo zusammen,

    Wir fahren nächste Woche nach Norwegen und wollen unbedingt zur Trolltunga. Damit wir richtig vorbereitet sind, würde ich gerne wissen, ob ein Klettersteigset notwendig ist, um da hochzugelangen, oder ob „normale“ Wanderausrüstung ausreicht. Danke für eure Tipps!

    Viele Grüße,
    Tim

    1. Sorry, dass ich jetzt erst antworte, aber ich war in den letzten Wochen auch selber in der Wildnis unterwegs. Wahrscheinlich wisst ihr es jetzt schon aus eigener Erfahrung, aber ein Klettersteigset wird nicht benötigt. Das hätte ich dann aber auch im Text erwähnt.

  5. Hallo Michael, ich komme gerade von einem Hike zur Trolltunga zurück. (bin gerade gelandet).
    Leider hatten wir beim Wetter nicht so ein Glück – laut den Norwegern ist gerade auch einer der schlimmsten Sommer.
    Wir wollten ursprünglich oben angekommen campen, allerdings war uns das wegen dem ganzen Schnee gar nicht möglich, daher gleich wieder alles retour.

    Es war echt ein Erlebnis, aber man darf das vor allem als Laie nicht unterschätzen.
    Daher möchte ich dir auch zu deiner Leistung gratulieren, man kann da schon sehr stolz darauf sein! 🙂

    1. Hallo Bettina,

      das Gratulieren ist gar nicht wirklich notwendig. Ich empfand die Wanderung nicht als schwierig oder zu anstrengend, bin da doch schon einiges anderes gewohnt. Aber es stimmt schon, blutige Anfänger könnten sich hier etwas übernehmen.

  6. Pingback: Wanderung auf den Galdhøppigen | Die Weltenbummler

  7. Vielen Dank für den tollen Artikel und die schönen Bilder. Der Bericht hat uns sehr gut auf unser Norwegenabenteuer und die Wanderung zur Trollzunge vorbereitet. Als wir unsere Wanderung Ende August gemacht haben wurde kurz vorher noch ein neuer Parkplatz oben auf dem Berg eröffnet. Der Weg über die Magliban kann nicht mehr gegangen werden. Hier führt im Zickzack die neue Straße hinauf zum Parkplatz. Wer mit dem Auto fährt sollte am besten hier parken. Das spart einem einige Kilometer und macht die Wanderung am Anfang deutlich einfacher. Alle Infos haben wir in unserem Blog zusammengefasst:
    http://roadtripsta.com/trolltunga_tipps_zur_anreise_und_zum_parken/

    Viele Grüße
    Sabrina & Andreas

    1. Hallo ihr zwei,

      vielen Dank für den Hinweis. Das habe ich noch nicht gewusst und es mir gerade mal auf der Tourismusseite von Fjordnorwegen durchgelesen. Danke für euren Hinweis, den ich aber dann ergänzen möchte: Es ist natürlich, besonders für mich als Wohnmobilfahrer, wichtig zu wissen, dass die Straße nur für PKW zugänglich ist. Wohnmobile, selbst Kastenwagen dürfen dort nicht hinauf. Und laut Beschreibung wird die Straße morgens nur für die ersten 30 Fahrzeuge geöffnet.
      Viele Grüße und weiterhin tolle Touren!
      Michael

  8. Pingback: 2017 - Mit dem Wohnmobil durch Norwegen

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